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Das Ausland. 1,2.1828


Elemente solcher Werke mit richtigem Tact zu unterscheiden weiß, wird die Wahrheit auffassen, ohne durch die Lüge geblendet zu werden; er wird zugleich in ihnen vielfachen Anlaß zu psychologischen Entdeckungen finden, und nebenbei auf den Zustand der Welt schließen, in welcher solche Menschen eine Rolle spielen konnten. Daraus erklärt sich, warum bisweilen die edelsten Geister mit großer Theilnahme Gaunergeschichten lesen.

Diese Gedanken sind das Resultat einer aufmerksamen Lectüre der drei oben angezeigten Schriften, auf welche wir deutsche Leser aufmerksam zu machen wünschen. Alle drei haben das gemeinschaftliche Verdienst, daß sie lebhaft und anziehend geschrieben sind, daß sie an bedeutende Personen und Ereignisse der neuesten Vergangenheit erinnern, und einen Theil des Vorhangs zu lüften scheinen, der die Geschichte dieser Zeit noch verhüllt. Alle drei aber erregen den Unwillen jedes gut organisirten Gemüths, weil die Verfasser mit ungezähmter Frechheit und ohne zu erröthen, ein Leben erzählen, das nur durch Entfernung von aller Sitte, durch eine innere Verkehrtheit merkwürdig ist, und auf das mildeste beurtheilt, den Schein der Verworfenheit auf sich geladen hat. – Sind nun auch die Talente unverkennbar, die sich an der Darstellung eines solchen Lebens geübt haben; ist es auch gelungen mit ihnen interessante Bücher zu Tage zu fördern: so wird man doch immer sagen müssen, daß diese Schriften dem Leser eine Unterhaltung gewähren, die mehr werth ist, als die Schriftsteller, denen er sie verdankt. Er sieht ein fein ausgesponnenes, weit verbreitetes Gewebe der Gemeinheit in der sogenannten großen Welt; dieß vermehrt seine Menschenkenntniß. Der Unwille, der ihn ergreift, wird zur sittlichen Stärkung, zur Erhebung des Bewußtseyns; das ist offenbarer Gewinn. Er sieht eine Entsittigung und eine öffentliche schaamlose Ungerechtigkeit; dieß kann den Entschluß in ihm hervorrufen, ihr entgegen zu wirken. In solcher Beziehung lassen sich diese Schriften als moralische Erzählungen empfehlen.

Die oben genannten französischen Memoiren sind die Arbeit zweier koketten Frauen, die kein musterhaftes Leben führten und nun mit wunderlicher Offenheit, ihre – wie sollen wir sagen? – Schwachheiten vor der Welt enthüllen; ohne jedoch in unzüchtigen Schilderungen sich zu gefallen, indem sie vielmehr mit nie verletzter Decenz von ihren verliebten Abenteuern sprechen, nur um einige historische Personen in ihrer moralischen Blöße zu zeigen. Bei der ersten dieser Damen war offenbar Rachsucht gegen vornehme Personen, (die seit der Restauration an den Tag kamen) die Muse, die sie begeisterte. Frau von Campestre wollte Menschen in ihrer Verächtlichkeit darstellen, welche die schöne Frau zur Förderung unrühmlicher Intriguen benützt hatten, und nachher unredlich verließen und aufopferten, als sie ihnen keinen Gewinn mehr bringen konnte. Sie droht noch mehr, ja Alles zu sagen, wenn man nicht aufhören sollte, sie zu verfolgen. Diese Memoiren sind als Schilderung des restaurirten Hofes offenbar politischer Natur. – Die andere Zeitgenossin, deren Zweck nicht klar vorliegt, da ihr Buch noch nicht geschlossen ist, erzählt so naiv als geistreich und unterhaltend, wie sie sich vielen, sehr vielen berühmten Männern theils schwärmerisch, theils leichtsinning in die Arme warf, und wie sie am Ende in Armuth versank. – Die deutsche Schrift des Hrn. Johannes Wit hat darin Aehnlichkeit mit den Bekenntnissen jener Frauen, daß auch sie von Buhlereien mit allerlei Leuten, mit den verschiedensten politischen Parteien, indiscrete Meldung thut, und geheime Sünden ans Licht bringt. Auch sie ist die Herzensergießung einer koketten Seele, die nach Verlust einer übelangewandten Jugend mit dem Publikum noch schön thut, und durch Hinweisung auf die Ungerechtigkeit der Welt, die eigene Verkehrtheit in Vergessenheit zu bringen hofft. – Daher haben wir auch diese Schrift mit den oben erwähnten Memoiren in eine Classe geordnet. – In der Zeitschrift: das Ausland, verdient sie zumal deswegen eine Erwähnung, weil sie in der That ein ausländisches Product, und dem deutschen Blut und Character durchaus fremd ist.

Auch nur eine Skizze der drei in diesen Memoiren beschriebenen Lebens-Arten oder Unarten, würde hier zu viel Raum einnehmen; wir müssen uns mit einigen Andeutungen begnügen.

(Die Fortsetzung folgt.)


Tasso in Ferrara.

Wenn den Wogen des sturmbewegten Meeres gleich die Bewegungen der Gegenwart unserm Blick so schnell sich wieder entziehen, als sie gekommen sind, und daher immer so viele verschiedene, gleich richtige und gleich unrichtige Urtheile zulassen, als verschiedene Standpuncte für den Beobachter möglich sind: so bildet die Einwirkung der Vergangenheit mitten in diesem Wechsel ein stehendes unwandelbares Element, das auch von den verschiedensten Standpuncten aus betrachtet, sofern es nicht verkannt wird, nur ein Urtheil erlaubt, und dem vorurtheilsfreien Forscher stets sichern Erfolg verspricht. Nur das Urtheil über Erscheinungen der Vergangenheit ist es daher auch, welches als Prüfstein für die Gesinnung und Ansicht des Beurtheilers dienen und die Gewähr leisten kann für seine Befugniß, über die Gegenwart zu urtheilen. Auch in diesen Blättern, welche ausschließlich den Interessen und vorzugsweise den Erscheinungen der Gegenwart gewidmet sind, soll deshalb die Vergangenheit nicht ausgeschlossen werden; am wenigsten jene Geister derselben, – die Dichter – welche in ewiger Jugendschönheit durch alle Zeiten uns entgegen glänzen. Dieß zur Bevorwortung des folgenden Aufsatzes, mit welchem wir einen stehenden Artikel „des Auslandes“, eine Bildergallerie der ausgezeichnetsten Dichter desselben eröffnen.

Wenn der Fremde die öden Straßen von Ferrara durchwandert hat und, seine Guida in der Hand, das Hospital Santa-Anna betritt, so wird er in ein schmutziges Gemach geführt, welches neun Schritte lang, sechs breit und sieben Schuh hoch ist, und außer den nackten Wänden nicht das geringste Sehenswürdige darbietet. Ueber der Thür liest er, vielleicht schon im Begriff, unwillig diesen unsaubern Ort zu verlassen, eine Inschrift:

Rispettate, o Posteri, la celebrità di questa stanza, dove Torquato Tasso, infermo più di tristezza che delirio, ditenuto dimorò anni VII mesi II, scrisse verse e prose, e fu rimesso in libertà ad instanza della città di Bergamo, nel giorno VI Luglio MDLXXXVJ.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_012.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)