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Das Ausland. 1,2.1828

in beiden Kammern Erfordernisse sind, welche allein einem Ministerium Dauer und Festigkeit, seinen Maßregeln Kraft und Bestimmtheit geben können, so hatte Villele dafür gesorgt, daß es an diesen Bedingungen nicht fehlen durfte. An seinen Collegen hatte er treue Gefährten gewonnen, die, mit ihm solidarisch verbunden, in der freiwilligen Unterordnung unter seine geistige Superiorität allen guten Royalisten zum Vorbilde dienen konnten. So stellte das Kabinet in sich selbst den monarchischen Einheitsbegriff in schöner Vollendung dar. Boshafter Weise nannten dafür die Journale Villele’s Collegen seine Commis. Selbst Corbiere und Peyronnet wollten sie nur als die keckerern Satelliten seiner Diktatur auszeichnen.

Unter einer royalistischen Verwaltung hatte man in Frankreich geglaubt sich in die glänzendsten Zeiten der alten Monarchie zurück versetzt zu sehen. Herr von Villele unternahm, das kühne Ideal des Royalismus zu verwirklichen. Die Ehrgeizigen, die sich Bahn brechen wollten, die alten Höflinge, die an ihre vormaligen Herrlichkeiten dachten, die Frommen, die in den neuen Theorien den Untergang der Religion voraussahen, nebst einem ganzen Heere von Willenlosen, die blos der Macht huldigten, stellten sich unter die Fahnen des Ministers, als er seinen Feldzug gegen die Charte eröffnete. In der That gieng alles trefflich von Statten, solange er an seine Leute Geld und Stellen genug zu verschwenden oder ihnen als Lockspeisen vorzuhalten hatte, und wäre es möglich gewesen ganz Frankreich in Sold zu nehmen, so hätte Geld das Meisterstück des Absolutismus vollbracht. Villele scheint sich seine Aufgae nur von dieser Seite vorgestellt zu haben. Es lag ihm nichts daran, Männer von Talenten oder wenigstens Fachkenntniß für seine untergeordneten Ministerien zu erhalten: wenn es ihm einfiel, so verwandelte er sich oder andere in Seeminister, Kriegsminister, Minister für auswärtige Angelegenheiten u. s. f., und zwar, wie man versichert, ohne daß die Geschäfte darunter gelitten hätten. Das Lächerliche dieses Ministermachens gab zu zahlreichen Epigrammen Veranlassung, von denen wir nur folgende antedatirte Grabschrift auf Chabrol anführen wollen:

Passant, contemple ici, couché sous cette pierre
Un grand navigateur, qui n’a jamais sombré,
Marin de terre ferme, en son hôtel ancré,
Il brava le scorbut, les vents et le Tonnerre.
Il fit le tour du monde auprès de son foyer,
En voyageur prudent qui jamais ne s’écarte,
De Jean-Bart ce digne héritier,
Fit naufrage à Paris et mourut sur la carte.

[1]

Geist und Kenntnisse hatten aufgehört, eine Empfehlung zu seyn; brauchte man dieselben im Ministerium nicht, so schienen sie anderweitig noch entbehrlicher. Die ausgezeichnetsten Beamten, Gelehrten, Künstler, Offiziere wurden abgesetzt; Clermont-Tonnere eignete sich dadurch für’s Kriegsministerium, daß er es über sich nahm, ein paar hundert Generale aus der Liste der activen Armee zu streichen. Selbst alte Diener der Monarchie wurden nicht verschont, wenn sie sich unterstehen wollten, eine eigene Meinung zu haben. Der allgewaltige Finanzminster behandelte Menschen und Dinge als bloße Zahlen, die er nach Belieben zu Potenzen erhob, oder in Nullen verwandelte. Er arbeitete – ein ächter Revolutionär – auf die Zerstörung alles organischen Lebens im Staate hin; wo sein Arm hinreichte, da gab es keine Selbstständigkeit, keine Persönlichkeit mehr. Durch eine von ihm geschaffene und in serviler Abhängigkeit erhaltene Aristokratie sucht er die Verfassung in seine Gewalt zu bekommen; diese Aristokratie und die in ihr beruhende Verfassung konnte er dann als ein Spielzeug, womit man die Völker gängelt, fortdauern lassen, oder vernichten; er war gewiß, daß die Nation von einer Sache wenig Notiz nehmen würde, von deren Ueberflüssigkeit sie faktisch bereits überzeugt worden wäre. Gelang es ihm einige Jahre auf diese Weise, so war die Contrerevolution vollendet, und es bedurfte dann des Gebrauchs außerordentlicher, und wegen des damit verbundenen Aufsehens gefährlicher, Mittel nicht mehr. Aber der Finanzminister täuschte sich darin in seiner Rechnung, daß er glaubte, die Wahlmänner, welche ihm die Männer der Septennalität gegeben hatten, würden es immer in ihrem Interesse finden, sich in seinem Sinne repräsentiren zu lassen, oder die Pairskammer würde den allgemeinen Weg der Knechtschaft einschlagen, um darauf ihre Prärogative zu bauen. Zuerst ermannt sich die Pairskammer; die hohe Aristokratie in Frankreich, so ausgezeichnet durch Talente, konnte sich nicht lange in der Rolle gefallen, welche ihr diese Grafen von gestern zugetheilt hatten, die durch ihr hochfahrendes Wesen und ihre beleidigenden Formen sich nur zu deutlich als Emporkömmlinge zeigten, ohne durch den Adel des Geistes den ihnen abgehenden Adel des Bluts zu ersetzen. Die genannte Aristokratisirung des Volks, die man beabsichtigte, war aber um so mehr ein völlig verkehrtes Project, als dazu alle Elemente in Frankreich fehlten. Man hatte den Antheil an der Nationalrepräsentation auf 99,590 Wahlmänner und 18,132 Wählbare reduzirt[2]. Dieses Einhundertunddreißigstel der Bevölkerung Frankreichs, welches (als Inhaber des pouvoir electoral) die eigentliche Quelle der Souveränetät ist, besteht aus einer Klasse von Bürgern, die vermöge ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse, ihres Standes und ihrer Industrie, jeder Art von aristokratischer Einrichtung fremd seyn müssen. Um Wähler zu seyn, ist es hinreichend, daß man 300 Fr. direkte Steuern von seinem Grundeigenthum oder von seinem Gewerbfleiße zahlt. Von jenen beiläufig 100,000 Bürgern sind es nicht völlig 20,000 welche 1000 Franken zahlen; die übrigen 80,000 zahlen im Durchschnitt nur 4–500 Fr. Das Resultat ist daher, daß die Wahlen sich in den Händen der kleinen Kaufleute oder der kleinen Grundeigenthümer befinden[3].

(Schluß folgt.)
  1. Annuaire anecdotique, ou souvenirs contemporains, Paris 1828. Eine artige Sammlung von Tagesgeschichten, satyrischen Einfällen und witzigen Anekdoten.
  2. De la situation du clergé, de la magistrature et du Ministère à l’ouverture de la session de 1827 etc. par M. Cottu. Paris 1826
  3. Nur in Einem Departement beträgt das Minimum des Census, der zu dem großen Wahlcollegium berechtigt, zwischen 14–1500 Fr.; in vier weiteren zwischen 11–1200 Fr., in fünfzehn zwischen 1000–1100 Fr., in neun zwischen 9–1000 Fr., in sechs und vierzig zwischen 5–900 Fr., und in sechs, die nur Ein Collegium haben, fehlt dieser Census ganz.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_193.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)