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zu glauben, als anzunehmen, daß die Übereinstimmung der Knochen in der Hand des Menschen, im Flügel einer Fledermaus und im Ruderfuße eines Tümmlers mit einer Übereinstimmung der äußern Lebensbedingungen in Verbindung stehe. Niemand wird annehmen, daß die Streifen an dem jungen Löwen oder die Flecken an der jungen Amsel diesen Thieren von irgend welchem Nutzen sind.

Anders verhält sich jedoch die Sache, wenn ein Thier während eines Theiles seiner Embryonalzeit activ ist und für sich selbst zu sorgen hat. Die Periode der Thätigkeit kann früher oder kann später im Leben kommen; doch wann immer sie kommen mag, die Anpassung der Larve an ihre Lebensbedingungen ist eben so vollkommen und schön, wie die des reifen Thieres an die seinige. In welch’ wichtiger Weise dies zur Erscheinung kommt, hat Sir J. Lubbock vor kurzem in seinen Bemerkungen über die große Ähnlichkeit der Larven mancher zu weit getrennten Ordnungen gehörender Insecten und die Unähnlichkeit der Larven anderer zu derselben Ordnung gehörender Insecten, je nach der Lebensweise, gezeigt. Durch derartige Anpassungen, besonders wenn sie eine Arbeitstheilung auf die verschiedenen Entwickelungsstufen einschließen, wenn z. B. eine Larve auf dem einen Zustande Nahrung zu suchen, auf dem andern einen Ort zum Anheften auszuwählen hat, wird dann zuweilen auch die Ähnlichkeit der Larven einander verwandter Thiere sehr verdunkelt; und es ließen sich Beispiele anführen, wo die Larven zweier Arten und sogar Artengruppen noch mehr von einander verschieden sind, als ihre reifen Eltern. In den meisten Fällen jedoch gehorchen auch die thätigen Larven noch mehr oder weniger dem Gesetze der embryonalen Ähnlichkeit. Die Cirripeden liefern einen guten Beleg dafür: selbst der berühmte Cuvier erkannte nicht, daß ein Lepas ein Kruster ist; aber ein Blick auf ihre Larven verräth dies in unverkennbarer Weise. Und eben so haben die zwei Hauptabtheilungen der Cirripeden, die gestielten und die sitzenden, welche in ihrem äußeren Ansehen so sehr von einander abweichen, Larven, die in allen ihren Entwickelungsstufen kaum unterscheidbar sind.

Während des Verlaufes seiner Entwickelung erhebt sich der Embryo gewöhnlich in der Organisation; ich gebrauche diesen Ausdruck obwohl ich weiß, daß es kaum möglich ist, genau anzugeben, was unter höherer, oder tieferer Organisation zu verstehen sei. Doch wird wahrscheinlich Niemand bestreiten, daß der Schmetterling höher organisirt

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/535&oldid=- (Version vom 31.7.2018)