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Das Ausland. 1,2.1828

sehr arme Leute wären, aber es sey ihre eigne Schuld, denn sie wären nicht so industriös wie die Engländer.“ Einige französische Passagiere gaben ihm dagegen einen sprechenden Beweis ihres Gewerbfleißes, indem sie ihm ihre Geschicklichkeit im Schmuggeln zeigten, „die Bootsleute, ein Doctor, und ein Geistlicher, die einige Tücher von Bengalen mitgebracht hatten, verbargen sie wie Diebe in ihren Taschen, banden sie sich um den Hals oder um den Leib, ehe die Douaniers an Bord kamen.“

„Die Franzosen behaupten,“ sagt unser orientalischer Reisender, „daß die Engländer von ihnen die Musik und das Reiten gelernt hätten; denn alle reichen Engländer schickten ihre Söhne und Töchter nach Frankreich in die Schulen. Daher, sagen die Franzosen, wären die Engländer jetzt in Wissenschaften und Künsten geschickt. Früher hätten sie weder die Fähigkeiten, noch die Kenntnisse gehabt, die sie jetzt haben, sondern wären unwissend gewesen, wie die meisten Hindustaner. Gleichwohl geben sie zu, daß die Engländer tapfere Soldaten sind. Die niedern Classen der Engländer, sagen die Franzosen, gehen nicht in fremde Länder, um zu dienen und Beschäftigung zu finden. Warum? weil sie ein dummes Volk sind, und zu träge sich Kenntnisse zu erwerben. Wenn sie auch in andere Länder gehen wollten, so würde sie niemand anstellen; sie würden vor Mangel an Nahrung und Kleidung in Elend gerathen. Aber die französische Kaste sey geschickt in allen Künsten und Wissenschaften, und wohin sie sich auch begeben, da erwerben sie die Gunst der Fremden, und erlangen Ehre und Ansehen.“

(Fortsetzung folgt.)


Egypten unter Mehemed Ali.


(Fortsetzung.)

Mit freudiger Rührung betrachtet Mehemed Ali zu Kairo von der Moschee des Sultans El-Guri aus den Triumphzug seines Sohnes, der aus dem heiligen Krieg heimkehrte. Gewiß konnte an solchen Tagen des muselmannischen Ruhmes, die als Siegesfeste der Religion zugleich Feste seines Vaterglückes waren, Mehemed Ali sich eines aus persönlichem und religiösem Stolze gemischten Gefühl’s – einstimmend in den Jubel der Tausende, welche, um gegen des Propheten Feinde zu ziehen, nach Egypten gekommen waren – nicht erwehren. Aber weder unter dem Freudentaumel eines bigotten Volkes, das nie zu Ausschweifungen geneigter ist, als wenn es Glaubenssiege feiert, noch als zwei Jahre später beim Ausbruch der griechischen Revolution das Rachegeschrei durch alle Provinzen der Türkei erscholl und zu den ungeheuersten Leidenschaftlichkeiten hinriß, vergaß Mehemed Ali ein Benehmen zu beobachten, das seiner Stellung und seines europäischen Rufes würdig war, indem er nicht nur die Ruhe in seinen Staaten während der ganzen Zeit dieser religiös-politischen Convulsionen stets aufrecht zu erhalten wußte, sondern auch der Beschützer so mancher Verfolgten aus Syrien, Kleinasien und Griechenland wurde, die an den Ufern des Nils eine gastliche Aufnahme fanden. Wenn indessen Mehemed Ali der Verfolgswuth unduldsamer Scheykhs oder fanatischer Soldaten ein Ziel setzte, so dürfen wir darin nicht bloß den Mann von freisinnigen Ansichten erblicken, sondern vor allem den Mann, der sein Interesse verstand und in Bezug auf dasselbe kein besserer Muselmann als Christ oder Jude seyn wollte. Es gibt Bilder, die so beschaffen sind, daß, je nachdem man sie von einer Seite, und von einiger Entfernung erblickt, der Gegenstand, den sie vorstellen, ein ganz anderer, und sich selbst nicht mehr gleich zu seyn scheint. Eine solche Erscheinung ist Mehemed Ali, eine Erscheinung, die, wenn wir sie von Europa aus betrachten, uns einen weisen und menschenfreundlichen Fürsten zeigt – eine Illusion, die in der Nähe verschwindet.

Egypten mit einer Bevölkerung von 2½ Millionen Einwohnern und einem natürlichen Reichthume für viele Millionen, ist in seinem jetzigen Zustande in jeder Hinsicht ein höchst unglückliches Land; allenthalben herrscht gesetzlose Willkür, und wenn auch der Einzelne von den Einfällen benachbarter Horden, die früher das Land plünderten, nichts mehr zu fürchten hat, wenn er sogar vor den eigenmächtigen Erpressungen der Regierungsbeamten, worauf diese, ehe sie Besoldung erhielten, gewissermaßen angewiesen waren, jetzt gesichert ist, so erliegt er dagegen unter der Generalschatzung des einen Despoten, die den Kern seiner Lebensthätigkeit verzehrt. Mehemed Ali ist auf dem geraden Wege, wie einst Joseph unter den Pharaonen, das ganze Land zur Domäne des Herrschers zu machen: seine Finanzverwaltung läßt diesen Zweck deutlich durchblicken. Nachdem Alle, welche die wiederholt umgelegten Abgaben nicht erschwingen konnten, ihre liegenden Güter dem Fiscus hatten überlassen müßen, beraubte er die zwei ersten Klassen der Grundeigenthümer, die Multezim[1] und die Scheykhs, mit Einemmale ihrer Besitzungen, indem er sie auf einen Gehalt im Betrag ihres aus den Steuerregistern ausgemittelten reinen Güter-Ertrags setzte. Da der Gehalt aber blos lebenslänglich ist, so befreit jeder Todesfall den Fiskus von einer dieser Lasten, und die reichsten Familien sinken nach und nach zu Proletariern herab. Es giebt zwar nur Eine Steuer, den Myry oder die Grundsteuer, und Mehemed Ali hat, um sie genau zu regeln, unter der Leitung des Florentiner Ingenieurs Massi, eine Landesvermessung veranstaltet; aber die Größe dieser Steuer steht mehr in einem Verhältniß zu den enormen Bedürfnissen des Veziers als zu den Kräften seiner Unterthanen.

  1. Multezim bedeutet Eigenthümer. Während der Regierung der Mamelukken fand in Bezug auf das Grundeigenthum eine Art Lehenseinrichtung statt. Die Multezim, zuerst Lehensträger, wurden allmälig Eigenthümer, und hatten ihre Pächter und Unterpächter. Die Scheykhs waren im Genuß gewisser Güter, von deren Ertrag jedes Dorf die Erhaltung der Moscheen, der öffentlichen Schulen, der Canäle, der Cisternen und andere allgemeine Ausgaben zu bestreiten hatte.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_124.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)