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schätzen lernte und schließlich derart in mein Herz schloß, daß wir unzertrennliche Freunde wurden. Ich habe nie einen opferwilligeren, aufrichtigeren und mit solch liebevollem Verständnis für meine Besonderheiten ausgestatteten Menschen – meine Mutter ausgenommen – kennengelernt wie den, der mir durch einen Zufall in der Person Erichs in den Weg geführt wurde.

Er stand ganz allein da. Nach dem Verluste seiner Eltern hatte ihm ein reicher Verwandter die Mittel zur Fortsetzung seiner Studien gewährt. Als ich ihn dann näher kennenlernte, erfuhr ich auch, weshalb er so einsam, ohne jeden Verkehr und ohne jeden jugendlichen Frohsinn, nur in seiner Arbeit aufgehend, dahinlebte. Er krankte wie so viele, denen ein allzu beständiges Herz von der Natur mitgegeben ist, an einer Jugendliebe. Dieses Herz, wohl das treueste, das je geschlagen hat, trauerte einem Mädchen nach, das sich solch heiligen Gefühls völlig unwürdig gezeigt und, den Lockungen eines behaglichen Wohllebens folgend, schließlich einen anderen, reichen Freier vorgezogen hatte. Nie kam er über diese Enttäuschung ganz hinweg.

Nach Beendigung unserer Studien fanden wir beide als Ingenieure bei einer großen Hamburger Firma Anstellung, die gerade das Eisenbahnnetz in der Provinz Schleswig-Holstein ausbaute. Kurz vor meinem fünfundzwanzigsten Geburtstage erhielt ich von meiner Mutter einen Brief, in dem sie mich bat, mich auf jeden Fall für einige Tage freizumachen und mein Wiegenfest bei ihr zu verleben. Welche

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Auge des Brahma. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Auge_des_Brahma.pdf/7&oldid=- (Version vom 30.6.2018)