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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 17. 17. Januar 1828.

Erinnerungen aus Italien.

Von einem englischen Gentleman.

So bin ich endlich in dem hohen Rom, hergewandert aus dem äußersten Thule, um seine Herrlichkeit und seinen Glanz zu schauen. Unter meinen Fenstern hör’ ich eine schlechte Guitarre, auf der eine geübte Hand einige volle Akkorde greift, begleitet von einer helltönenden Stimme, welche eine Lieblingsarie von Puccini mit Geist und Gefühl vorträgt. Ich öffne das Fenster, und erkenne an den ärmlichen Lumpen, die den Sänger bedecken, einen jener wandernden Homeriden, deren Italien so viele besitzt. Mögen die Gelehrten es erklären, so gut sie können; aber gewiß ist, daß dieser Bettler mehr Adel in seiner Haltung hatte, als unsere elegantesten Cavaliers in den Salons von Almack, und in seinem Gesang mehr Geschmack und Grazie, als unsere schmachtenden Ladies.[1] Ich konnte nicht angenehmer beim Erwachen begrüßt werden. Schnell kleide ich mich an. Beim Eintritt in mein Kabinet finde ich, durch den Eifer meines Domestiken, eine große Tafel bedeckt mit Kameen, Mosaiken, Bas-reliefs, geschnittenen Steinen: schlechte Kopien, falsche Medaillen, unterschobene Antiken. Ex-votos aus dem gelobten Lande, verschiedenartig genug, aber gleich häßlich und widrig, Aschenkrüge von Ostia, Kuriositäten und Seltenheiten jeder Art und für jeden Geschmack liegen vor mir aufgehäuft und bieten der Unklugheit meiner Wünsche, wie meiner Unwissenheit in der Archäologie verführerische Lockungen dar. – Die milde, wollüstige Luft, die ich unter Italiens schönem Himmel athme, und die Freude, mich in Rom zu finden, machen mich weich und treuherzig: die glücklichste Disposition, um der Dupe italienischer Schlauheit zu werden.

Ein Cicerone ist eine wesentliche Person im Gefolge eines begüterten Reisenden in Italien; in meinem Salon treffe ich den meinigen, umgeben von einem zahlreichen Cirkel, eine Lava-Dose in der Hand, mit komischer Emphase und im vollen Gefühl seiner Wichtigkeit über den belvederischen Apoll, den Torso, über Visconti, Winckelmann, über statuarische Kunst, Mosaik etc. etc. perorirend. Aufmerksam horchen die Zuhörer auf die feierlichen Orakelsprüche, die „Signori“, die, um ihre antiken oder modernen Waaren an Mann zu bringen, sorgfältig jeden reichen Fremden aufspüren, hatten nicht ermangelt, sich in aller Frühe bei mir einzufinden, und mein Cicerone, der mein erster Minister geworden war, hatte sie mit der unter solchen Umständen zweckmäßigen vornehmen Höflichkeit empfangen. So wie ich eintrete, ändert sich die Scene; im Augenblick wird mein Cicerone zur zweiten Person. Ein verbindliches Lächeln verbreitet sich über alle Gesichter: einschmeichelnde Beredsamkeit, lebhafte Gestikulationen, theatralische Stellungen, wortreiche, naive, pathetische Bitten umlagern mich von allen Seiten; in dem ganzen Gedränge ist jedoch nirgends eine Spur von Plumpheit oder Ungeschliffenheit zu bemerken; selbst in der Zudringlichkeit liegt eine gewisse Art von gutem Ton und Schmiegsamkeit, fast in jedem Worte spricht sich die angeborne und charakteristische Urbanität dieser Hauptstadt der Welt aus. In Florenz ist die Sprache energischer, voller, un accento vibrato, sie ruft die Beredsamkeit, die öffentlichen Verhandlungen der alten Republik Dantes und Macchiavell’s ins Gedächtniß zurück. In Neapel neigt sie sich in den ermüdenden singenden Ton der Lazzaronis zur trivialen Leichtigkeit und Unregelmäßigkeit eines Vulgar-Dialekts. In Rom hingegen ist der Adel und die Eleganz des Ausdrucks ein Erbtheil aller Volksklassen.

Nachdem ich diesen gelehrten, liebenswürdigen Antiquaren, welche es sich nicht hatten verdrießen lassen, vom frühen Morgen an, die Prodektion della mia Signoria anzusprechen, Audienz ertheilt hatte, war sonach mein Eintritt in die berühmte Stadt bezahlt; da ich für das, was kaum ein paar Baiocci wert war, einige Scudi bezahlt hatte. Hierauf wollte ich ausgehen, als, trotz aller Gegenanstrengungen meines Cicerone, sich ein Mönch ins Zimmer drängte, mit einem Korb voll Blumen und Früchte. Dieser gute Minorit hatte wenig von der finstern, melancholischen Physiognomie des Sterne’schen Mönchs. Er war wohlbeleibt, mit lebendigem Auge, einer Farbe voll Gesundheit und Jugendkraft, und frischrothen Lippen, auf denen ein beständiges Lächeln schwebte. Ich bewunderte seinen langen schwarzen Bart, und den großen weißen Mantel, der in schönen Falten den hohen Körper umgab. Ohne eigentlich ein Recht zu haben, seine ascetischen Tugenden in Zweifel zu ziehen, machte es mir doch eigene Gedanken, daß diese athletischen Formen, diese schwellende Gesundheit, diese von der Gluth des Südens leuchtenden


  1. Die prachtvollen Salons von Almack in London sind jedes Jahr blos von der hohen englischen Aristokratie gemiethet. Es werden daselbst Bälle und Concerte gegeben, bei welchen alles vereint ist, was die vornehme Welt Schönes und Glänzendes darbietet. Der Bürgerliche, selbst der Adelige vom zweiten Range findet hier keinen Zutritt.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_076.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)