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Das Ausland. 1,2.1828

deshalb die Gleichartigkeit mit der nordamerikanischen Staatsverfassung in Zweifel ziehen möchten. Selbst Brasilien ist trotz seines erblichen Oberhauptes und seines Senates offenbar nach demselben Originale copirt. Nur die Verfassung des räthselhaften Paraguay hat weder mit der nordamerikanischen, noch sonst einer bestehenden Verfassung Aehnlichkeit; diese bleibt daher auch von unserer Untersuchung ganz ausgeschlossen.

Und dennoch stehen wir nicht an, den Charakter der südamerikanischen und der nordamerikanischen politischen Organisation für wesentlich verschieden zu erklären.

Als die Nordamerikaner sich eine Verfassung gaben, hatten sie allerdings Vorbilder vor Augen, die sich durch die Geschichte ein Recht auf diese Auszeichnung erworben hatten; sie entlehnten von mehreren fremden Gesetzgebungen Theile, von denen sie glaubten, daß sie auch auf die eigenthümlichen Verhältnisse ihres Landes Anwendung litten; aber sie hüteten sich wohl, geradezu die Form irgend einer schon bestehenden Verfassung nachzubilden. Freilich war damals keine Staatsverfassung vorhanden, von der es ihnen nur hätte in den Sinn kommen können, sie zum Muster zu nehmen; aber dies kann den allgemeinen Satz nicht widerlegen, daß der wahre Werth einer guten Verfassung nur darin besteht, daß sie dem Volke und seinen Verhältnissen angemessen sey. Wie steht es hienach nun um die neuen amerikanischen Verfassungen? Das Außenwerk, die Schale der Konstitution der Vereinigten Staaten haben sie ängstlich genug nachzuformen gestrebt; aber der Geist, das innere Wesen, das der äußern Hülle erst Werth gibt, ist ihnen entwichen. – Bei näherer Betrachtung muß gerade der Umstand, daß eine bestimmte Regierungsform bei einer bestimmten Nation mit einem außerordentlich glücklichen Erfolg gekrönt worden ist, es höchst zweifelhaft machen, ob sie, so wie sie dort besteht, auch in andern Ländern dieselben Resultate hervorbringen werde. Je mehr sie der Eigenthümlichkeit des Volks, den eigenthümlichen Verhältnissen des Landes angepaßt war, desto erfolgreicher muß sie bei diesem Volke und in diesem Lande wirken, aber eben deshalb wird sie in andern Ländern, deren geographische Lage, Klima, Volkscharakter und Produkte andere Bedürfnisse erzeugen, auch um so weniger gute Früchte tragen, je größer die Verschiedenheit zwischen beiden Ländern ist. Nun giebt es aber wohl kaum zwei Nationen, deren Lage nicht in mehreren der wichtigsten Punkte wesentlich verschieden wäre. Geht man daher überhaupt auf eine solche gefährliche Nachahmung fremder Staatseinrichtungen ein, so muß nothwendig bei jedem einzelnen Punkte zuvörderst genau untersucht werden, ob und in wiefern die Grundlagen, worauf das politische Gebäude aufgeführt werden soll, gleichartig sind. Irrt man sich – und das Irren hierin ist sehr leicht – so sind die schädlichen Folgen unberechenbar und in den meisten Fällen unheilbar. Diese Betrachtung ist es gerade, welche weise Gesetzgeber gewöhnlich dahin vermocht hat, den Geist des einmal bestehenden Zustandes zum leitenden Prinzip in allen Veränderungen der Verfassung zu machen. Im Allgemeinen lag dieses Prinzip auch der Ausarbeitung der nordamerikanischen Verfassung zum Grunde. Das große Ziel der Revolution war die Unabhängigkeit, und mit der Erreichung desselben mußten die Fehler des alten von selbst fallen. Alle alten Einrichtungen wurden beibehalten, insofern sie nicht mit der Abhängigkeit vom Mutterlande in Verbindung gestanden hatten: die Hauptaufgabe der Gesetzgeber war nach der Anerkennung dieses Grundsatzes nur: die Lücken, welche durch die Trennung nothwendig hervorgebracht werden mußten, auf eine Weise auszufüllen, die dem Geiste der übrigen Einrichtungen entspräche. Die Ernennung der Regierungs-Mitglieder und der Räthe in den einzelnen Staaten mußte neu bestimmt, statt des früheren Verhältnisses zum Könige ein anderes an die Stelle gesetzt werden. Dort füllte jeder einzelne Staat die Lücke aus, hier die Union. Im übrigen berührte man die bestehenden Institute kaum. Einige Jahre nach der Konstitution erkannte man das erste Unionsprinzip für mangelhaft, und führte statt dessen ein anderes ein, und dieß ist die einzige Abänderung von Bedeutung, die bis jetzt vorgenommen wurde.

Hätten nun die Gesetzgeber des spanischen Amerika’s sich dieses Verfahren der nordamerikanischen Staatsmänner zum Muster genommen, statt ihr Werk zu sanctioniren; so hätten sie gewiß einen besseren, jedenfalls einen sicheren Weg eingeschlagen. Ihre Handlungsweise wäre indessen ganz gerechtfertigt, wenn man annehmen könnte, daß die Verhältnisse, durch welche die ganze Eigenthümlichkeit des Volks in den beiden Amerikas bedingt wird, in hohem Grade übereinstimmten; und es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß die südamerikanischen Gesetzgeber von dieser Voraussetzung ausgingen.

Es mag anmaßend scheinen, hierin von ihnen abweichender Meinung zu seyn, aber wir müßen dennoch bekennen, daß wir keine einzige auffallende Aehnlichkeit finden können, dagegen manche Unterschiede zu entdecken glauben, die es wenigstens sehr zweifelhaft machen, ob bei den beiden Völkern die gleichen Staatseinrichtungen auf gleiche Weise wirken werden. Betrachten wir zum Beispiel die Vertheilung des Eigenthums, von welcher doch niemand läugnen wird, daß sie einen höchst wichtigen Einfluß auf den Zustand eines jeden Volks ausübt, so zeigt sich hier die größte Verschiedenheit zwischen den Vereinigten Staaten und dem übrigen Amerika. Als die Nordamerikaner die Zügel der Regierung selbst ergriffen, fanden sie das Eigenthum schon sehr gleichmäßig vertheilt; fast die gesammte Bevölkerung (abgesehen von den Negersklaven) befand sich in einer unabhängigen Lage, und besaß alle Einsichten und Tugenden, welche eine solche Stellung natürlich mit sich bringt. Seit Jahrhunderten im Besitze ausgedehnter politischer Rechte, hatte sie gelernt, von denselben verständigen Gebrauch zu machen. Auf dieseer Grundlage war es nicht schwer, eine freie Repräsentativverfassung aufzuführen, und die Uebereinstimmung des Regierungs-Systems mit der Lage des Volks und der Bildungsstufe, worauf dasselbe steht, ist es, welche die nordamerikanische Verfassung so beglückend und zugleich so dauerhaft macht.

(Schluß folgt.)
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_065.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)