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Das Ausland. 1,2.1828


scheinbar Unglücklichen etwas abschlagen; ihr Herz und ihre Börse standen jedem Leidenden offen. Dabei aber wurde sie nicht selten die Beute kühner Intriganten und verbrämter Gauner. Ihre Schönheit, ihr Rang in der Gesellschaft, – sie war die Tochter eines alten Generalleutenants des Königs, – ihr feiner höchst gebildeter Verstand und eine unglaubliche, fast instinktartige Gewandtheit in Intriguen, wobei sie sich zuerst selbst und dann Andere desto leichter täuschte, – alle diese Eigenschaften machten es begreiflich, daß sie eine Rolle in einer Welt spielen konnte, wo der schamloseste Handel mit Stellen und Begünstigungen getrieben wurde, wo in jedem Ministerium und selbst am Hofe Leute zu finden waren, die ihre Protektion feil boten. Gewiß, sie hätte hier auf einen andern Platz, als den ihr der Kerker bot, Anspruch machen können. Herr Moret citirt mit bitterm Spotte eine, auch von dem Generaladvokaten vor dem öffentlichen Gericht angeführte, Stelle aus dem Briefe eines vornehmen Anbeters der Frau von Campestre, wo es heißt: „Es ist Schade, daß Sie kein Mann sind; mit den Ihnen eigenen Talenten hätten Sie heutiges Tages – Minister werden können.“ – Das Geld, das sie und andere Damen, die gleiche Geschäfte trieben, von den Suchenden erhielten, machte es immer leicht, Herren zu finden, welche die Gefälligkeit für eine schöne Frau mit der Bestechlichkeit verbanden und die Bewilligung der Gesuche zu bewirken wußten. Wie in dieser Beziehung die Moralität der Staatsbeamten beschaffen war, erhellet unter Anderem daraus, daß einer derselben als ganz besonders ehrlich gerühmt wurde, weil er das für versprochene Protektion empfangene Geld wieder zurückgab, falls er die Gewährung des Gesuchs nicht ausmitteln konnte. – Weniger ehrlich war ein reicher Großer, der gern Pär werden wollte, und sich deshalb an akkreditirte Damen wendete, mit dem Versprechen 100,000 Franken zu zahlen, wenn ihm die Würde zu Theil würde. Das Geld wurde einstweilen bei einem Notar deponirt, um nach einer gewissen Zeit, sobald der Herr zum Pär erhoben seyn würde, von den weiblichen Agenten in Empfang genommen zu werden. Das Unternehmen gelang mit Hülfe eines Herzogs, eines Ministers und dergleichen Leuten, die mit den Damen im Bunde waren. Jetzt aber behauptete der neugebackene Pär, die Würde seinen Verdiensten und nicht den Intriguen der Frauen zu verdanken; er wußte das deponirte Geld wieder an sich zu ziehen, und freute sich, die Schönen geprellt zu haben. Der Ehrenmann ist bis zur Stunde Pär von Frankreich. An solchen Geschichten ist das Buch reich. Man lese diese Memoiren, und man wird erschrecken über die Verderbtheit, die in Paris nach der Restauration in den glänzendsten Zirkeln herrschend wurde; man möchte glauben, es sey eine Wiedergeburt der Zeit der Regentschaft des Herzogs von Orleans. Daher erscheint Frau von Campestre bei allen ihren Intriguen wie ein unschuldiges Kind, im Vergleich zu größern Gaunern, die auf hohen Stellen eine sichere Zuflucht fanden, als ihr Werkzeug der Zuchtpolizei in die Hände fiel. Wer die angeblich große Welt von ihrer miserabelsten Seite kennen lernen will, der studire diese Denkwürdigkeiten; wir sagen studire, denn es ist, besonders für den deutschen Leser, keine leichte Arbeit, die gewöhnlich nur mit Anfangsbuchstaben bezeichneten Namen der handelnden Personen zu errathen. Doch ist dieß unerläßlich, um die ganze Bedeutung der erzählten Thatsachen zu würdigen. In der Vertheidigungsschrift des Hrn. Moret sind diese Namen größtentheils unverkürzt angegeben; daher wir dem Leser rathen, besonders beim zweiten Bande den Anhang zuerst zu lesen, und sich die glänzenden Namen eigens zu merken. Dann wird er erfahren, welchen Antheil der Herr Graf du Cayla und seine berühmte Schwiegertochter (Ludwigs XVIII Freundin, deren Freund wiederum Hr. Sosthene de la Rochefaucoult war,) welchen Antheil der Herzog von Dûras, der Marschal Lauriston, Hr. von Villele, dessen anfängliche Alliirte, eine zur Marquise aus dem Stegreif erhobene drollige Apothekersfrau, und viele andere memorable Personen an den von Frau von Campestre erzählten Geschichten hatten. Es ist ein Blick, den man bei der großen Oper des Hof- und Staatslebens hinter die Coulissen wirft, und man entdeckt die Kehrseite der bewunderten hohen Gesellschaft. – Eine interessante Episode bildet die Unglücksgeschichte des Herrn de Luigny, (ehemaligen ersten Kammerdieners des Grafen von Artois,) welcher zur Zeit der Republik und des Kaiserreichs seinem abwesenden Herrn stets gute Dienste in Frankreich leistete, bei der Restauration wieder bei ihm angestellt und von ihm geliebt, durch Höflinge aber, welche vielleicht die Nähe eines ehrlichen Mannes fürchteten, angeschwärzt, und ungehört in die Verbannung geschickt wurde. Alle Versuche, seinem Gebieter sich wieder zu nähern und dessen Mitleid anzurufen, waren vergebens. Der Unglückliche starb im Elende und in der Verzweiflung, – nur von der gutmüthigen Theilnahme der Frau von Campestre getröstet. Gewiß man kann aus dem Buche viel lernen.

(Fortsetzung folgt.)

Tasso in Ferrara.
(Fortsetzung.)

Während der Zeit, die Tasso in Bologna zubrachte, ereignete sich ein Vorfall, der an sich unbedeutend, dennoch für ihn gleichsam ein Vorobte der Schicksale war, die ihn sein ganzes Leben hindurch verfolgen sollten. Es waren gegen mehrere namhafte Personen der Stadt Schmähgedichte in Umlauf, ohne daß dadurch ein Einschreiten gegen die Verfasser derselben veranlaßt worden wäre. Eines Tages beging auch Tasso die Unvorsichtigkeit, in einer Gesellschaft von Freunden ein Fragment aus einem dieser Gedichte zu recitiren. Zwar war er selbst in demselben nicht verschont; aber man hatte es von keinem Andern bisher erwähnen gehört; Tasso war als Dichter bekannt, und dieß schien genug, ihn für den Verfasser dieses Pasquills zu erklären. Die Beleidigten, die zu den ersten Personen von Bologna gehörten, machten eine Klage gegen ihn anhängig, und es wurde sogleich der Befehl gegeben, sich seiner Person und Papiere zu bemächtigen. Zufällig war er selbst abwesend, als die Sbirren seine Wohnung erbrachen und seine Schriften in Beschlag nahmen. Aus diesen ging seine Unschuld klar genug

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_018.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)