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Aufmerksamkeit gewesen, trotzdem, wenn der Mensch ursprünglich nackt gieng, die ganze Oberfläche seines Körpers beachtet worden sein wird. Unsere Aufmerksamkeit auf uns selbst wird beinahe ausschließlich durch die Meinung Anderer angeregt; denn kein in absoluter Einsamkeit lebender Mensch würde sich um seine Erscheinung kümmern. Jedermann fühlt Tadel empfindlicher als Lob. Sobald wir nun wissen oder vermuthen, daß Andere unsere persönliche Erscheinung geringschätzen, wird unsere Aufmerksamkeit sehr stark auf uns selbst und ganz besonders auf unser Gesicht gerichtet. Die wahrscheinliche Wirkung hiervon wird, wie soeben erklärt wurde, die sein, daß der Theil des Sensoriums, welcher die empfindenden Nerven des Gesichts erhält, zur Thätigkeit veranlaßt wird; und dieser wird durch das vasomotorische System auf die Haargefäße des Gesichts zurückwirken. Durch häufige Wiederholung während zahlloser Generationen wird der Proceß in Association mit dem Glauben, daß Andere sich Gedanken über uns machen, so gewohnheitsgemäß geworden sein, daß selbst eine Vermuthung ihrer Geringschätzung genügt, die Haargefäße zu erschlaffen ohne irgend einen bewußten Gedanken an unser Gesicht. Bei einigen empfindsamen Personen ist es hinreichend, auch nur ihren Anzug zu beachten, um dieselbe Wirkung hervorzurufen. Auch werden durch die Kraft der Association und Vererbung unsere Haargefäße erschlafft, sobald wir wissen oder uns einbilden, daß irgend Jemand, wenn auch stillschweigend, unsere Handlungen, Gedanken oder unsern Character tadelt, und ferner, wenn wir hoch gepriesen werden.

Nach dieser Hypothese können wir verstehen, woher es kommt, daß das Gesicht viel mehr erröthet, als irgend ein anderer Theil des Körpers, wenn schon die ganze Oberfläche in gewisser Weise afficirt wird, besonders bei den Rassen, welche noch immer nahezu nackt einhergehen. Es ist durchaus nicht überraschend, daß die dunkel gefärbten Rassen erröthen, wenn schon keine Veränderung der Farbe auf ihrer Haut sichtbar ist. Nach dem Principe der Vererbung ist es ferner nicht überraschend, daß blindgeborne Personen erröthen. Wir können verstehen, warum junge Individuen viel mehr afficirt werden als alte, und Frauen mehr als Männer und warum die entgegengesetzten Geschlechter speciell gegenseitig das Erröthen erregen. Es wird verständlich, warum persönliche Bemerkungen besonders leicht


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/336&oldid=- (Version vom 31.7.2018)