Seite:Das Ausland (1828) 120.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

der strengen Wissenschaften zubringen, in der Leitung der Geschäfte irgend eine Ungeschicklichkeit, irgend einen Mangel verrathen. Sie sind nicht gewohnt, sich zu irren. Die Methode in den Abstraktionen verbürgt ihnen die Richtigkeit der Resultate. In den Geschäften aber haben die Punkte einen Umfang und die Linien ihre Breiten und Höhen. Man wirkt auf Dinge, in welche die Unordnung eindringen kann, auf Leidenschaften, die verkehrt urtheilen; der Mathematiker aber, für den es keine Unordnung, kein falsches Urtheil und keine Leidenschaften gibt, befindet sich in einer unvorgesehenen Lage, sobald ihm Ungläubige entgegentreten. Stets sicher, zu überzeugen, ist es ihm nie in den Gedanken gekommen, daß er bis zum Ueberreden sich herablassen muß.

Dies war nicht Ihr Loos, mein Herr. Durch Ihr philosophisches Studium waren Sie gewohnt, die Irrthümer der Menschen mit in Berechnung zu ziehen. Sie übten die Stärke Ihres Gemüthes, wie die Ihres Geistes, und Ihr Muth war auf Prüfungen vorbereitet. Vergebens waren die Umstände verschieden und die Zeiten schwierig: weder Ihre Vernunft, noch Ihre Festigkeit wurden dadurch erschüttert. Nicht Gefahren, nicht Gunst, Ungunst, Unbeständigkeit der politischen Systeme, Höflichkeiten nebenbuhlerischer Partheien, Beifall der Menge, – Nichts konnte die geringste Nachgiebigkeit von Ihnen erzwingen. (Beifall.)

So haben Sie sich eine Meinung gebildet, die Ihnen eigen ist. Nur der Wahrheit und Gerechtigkeit gehören Sie an, und diese Hingebung wollten Sie als vollständig und ausschließend beweisen. Niemand hat je das Recht gehabt, Sie zu einer Partei zu zählen. Jeder, dessen Sache gerecht war, konnte sicher seyn, in Ihnen einen Vertheidiger zu finden. In Folge des philosphischen Geistes, der sich an das Allgemeine hält, verbanden Sie sich lieber mit den Grundsätzen als mit den Menschen. Daraus entstand der Charakter der Stärke und des Ernstes, der Ihre Beredsamkeit auszeichnet.“

„Ich würde aber erröthen, wollte ich in Ihnen nur die Beredsamkeit bewundern, während ich Ihnen zu Ihren edlen Gesinnungen Glück wünschen soll. Die Talente haben nur insofern ein Recht auf unsere Bewunderung als sie einer würdigen Sache geweiht sind. Die Literatur ist nur ein Werkzeug, dessen Verdienst nach dem Gebrauch, den man davon macht, geschätzt werden sollt.“

„Seit einem halben Jahrhundert beklagt man sich, daß der Geschmack an der Literatur sich verliere. Diese Klagen der Mittelmäßigkeit sind ungerecht und übertrieben. Die Beschäftigung mit der Literatur trägt ihren Lohn in sich; diejenigen aber, deren Beifall man fordert, haben ein Recht zu fragen, welchen Gebrauch man von der Kunst zu schreiben und zu reden macht. Und hier ist das Publikum nicht ungerecht; es ehrt die Literatur und zeigt, daß es von derselben eine höhere Idee hat, als einige Literatoren; es sieht in ihr nicht blos eine Kunst, sondern ein Mittel zur Vervollkommnung der Erkenntniß und der bürgerlichen Gesellschaft. In einer höhern Ordnung leistet die Literatur den gleichen Dienst wie die Druckereien mit ihren materiellen Mitteln. Was mühsam zu lesen gewesen wäre, was die gemeine Einsicht sich nur schwer angeeignet, was sich auf einen kleinen Kreis der Eingeweihten beschränkt hätte, das verbreitete sie, macht es für jeden faßlich, macht es volksthümlich; durch die glückliche, schöne Form sichert sie den nützlichen Wahrheiten, den großen Gedanken ihren Erfolg, ihre Allgemeinheit.“

„Dies ist die Würde der Literatur, die eine gebildete Nation nie verläugnen wird. Sehen wir nicht, wie sie denjenigen Beifall zuruft, deren Talente sie bewundert, deren Sache sie zu der ihrigen macht? Und wer könnte besser Zeugniß dafür ablegen als Sie, mein Herr, der beim Herabsteigen von der politischen Rednerbühne so oft den Beifall erndtete, der dem geistreichen Redner, vor Allem aber dem edlen Manne gebührt!“



Die Agraviados in Spanien.


(Fortsetzung.)

Diese Allgemeinheit allein wäre hinreichend, den wesentlichen Unterschied der Volksbewegung, welche die Wiedereinsetzung der Cortes in Spanien verlangte, von der französischen Revolution zu charakterisiren, mit der dieselbe so oft in Parallele gestellt worden ist. Beide Bewegungen waren Reclamationen der Masse des Volkes gegen die ungleiche Vertheilung der Staatslasten, wenn von Ungleichheit der Vertheilung die Rede seyn kann, wo der eine Theil alles und der andere Nichts zu tragen hat. Nur vereinigten sich in Frankreich die beiden privilegirten Stände, welche die temporäre Macht in Händen hatten, zur Zurückweisung der an sie gerichteten Forderungen, und traten dadurch dem Volke, oder dem sogenannten dritten Stande, feindlich gegenüber. In Spanien dagegen ergriff der eine von den beiden privilegirten Ständen – die Aristocratie, mit Enthusiasmus die Sache des Volkes, und brachte seine Vorrechte willig dem Wohl des Ganzen zum Opfer, in der Ueberzeugung, daß der ohne diesen Schritt unabwendbare Verfall auch den aller Einzelnen zur Folge haben müßte. Wir finden daher fast alle großen historischen Namen Spanien, fast alle durch Geburt, Rang oder Glücksgüter ausgezeichneten Männer der Monarchie in den Reihen der Vertheidiger der Constitution. Die zweite Classe der Privilegirten, die Geistlichkeit, die durch ihren unermeßlichen steuerfreien Reichthum dem der ganzen übrigen Bevölkerung Spaniens beinahe das Gleichgewicht hielt, blieb allein der Meinung, daß es in ihrem Interesse liege, ohne Rücksicht auf das Wohl des Ganzen, auf der Behauptung ihrer Vorrechte zu bestehen, sah sich aber außer Stande, für den Augenblick der allgemeinen Bewegung sich mit Erfolg entgegen zu setzen, theils weil sie unter sich selbst keinesweges einig war, theils besonders, weil sie keinen unmittelbaren Einfluß auf den Mechanismus der Staatsinstitutionen übte, – und mußte daher wenigstens äußerlich den Schein annehmen, als billige sie, was sie nicht verhindern konnte.

Die Menschen, welche das französische Ministerium, oder in demselben die Partei der Congregation, unter dem

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_120.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)