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Das Ausland. 1,2.1828


Aberglaubens gebeugt; Talismane und Amulette sind Alles, was der Mensch den Schlägen des Schicksals und den Ereignissen der Natur entgegen setzt.

Wenn indessen die Civilisation Fortschritte machte, wenn der Handel und Gewerbefleiß an einzelnen Orten sich zu einigem Leben entwickeln konnte, so verdankt man dieß den Arabern und den geläuterten sittlich-religiösen Begriffen, die sie dahin brachten. Wo ihre Gottesverehrung die Oberhand gewann, bildeten sich große Städte; in den Ländern wo jenes nicht der Fall war, blieb die Sitte roh und das Leben arm; die Menschen blieben nackt und hingen kaum eine Wildhaut um ihre Schultern oder ein Stück Zeug um ihre Lenden. Den Arabern verdankt man die großen periodischen Märkte, welche in den Städten Kuka, Angornu, Kano, Sakkatu Menschenmassen von 15–30,000, ja, wie man sagt, von 80–100,000 versammeln. Ihnen verdankt man den Begriff einer Münze; sie haben die Waaren Frankreichs und Englands eingeführt, und dadurch den Verstand und die Wißbegierde der Eingebornen geweckt. Der europäische Handel ist im Zunehmen. Von der Regelmäßigkeit des Verkehrs zeugt der Umstand, daß es Städte gibt, wo eine förmliche Marktpolizei besteht, wo das Geld einen bestimmten Cours hat, der jeden Freitag regulirt wird, wo man die Waaren öffentlich ausruft und unter Begleitung von Musik verkauft. In Kano ist das ganze Jahr hindurch unausgesetzt ein sehr beträchtlicher Markt, den die Kaufleute aus dem Sudan, der Berberey, von Guinea, Dârfur u. s. w. besuchen. In Bornu, wo die Münze, statt durch Muscheln, durch Leinwandstücke repräsentirt war, läßt der Fürst, aufgeklärt durch die neuesten Reisenden, jetzt goldene, silberne und eiserne Münzen schlagen.[1]

Der Beherrscher der Fellâtas hat die Abschaffung des Sklavenhandels für seine ausgedehnten Besitzungen nicht nur zugesagt, sondern sich dazu in einem Brief an den König von England gewisser Maßen verpflichtet. Die Provinz Loggun, ausgezeichnet durch die Gewerbs-Thätigkeit ihrer Einwohner, bringt feine Webereien und schönen Indigo hervor. In Bornu wird Seide fabrizirt; in Haußa giebt es Gerbereien, Tuchmanufakturen, Färbereien, selbst Messerschmieden, die geschickte Arbeiten liefern.

Was die Baukunst betrifft, so ist man darin im ganzen Sudan noch nicht über die Anfangsbegriffe hinaus; man sieht fast allenthalben blos kreisförmige Hütten aus Erde oder Stroh, und darin ein paar Matten, etwas Küchengeschirr und sonstige Geräthschaften, die Waffen nicht zu vergessen. Selbst die Paläste sind aus Lehmerde. Eine der Städte im Süden ist ganz unter der Erde gebaut, weil man nur so vor der Qual der Insektenstiche Ruhe hat. Gebäude von mehreren Stockwerken, Häuser und Tempel aus Backsteinen, oder Säulen aus Palmstämmen, mit elenden Figuren in Thon verziert, kommen in wenigen Gegenden vor.

Ueberall aber sind die Städte mit Gräben und dicken Mauern umgeben, als einer nothwendigen Schutzwehr gegen plötzliche Einfälle, eine Geißel, die jeden Augenblick alle Städte Sudan’s bedroht.

Soviel und nicht mehr läßt sich von ihrem Handel und ihren Künsten, noch weniger von ihren Kenntnissen und ihrer Erziehung sagen. Arabische Schriften, die einzigen des Landes, sind selten. Die Gelehrsamkeit des Sultans Bello, welcher etwas von der Erdkugel weiß, die Buchdruckerei und das Zeitungswesen Europas bewundert, den Unterschied der christlichen Confessionen kennt, ist eine Wundererscheinung. Er hat die neue Geschichte von Taktur oder Sudan geschrieben und damit eine nicht uninteressante geographische Schilderung verbunden, sogar eine – man könnte sagen – wilde Karte von dem Lande und dem Lauf der Flüsse eigenhändig gezeichnet, worauf sich aber unsre Reisenden, wenn wir ihnen rathen dürfen, nicht unbedingt verlassen mögen. – Die Impfung ist in Bornu bekannt.

(Schluß folgt.)

Miscelle.

Die Unwissenheit und der Aberglaube, in die auch in Frankreich die große Masse des Volkes noch viel allgemeiner versunken ist, als man gewöhnlich voraussetzt, werden nicht selten Veranlassungen von Verbrechen, die zu charakteristisch für den Culturzustand der ganzen Klasse sind, der die straffälligen Individuen angehören, als daß wir denselben nicht in diesen Blättern eine Stelle einräumen sollten.

So erschien kürzlich ein junger Bauer aus der Gegend von Rheims, Namens Marc, vor Gericht, den sein Wunsch, bei der Conscription ein günstiges Loos zu ziehen, zu einem eben so albernen als strafwürdigen Vergehen verleitet hatte. Ein Schäfer den er um Rath gefragt hatte, gab ihm ein Buch, welches den Titel führt: „Der rothe Drache (Le Dragon rouge), oder die Kunst, über die Geister im Himmel, in der Luft, auf der Erde und in der Hölle zu herrschen, sammt dem wahren Geheimniß, die Todten zu beschwören, jedesmal in der Lotterie zu gewinnen, u. s. w.“ Zugleich belehrte er den einfältigen Tropf, daß er nur dann Nutzen von dem Buche haben könnte, wenn er es von einem Priester weihen und consecriren lasse. Marc gewann durch Bestechung einen Chorknaben, das Buch unter das Altartuch an die Stelle zu legen, wohin bei der Messe der Kelch gesetzt wird, um es so an der Consecration – wie er meinte – mit Theil nehmen zu lassen. Unglücklicher Weise fiel es aber dem Pfarrer ein, den Altar vor der Messe selbst in Ordnung zu bringen und so fand er zu seinem Erstaunen unter der Decke das Zauberbuch. Marc, der seinen Schatz nicht verlieren wollte, schrieb ihm darauf einen Brief, worin er ihm den Tod drohte, wenn er das Buch nicht in aller Form weihen und ihm zurückgeben wollte. Der Pfarrer schickte Buch und Brief an die Gerichte nach Rheims, welche den Angeklagten mit einem ernsten Verweis entließen.

(Courrier des Tribunaux.)

  1. In Kernock war eiserne Münze gewöhnlich; am Senegal bedient man sich der Eisen-Barren als einer eingebildeten Münze, wornach man den Werth einer Sache bestimmt.

München, in der Literarisch-Artistischen Anstalt der J. G. Cotta’schen Buchhandlung.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_039.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)