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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 43. 12. Februar 1828.

Erinnerungen aus Italien.


(Schluß.)

Es ward uns angekündigt, daß nun Musik gemacht werden sollte. Die Aelteste der beiden Nichten setzte sich vor das Fortepiano. Es war eine ganz ansehnliche Person, diese Nichte; ihr Amazonen-Costüm, ihre scharfen Züge, die dunkeln Augenbrauen, die breite Stirn, mit braunen unordentlich durcheinanderhängenden Locken geziert, ihre aufgeworfenen, blutrothen Lippen, mit mehr Ausdruck als Anmuth, endlich das brennende Incarnat auf dem bräunlichen Teint, die hohe Gestalt, die männlichen Formen und einige Spuren des etwas vorgeschrittenen Alters – alles nahm die Aufmerksamkeit in Anspruch, ohne sie zu befriedigen. Mit einer Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit ließ sie die Finger auf das Fortepiano fallen, die bei einer schönen Dame der Faubourg St. Germain als der höchste Grad der Affectation erschienen wäre, bei unsrer Römerin aber bloße Kunstlosigkeit war. Kaum waren die ersten Accorde des Pianos ertönt, so fing sie laut an zu lachen. Ein Abbé, der sich auf den Rücken ihres Sessels lehnt, und ihr einige Worte zuflüsterte, hatte diesen Ausbruch ihrer Fröhlichkeit veranlaßt. Man drängt sich um ihn, man will das Geheimniß seiner Unterhaltung kennen lernen, und er wiederholt mit ernsthafter, wichtiger Miene ein fades Compliment. Er hatte sie zu einer Improvisation aufgefordert. Viva! viva! schrien die Italiener; viva! wiederholten mit etwas schwächerem Tone die Engländer in ihrem Winkel. Die Improvisatrice läßt sich ohne viel Mühe überreden. Aber welcher Gegenstand soll gewählt werden? Einer der Antiquare schlägt den Tempel des Pollux vor, ein anderer das Pantheon; die Engländer Alfieri, Dante, Rienzi; aber die klassische Gelehrsamkeit der Damen wies diese großen Namen der neuern Jahrhunderte hartnäckig zurück. Signora D. wünschte, daß die Wahl auf den König Evander fiele, damit etwas über das Etruskische zu sagen wäre. Endlich vereinigte man sich über das Capitol. Der Gegenstand war schön. Ich hoffte, die Improvisatrice werde in poetischer Begeisterung dieses alte Heiligthum des römischen Ruhmes vor uns aufsteigen lassen, und seine unsterblichen Annalen vor unserem Blick entrollen. Wie sehr wurde ich getäuscht! ich hatte nicht gewußt, daß die italienische Improvisation ein kindisches Spiel geworden war, ein bloßes Gedächtnißwerk, die Kunst in pathetischen Phrasen zu sprechen, fern von Geist, Imagination und Poesie. „Mit was soll ich das Capitol vergleichen?“ frage die Improvisatrice. „Mit einem Phönix, mit dem Ozean, mit einem Adler, einem Lorbeerbaum, einem Ey, einer Krone“ antworteten die Antiquare. „Mit einer Taube,“ rief ein anderer. Una colomba! wiederholte entzückt die ganze Versammlung. Tiefe Stille tritt ein. Il Campidoglio è com’ una colomba beginnt Signora, und geht nun in langsamem Rhytmus die verschiedenen Vergleichungspunkte durch, wie die Flügel des Capitols ale aperte e ferme seyen, gleich denen der Taube etc. Die dilettanti, den Kopf bald gegen die rechte, bald gegen die linke Schulter geneigt, waren hingerissen über all diese Herrlichkeiten, die mich im höchsten Grade langweilten. Bei jeder Pause machten sie ihrer Begeisterung Luft: „Einzig! Welches Talent! Göttlich! Welche Stimme!“ Die Engländer waren etwas gemäßigter und unbestimmter in ihrem Beifall, und selbst die Tante begnügte sich blos zu sagen: „Es ist ein gutes Kind, unsere Emilie.“

Indessen hätte man ohne Schmeichelei, wenn auch nicht dem poetischen Talent der guten Emilie, doch ihrer Stimme, ihrem Gesange, große Lobsprüche machen können. Dieser, ich möchte sagen, nationale Vorzug war bei ihr besonders hervortretend. Welcher Italiener wäre so arm oder so verlassen von der Natur, daß nicht sein ganzes Wesen musikalisch wäre? Die Stimme, in der Conversation oft kreischend, wird im Gesange weich, biegsam, feierlich; Gesang scheint das eigenthümliche Idiom dieses Volks, die natürliche Sprache seiner Empfindungen, der volle, belegte Ausdruck von Freude und Leid. In unserem Norden ist der Gesang eine Anstrengung, das seltene künstliche Produkt der Uebung und Geschicklichkeit, eine Blume des Treibhauses. Das schöne Italien aber, auf dessen Haupt so viele Kronen sich zusammendrängten, und das nun von allem Ruhm so vieler Jahrhunderte entkleidet dasteht, hat nur Eines sich gerettet: die Musik, jenes Gefühl der Harmonie, jene, ich möchte sagen, melodische Organisation. Dieß, nebst seinem glücklichen Himmel, und der Erinnerung des Ruhms, ist der einzige Ueberrest von der reichen Erbschaft der Vorzeit.

Mitten unter dem, der Improvisatrice gezollten rauschenden Beifall hatte ich mich etwas zurückgezogen, und sah nun erst mit Befremden, daß die jüngere Schwester Emiliens unbemerkt in einer Ecke des Saals im Finstern saß. Sie hatte den Ausdruck von stiller Trauer, unbestimmter Unruhe, als ob ein schmerzlich süßer Traum ihr ganzes Wesen befangen hielte. Ihre Tante bemerkte meine Aufmerksamkeit auf sie, und sagte: è inamorata la poverina (die arme Kleine ist verliebt.) Sie sagte dieß ohne alle Affektation oder Verlegenheit, in einem ganz einfachen und natürlichen Tone, und trat dann wieder zu ihrem

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_179.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)