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Seneca bemerkt (Episteln XI, 5), „daß die römischen Schauspieler ihre Köpfe hängen lassen, ihre Augen auf den Boden heften und sie gesenkt erhalten, aber nicht fähig sind, beim Darstellen der Scham zu erröthen“. Nach Macrobius, welcher im fünften Jahrhundert lebte (Saturnalia, VII, 11), „behaupten die Naturphilosophen, daß die durch die Scham bewegte Natur das Blut vor ihr wie einen Schleier ausbreitet, da wir Jemand, der erröthet, auch häufig seine Hände vor das Gesicht halten sehen“. Shakespeare läßt Marcus zu seiner Nichte sagen (Titus Andronicus, Act II, Scene 5): „Ach, wendst Du jetzt Dein Angesicht weg aus Scham?“ Eine Dame theilt mir mit, daß sie in dem Lock-Hospital ein Mädchen gefunden habe, welches sie früher gekannt habe und welche ein verworfenes Subject geworden sei. Als sie sich dem armen Geschöpfe näherte, verbarg dasselbe sein Gesicht unter den Betttüchern und konnte nicht überredet werden, sich sehen zu lassen. Wir sehen häufig kleine Kinder, wenn sie schüchtern oder verschämt sind, sich wegwenden und noch immer aufrecht stehend ihre Gesichter in den Kleidern der Mutter verbergen; oder sie werfen sich mit dem Gesichte nach unten in den Schoß.

Verwirrung des Geistes. — Bei den meisten Personen verwirren sich, während sie intensiv erröthen, ihre geistigen Fähigkeiten. Dies ist in derartigen gewöhnlichen Ausdrücken anerkannt wie: „sie wurde von Verlegenheit übergossen“. Personen in dieser Gemüthsverfassung verlieren ihre Geistesgegenwart und bringen eigenthümliche unpassende Bemerkungen hervor. Sie sind häufig sehr zerstreut, stottern und machen verkehrte Bewegungen oder fremdartige Grimassen. In gewissen Fällen kann man unwillkürliches Zucken einiger der Gesichtsmuskeln beobachten. Mir hat eine junge Dame, welche ganz excessiv erröthet, mitgetheilt, daß sie zu solchen Zeiten nicht einmal weiß, was sie sagt. Als die Vermuthung gegen sie ausgesprochen wurde, daß dies eine Folge ihrer Angst sein dürfte, weil sie sich dessen bewußt würde, daß man ihr Erröthen bemerke, antwortete sie, daß dies nicht der Fall sein könnte, „denn sie habe sich zuweilen genau so dumm gefühlt, wenn sie über einen Gedanken in ihrem eigenen Zimmer erröthete.“

Ich will ein Beispiel von der außerordentlichen Störung des Geistes anführen, welcher manche empfindliche Menschen ausgesetzt sind. — Ein Herr, auf den ich mich verlassen kann, versichert mir,


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/315&oldid=- (Version vom 31.7.2018)