Seite:Das Ausland (1828) 175.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 42. 11. Februar 1828.

Briefe über Portugal.[1]

Ein Beitrag zur Charakteristik der Ereignisse der letztvergangenen Jahre.

(Lettres historiques et politiques sur le Portugal, par M. le Comte Joseph Pecchio; continuées par un ancien magistrat portugais; publiées per M. Léonhard Gallois, et augmentées d’un coup-d’oeil militaire sur le Portugal, par M. le général Pelet. Paris 1827.)


Lissabon 9 Febr. 1822.

Wenn ich nicht mit der Geschichte Portugals vertraut wäre, so hätte ich auf meiner Hieherreise schon aus der Art, wie die portugiesischen Landleute zu grüßen pflegen, schließen können, daß dieses Volk in langer Unterdrückung gelebt hat. Sobald sie einen Reisenden auch nur von fern erblicken, nehmen sie sogleich ihren breiten Hut ab, und senken ihn bis auf die Erde. Lavater hätte aus diesem Zuge vielleicht den Schluß gezogen, daß der Portugiese gelehriger und unterthäniger gegen Adel und Reichthum ist als der Spanier. Gewiß ist die Art zu grüßen keine gleichgültige Sache für den Beobachter: sie bezeichnet fast immer den Grad der Freiheit oder Sklaverei eines Volks. Die Orientalen werfen sich auf die Kniee, mit gekreuzten Armen; die Schweizer, die Engländer beschränken sich darauf, die Hand entgegen zu reichen. Vor der Revolution verneigte sich der französische Bauer aufs tiefste vor dem Marquis seines Dorfes; heutzutage grüßt er selbst die Pairs wie seines gleichen.

In allen Dörfern durch die ich kam, fand ich feste, schlanke Gestalten, mit angenehmen Zügen. Die Stirne des Spaniers und des Portugiesen ist breit und majestätisch; nie habe ich schönere gesehen, als in Raphaels Schule von Athen. Gall würde in ihnen das Organ der Eroberung finden. Dieß ist die Stirne Cäsars, Napoleons. Die Physiognomie des Portugiesen ist voll Ausdruck: was mir aber am meisten auffiel, ist die Verschiedenheit dieser Physiognomien. Es giebt Völker, welche wie in Eine Form gegossen zu seyn scheinen, z. B. die Chinesen, Oestreicher und Engländer. Unter der brittischen Garnison von Gibraltar, welche doch fünftausend Mann stark ist, konnte ich kaum zwei wirklich verschiedene Physiognomien unterscheiden; in Portugal aber könnte ein Mahler aus einem Haufen Landleute gleich die verschiedenen Personen eines Gemähldes zusammenstellen. –

Sie sind verwundert, daß ich Ihnen noch kein Wort von Politik geschrieben habe. Aber was soll ich Ihnen sagen, da ich schon das ganze Königreich durchreist bin, ohne noch ein einziges Zeichen seiner Wiedergeburt bemerkt zu haben? Noch steht das alte Gebäude aufrecht, und von dem neuen, konstitutionellen, ist kaum die Grundlage gelegt. ....


Lissabon 26 Febr. 1822.

Vorgestern endlich konnte ich einer Sitzung der Cortes beiwohnen. Sie versammeln sich in einem alten Kloster, welches den Tago beherrscht. Zwar ist ein Kloster nicht gerade der passendste Ort für die Sitzungen eines Kongresses, aber die Lage desselben könnte nicht geeigneter seyn, den portugiesischen Deputirten die Gefühle des Ruhms und des Glücks ihrer Nation zurückzurufen, denn gegenüber ist die Stelle wo einst die berühmte Escadre Vaso da Gamas unter Segel gieng.

Der Eingang in die Galerie gleicht zu sehr einem Seiltänzertheater. Der Saal selbst aber ist einfach und groß. Keine Verzierung zieht den Zuhörer von der Aufmerksamkeit ab, welche ihm hundert und vierzig Häupter auflegen, denen Michel Angelo keinen energischern Ausdruck hätte geben können. Die Verhandlungen hatten, als ich eintrat, bereits begonnen. Die Redner sprachen beinahe alle mit vieler Leichtigkeit. Es ist bemerkenswerth daß ein Volk, welches nie Gelegenheit hatte, die öffentliche Beredsamkeit auszubilden, sich dennoch in diesen Diskussionen nun so frei bewegt. Es ist dieß eine Folge theils der Sprache (obwohl die portugiesische weniger wohlklingend und majestätisch als die spanische ist), theils der beweglichen Imagination des Südländers. In allen Völkern lebt Poesie, aber nur die des Südens sind Improvisatoren.

Ich war eben damit beschäftigt alle diese braunen Gesichter, mit den starkgebogenen Brauen und den schwarzen Augen der Reihe nach durchzumustern, als ein Deputirter, der sich erhob, meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Seine Züge waren streng und scharfgezogen: seine Augen voll Feuer, seine Haare kurz, rauh und bereits etwas gebleicht; sein Teint ein dunkles Braun, seine Stimme volltönend, seine Gedanken hell, sein Ausdruck bestimmt und nervig. Man bemerkte in seiner Rede weder Parenthesen noch Umschreibungen; er beleidigte niemand und schmeichelte niemand. Unbekümmert um den Eindruck nach außen, seinen Blick fest auf den Präsidenten gerichtet, schien er nur der Inspiration seines Innern

  1. Die Briefe gehen vom Februar 1822 bis Juni 1827. Wir heben diejenigen aus, welche uns zu Bezeichnung des Geistes der letzten portugiesischen Staatsveränderungen am meisten charakteristisch schienen.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_175.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)