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Das Ausland. 1,2.1828

fand man mit samaritanischer Schrift. Demungeachtet scheiterten die ersten Erklärungsversuche; Swinton und Barthelemy, Bayer, Tychsen und Akerblad waren glücklicher. Indessen ist die Erklärung immer mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Die Inschriften bestehen aus wenigen Worten oder Linien; wie bei allen semitischen Schriften sind die Worte ohne Vokale geschrieben; mehrere Zeichen von verschiedener Bedeutung gleichen einander auf täuschende Weise; andere unterscheiden sich nur durch kleine Züge, die sich leicht verwischen; dieselben Zeichen erscheinen in verschiedenen Formen; die Worte sind nicht getrennt, man muß sie theilen oder vielmehr erst schaffen, und dieses Schaffen ist oft ungewiß; ungewiß auch in sofern, als man verschiedene Dialekte vor sich hat, aus welchen die Worte geflossen seyn können. Minder gewöhnliche Sprachformen, Verunstaltungen von Buchstaben, sind neue Hindernisse für den Alterthumsforscher. Leichter ist die Arbeit, wo die phönizischen Inschriften griechische neben sich haben; allein diese sind keine wörtlichen Uebersetzungen, daher sie zwar die Auslegung, besonders rücksichtlich der Eigennamen, begünstigen, und im Allgemeinen interessante Annäherungen darbieten, aber zu keinem völligen Verständniß der Sache führen, so lange man keine größeren Texte als bisher besitzt. Vielleicht wenn einmal die zwei Papyrusrollen des Vatikans gekannt sind, welche nach dem Urtheile des jüngern Champollion phönizische Schrift haben, daß man dann weiter kommt. Die Verbindung dieser Schrift mit egyptischen Denkmälern ist nichts neues, und sie kommt auch auf einigen Münzen und auf dem Basrelief von Carpentras vor.

Phönizische und punische Inschriften hat man hauptsächlich auf Malta, Cypern, Sicilien, Sardinien, zu Athen und im nördlichen Afrika aufgefunden. Im Jahr 1820 brachte Major Humbert[1], der nach einer mehrjährigen Reise von Tunis zurückkehrte, unter andern vier Halbsäulen mit punischer Schrift, mit Verzierungen und Symbolen mit, die von Sr. Majestät dem Könige der Niederlande gekauft und in dem Leidener Museum niedergelegt wurden[2]. Die Inschriften befinden sich in einem Viereck oberhalb an den Steinen. Der erste von diesen war an der Spitze zerbrochen, die Inschrift stark beschädigt; an der Spitze des zweiten und dritten befand sich die Figur eines Arms mit geöffneter Hand, unmittelbar darunter ein Eierkranz (bande d oves). Eine vierte Halbsäule war an der Spitze mit einer Art von Palmblättern besetzt, unterhalb ein schmaler Saum von Dreischlitzen (triglyphes), sodann ein breiter Fries mit der offnen Hand nebst einer häßlichen vierfüßigen Thiergestalt. Noch tiefer unten ein Dreieck, darüber ein Kreis, und im Berührungspunkte dieser zwei Figuren eine wagrechte Linie, die sich an beiden Enden hakenförmig schließt. Diese Halbsäule ist ohne Inschrift.

(Schluß folgt.)


Der Code Rural von Haiti.


Eine Nation, die in einer so kurzen Zeit aus dem Zustande der größten menschengedenklichen Herabwürdigung und Rohheit in den eines, wenigstens in Vergleich mit ihrer früheren Lage, freien und civilisirten Volkes übergegangen ist, wie die schwarze Bevölkerung von Haiti, steht ohne Zweifel einzig in der Geschichte da. Jahrhunderte lang kultiviren die Europäer, wie sie behaupten, die Negerbevölkerung in den Colonien, aber man muß froh seyn, wenn die Neger-Bildung nur keine Rückschritte macht; kaum hat dagegen Haiti sich frei gemacht von seinen weißen Bedrückern, so blüht es zu einem Staat empor, der in innerem und äußerem Wachsthum sich bald mit jedem europäischen Lande wird vergleichen können.

Die Stufe der Bildung, auf welcher ein Volk steht, läßt sich aus keiner anderen einzelnen Erscheinung sicherer beurtheilen als aus seinen Gesetzen. Auf Haiti, wo Landbau und Handel, die beiden Hauptquellen alles Nationalreichthums, fast von gleicher Wichtigkeit sind, werden auch die Gesetze, welche die Verhältnisse der Stände anordnen, die diese Beschäftigungen treiben, das Leben dieses Volkes am anschaulichsten charakterisiren. Der im Juli 1826 in Port-au-Prince gedruckte Code Rural setzt uns in den Stand über die Verhältnisse der Landarbeiter zu den Landbesitzern, und die Behandlung der ersteren hier einiges mitzutheilen.

Das angeführte Gesetzbuch besteht aus 6 Gesetzen, die in Titel, Kapitel, und Artikel zerfallen. Aus dem letzten dieser Gesetze, von der Landpolizei (police rurale) heben wir einige Kapitel des dritten Titels aus.

Art. 172. Die Landpolizei wird besonders von den Communbeamten, die mit der Section des Landwesens beauftragt sind, unter Beistand der Feldwächter versehen.

Art. 173. Die Landpolizei hat zum Gegenstand:

1) Die Unterdrückung des Vagabundirens.
2) Ordnung und Fleiß bei den Feldarbeiten.
3) Die Zucht der Arbeiter.
4) Die Unterhaltung und Verbesserung der öffentlichen und Privatwege.

Erstes Kapitel. Von der Unterdrückung des Vagabondirens.

Art. 174. Alle Personen, die nicht Eigenthümer oder Pächter von den Ländereien sind, auf welchen sie wohnen, und auch keinen Contract mit einem Eigenthümer oder Pächter gemacht haben, sollen für Vagabonden angesehen, und von der Landpolizei der Section, in welcher sie betroffen werden, angehalten, und vor den Friedensrichter der Gemeinde geführt werden.

Art. 175. Nachdem der Friedensrichter die Person, welche vor ihn geführt ist, befragt und angehört hat, soll er ihr die Artikel des Gesetzes auseinandersetzten, die sie verbinden einen Contract zu machen, und den Landbau zu treiben. Nach dieser Erinnerung soll er sie ins Gefängniß schicken, bis sie den Bestimmungen des Gesetzes gemäß, einen Contract eingegangen hat.

  1. Notices sur quatre cippes sépulcraux et deux fragmens découverts en 1817 sur le sol de l’ancien Carthage par le Major J. E. Humbert. La Haye 1821.
  2. Diese Inschriften wurden in den Ruinen der Stadt Thugga, zuerst im J. 1631 von Thomas d’Arcos, einem Provenzalen, der in Tunis gefangen zum Mohamedanismus überging, entdeckt, und durch seinen Briefwechsel mit dem gelehrten Peiresc in Europa bekannt. S. Lettres de Peiresc, im Magasin encyclopédique p. 37 ff.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_161.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)