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Das Ausland. 1,2.1828


bürgerliche und religiöse Freiheit einzelnen Volksgestaltungen sehr günstig seyn müßte. Allein dieß ist denn doch wieder eine geistige Crystallisation, die Zeit und Ruhe bedarf, und dann erst eintritt, wenn der Kampf mit dem Boden ausgekämpft ist. Kolonien sind Völkerfragmente, und als solche lange noch keine Völker: dazu werden sie erst, wenn sie viel miteinander durchlebt haben. Anfangs ist die Verbindung eine äußerlich politische, bedingt durch die gesellschaftlichen Bedürfnisse; später wird sie eine innerlich sittliche, und entspringt aus der freundlichen Theilnahme Aller an Allen, aus der geistigen und physischen Verwandtschaft, welche die Glieder eines Staats zu einer großen Familie vereinigt. Eine Kolonie, die einem einzelnen dieser Bruchstücke ein selbstständiges Leben einräumen wollte, würde damit den Keim der Zwietracht in ihrem Schoose nähren; hätten die Deutschen, so zahlreich sie auch in Pennsylvanien sind, sich als Deutsche dort geltend zu machen gesucht, so wäre die Union genöthigt gewesen, dieses Neu-Deutschland, wie vor einigen Jahren die Kolonie von Champ d’Asile der französischen Auswanderer, als einen mit dem Sinn des Ganzen nicht verträglichen Staat im Staate feindlich zu behandeln.

Wir gestehen als Deutsche unser Interesse an Ausbreitung deutscher Sprache und Sitte, und halten dieß für eine der schönsten und menschlichsten Eroberungen eines Volks; allein wie sollten wir es den Amerikanern verargen, wenn sie uns dieß Eroberungsrecht ihrer Seits bestreiten wollten? Wir hätten geerndtet, wo wir nicht gesäet hatten. Als die Deutschen nach Amerika wanderten, war das Land kein herrenloses Gut mehr; sie fanden eine gesetzmäßige Ordnung der Dinge vor, an welcher sie keinen Theil als Mit-Constituenten hatten. Darin pflichtet gewiß jeder Amerikaner dem jetzigen Präsidenten John Quincy Adams bei, der als Staatssekretär unterm 14 Junius 1819 an Baron Fürstenwerther schrieb: „Wir wissen recht gut, daß die Auswanderer nicht um unsers, sondern um ihres Vortheils willen, nach Amerika kommen.“ Wenn gutmüthige Deutsche meinen, ein amerikanischer Staat sollte sich ohne weiters germanisiren lassen, so dürfte ein solches Ansinnen den Anglo-Amerikaner nicht weniger befremden, als wenn er vernimmt, daß hanseatische Seefahrer es unbillig und gräuelhaft finden, wenn keine fremde Seemacht ihren Handel vor den Barbaresken schützt. Deutschland könnte und sollte bei seiner Uebervölkerung seine Kolonien haben; aber wenn es nichts dafür thun will, wird es keine bekommen.

Unsere Landsleute in den Vereinigten Staaten werden vor der hand wahrscheinlich darauf verzichten müssen, ihrer Nationalität eine politische Garantie zu erwerben; wir möchten sogar zweifeln, ob es für die deutschen Auswanderer selbst, deren es jetzt vielleicht eine Million daselbst gibt, so wie für die Republik in welche sie eintraten, gut gewesen wäre, wenn sie, – meist Leute voll Vorurtheilen, ohne Weltbildung, aus den niedersten Klassen – eine politische Bedeutsamkeit zu erlangen gewußt hätten, ehe sie bei ihren aufgeklärteren englischen Gastfreunden in die Schule gegangen waren; dagegen bleibt es ihnen aber unbenommen, privatim für ihre Deutschheit zu thun, so viel sie wollen, da der Staat fast in jeder Beziehung, besonders aber in der Sorge für das Religions- und Erziehungswesen, den Gemeinden vollkommen freie Hand läßt. Daß namentlich in der letzten Zeit in dieser Hinsicht viel geschehen ist, seitdem auch Gebildete unsers Volks dahin zahlreicher ausgewandert sind, ist unverkennbar. Statt daß früher der reich gewordene Deutsche seiner vaterländischen Literatur entsagte, und sich zur englischen wandte, sieht man jetzt selbst Anglo-Amerikaner genug, die das Deutsche mit Liebhaberei treiben.

Die holländischen Reformirten und die schwedischen Lutheraner, erstere früher die stärkste kirchliche Parthei in New-York und New-Yersey, letztere, wiewohl nie über 25 Kirchen stark, in Pennsylvanien, New-Yersey und Delaware, sind gegenwärtig fast ganz in dem Engländerthum untergegangen. Von den holländischen Reformirten haben seit 1750 über 200 Gemeinden die englische, beinahe 100 die deutsche Sprache beim Gottesdienst eingeführt, wobei viele auch das lutherische Bekenntniß mit angenommen haben. Das Holländische wird jetzt äußerst wenig gesprochen, manchmal noch als Kirchensprache gebraucht; schwedisch wird schon seit 1800 nicht mehr, und statt dessen deutsch oder englisch gepredigt.

Die deutsche reformirte Kirche dagegen besitzt gegen 400 Gemeinden, und die deutschen Lutheraner, mit ungefähr 800 Gemeinden, haben vier Synoden, von denen die bedeutendste die pennsylvanische ist, welche sich um die Erhaltung der deutschen Sprache höchst verdient gemacht hat. Die Synoden von Nordkarolina und Ohio folgen denselben Grundsätzen; namentlich hat letztere den ausschließlichen Gebrauch der deutschen Sprache zum Grundgesetz gemacht, und deßwegen auch eine Einleitung zu einer Centralsynode ausgeschlagen, weil sie befürchten, es möchten dort die Grundsätze der New-Yorker Synode vorherrschen, die das Deutsche durch das Englische zu verdrängen sucht. In den großen und reichen Niederlassungen der Deutschen in Ohio kann man Tage lang reisen, ohne ein Wort englisch zu hören. In den südlichen Staaten sind die wenigen deutschen Gemeinden fast ganz englisch geworden, und theils zur bischöflichen theils zur methodischen Kirche übergegangen. Im Verhältniß zu den zahlreichen deutschen Protestanten ist die Zahl der deutschen Katholiken unbedeutend; sie haben nicht mehr als 20 Pfarrer, die für die Erhaltung der deutschen Sprache wenig oder nichts thun. Der Gottesdienst wird meistens schon ganz in englischer Sprache gehalten.

(Schluß folgt.)

Die Agraviados in Spanien.


(Fortsetzung.)

Aber ist es denn bloß der persönliche Vortheil jener Männer gewesen, und etwa der ihrer Parthei, um dessentwillen

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_137.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)