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Das Ausland. 1,2.1828

von der wir hören, so nahmen wir wenigstens auf unserer Studirstube bisher keinen sonderlichen Effekt von derselben wahr.

Der Hauptgrund der irrigen Urtheile, die über Napoleon bisher gefällt worden sind, liegt ohne Zweifel in der Gewohnheit, große Männer nicht als das Geschöpf, sondern als Schöpfer ihrer Zeit zu betrachten, auf ähnliche Weise, wie z. B. das Feuer gewöhnlich nicht als das Produkt eines chemischen Prozesses, sondern als ein selbstständig wirkender brennder Stoff angesehen wird. So gilt Luther seit drei Jahrhunderten nicht als das Instrument, sondern als der Instrumentator, der Stifter der Reformation. Und schwerlich wäre man so inconsequent gewesen, nicht auch Napoleon für den Urheber der französischen Revolution zu erklären, wenn damit die unbedeutende Charge eines Secondelieutenants, die er bei dem Ausbruche derselben bekleidete, nicht allzuschwer zu vereinigen gewesen wäre. Und doch war Napoleon nie größer, als auf dem Congresse von Erfurt, wo er zum Erstaunen der versammelten Fürsten eine an sich gleichgültige Erzählung anfing: Comme j’étais encore simple lieutenant d’artillerie en second – und, als er das allgemeine Stillschweigen der Ueberraschung bemerkte, lächelnd sich verbesserte: Comme j’avais l’honneur d’être lieutenant d’artillerie en second! Die Masse der Thaten, welche den Pöbel in Erstaunen setzt, macht vielleicht den großen Mann, aber nur die innere Seele, das volle Bewußtseyn, das innige Gefühl der Menschheit den großen Menschen; und Napoleon war – noch mehr als das erste – das letztere.

Wir zählen uns nicht zu jenen blinden Verehrern Napoleons, welche seine Größe darein setzen, daß er, der ächte Republikaner, die Nothwendigkeit einer Dictatur unter den obwaltenden Umständen erkannt, die Zügel derselben kühn ergriffen, und mit Festigkeit gehandhabt habe; uns scheint häufig unter dieser Verehrung der Dictatur nur eine gewisse Unselbstständigkeit verborgen zu liegen, welche, der Freiheit unfähig, sich willig unter das Joch der Despotie beugt, und dieser – um mit der Zeit fortgeschritten zu scheinen – gern einen glänzenderen Namen leiht. Nein, Napoleon war kein Dictator einer Republik, und wollte dieß auch nicht seyn; er war Despot! Aber er war ein großer Mensch; und doppelt bewundern müssen wir ihn, wenn – durch den Gang der Ereignisse, den er nicht bestimmen konnte, zur Despotie hingedrängt, auf einem Standpunkte, auf welchem selbst denen, die darauf geboren werden, schwindelt, und auf welchem ihm die Menschenmenge zu seinen Füßen nur zu leicht als ein Haufen eklen Gewürmes erscheinen konnte – er dennoch nie das Gefühl der Menschenwürde vergaß.

Daß Walter Scott, ein so feiner Psycholog, Napoleon nicht von dieser Seite aufgefaßt hat, betrachten wir als einen großen Verlust der Literatur; doch müssen wir bekennen, daß dieser Mißgriff, der von vorn herein den Dichter unfähig machte, seinen Helden würdig darzustellen, entschuldigt wird, wenn wir die Schwierigkeiten bedenken, die Walter Scott zuerst als Engländer, und dann als Tory zu überwinden hatte. Wem es bekannt ist, welche Vorstellung man sich allgemein in England von Napoleon machte, den kann die verfehlte Schilderung eines so ächt nationellen Volksdichters nicht befremden; wir sind Walter Scott in der That Dank schuldig, daß er ungeachtet seiner eigenen, zum Theil wirklich albernen, Irrthümer, doch soviel dazu beigetragen hat, den bei der Masse seiner Landsleute verbreiteten Aberglauben, der sich Napoleon als eine Art von menschenfressendem Ungeheuer, einen Popanz der französischen Revolution, eine Ausgeburt der Hölle dachte, zu zerstreuen.

Hazlitt, ein bisher nur als Kritiker und Philosoph bekannter Schriftsteller, ist auf dieser Bahn in seinem Leben Napoleons schon einen beträchtlichen Schritt weiter gegangen; wobei ihm freilich sein Antagonismus gegen das englische Feudalwesen, welches den Poeten durch seine romantischen Reize gefesselt hielt, sehr zu Statten kam. Wir bedauern von dem Werk Hazlitts bisher nur einen zu kleinen Theil gesehen zu haben, um uns ein umfassendes Urtheil über dasselbe zu erlauben. So weit wir aber dasselbe gelesen haben, fanden wir kein Wort, welches die Sache der Freiheit verriethe. Die Revolution ist – wenn nicht so kurz, wie dieß in einer Geschichte Napoleons vielleicht der Fall seyn sollte – doch mit schneller und treuer Feder beschrieben; und was das Schwerste war, er hat die Charaktere der Hauptacteurs in diesem schrecklichen Schauspiel mit vielem richtigen Gefühl und großer Klarheit aufgefaßt, und dadurch für die gewöhnliche Lesewelt begreiflich gemacht. Er hat gezeigt, auf welche Weise Menschen in Ungeheuer verwandelt werden, und bewiesen, daß wenn Paris von Schurken angefüllt war, welchen Verbrechen jeder Art leicht und alle Laster angeboren waren, dieß nicht die Schuld der Revolution ist, sondern der alten Regierung, welche das Volk so tief entwürdigte, daß es in diesen Abschaum ausarten mußte, der dann die Urheber seines Elendes durch die Wirkung desselben züchtigte. –

(Fortsetzung folgt.)


Die Ultraisten und die Constitutionellen in Frankreich.


(Fortsetzung.)

Die Verfassung war in den Augen der Ultraisten nie etwas anderes als die sanktionirte Revolution, folglich ein Feind, den sie bekämpfen mußten. Anfangs begnügten sie sich mit einzelnen Concessionen, erlistet oder ertrotzt mit dem Gewinn kleiner Vortheile, die sie aber auch wieder verlieren konnten. Die Nation sah diesem stillen Kriege, wo es sich oft nur um Doctrinen zu handeln schien, ziemlich gleichgültig zu; sie wollte Ruhe und ließ sich gerne einige Opfer gefallen, wenn dadurch die kleine Zahl der Unzufriedenen zu beschwichtigen seyn sollte. Das Haupt der Bourbonen brachte ein versöhnliches Herz aus der Verbannung zurück, und mancher Sohn der neuen Zeit trat vertrauensvoll vor seinen Thron und fand sich nicht getäuscht. Zwanzig Jahre des Unglücks hatten Ludwig XVIII weiser als die meisten seiner Gefährten gemacht; durch das Glück der Gegenwart mit den Leiden der Vergangenheit versöhnt, war er nicht der Mann der Ultraisten. Wie, dachte wohl mancher von diesen, soll der König so behaglich auf seinem Throne sitzen, während wir, die wir für

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_188.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)