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Das Ausland. 1,2.1828

weil es natürlich ist, die zu lieben, welche sich bemühen, uns zu gefallen. Außerdem war der Poet darauf piquirt seine Dame zu gewinnen, weil sie in dem Ruf stand, sehr delicat in solchen Dingen zu seyn; und die Lady war darauf piquirt, sein Weib zu werden, nicht sowohl, weil sie den Herrn nicht schon vor der Heirath gekannt hätte; sondern gerade weil sie ihn kannte und hoffte, daß ihre Liebe ihre Aufrichtigkeit und ihre Ueberlegenheit sie in den Stand setzen würden, ihn zu bessern. Das Experiment war gefährlich und gelang nicht. Ein anderes Paar würde nun still gesessen und sein Glück der Eitelkeit, glücklich zu scheinen, geopfert haben. Lord Byron aber hatte zu viel Eigenwilligkeit und seine Gemahlin zu viel Offenheit – vielleicht auch zu viel Unruhe und Rachsucht. Die Ausschweifungen seiner Laune, denen er, (wenn er nicht gerade in der Stimmung war, sich selbst Vorwürfe zu machen), vielleicht über die Grenzen dessen, was er wirklich fühlte, nachgab, waren so beängstigend für ein junges und getäuschtes Weib, daß sie zu zweifeln anfing, ob er seiner Sinne mächtig wäre. Um hierüber zur Gewißheit zu kommen, ergriff sie Maßregeln, die ihn auf das äußerste beleidigten, und obgleich sie in gutem Vernehmen mit ihm war, als sie ein eben nicht angenehmes Haus verließ, um ihre Freunde auf dem Lande zu besuchen, und Lady Byron – wie ich keinen Zweifel habe – leicht von ihm zur Rückkehr hätte beredet werden können, wenn so viel Liebe oder nur Artigkeit auf seiner Seite gewesen wäre, als auf der ihrigen Verlangen, an seine Verdienste zu glauben, so ist es doch nicht zu verwundern, daß andre, welche sie soviel längere Zeit gekannt und geliebt, und welche kein Interesse dabei hatten, blind gegen seine Fehler zu seyn, sie überredeten weg zu bleiben. Das „Lebewohl,“ welches er schrieb und das so viele gefühlvolle weisse Taschentücher in Bewegung setzte, ging nur aus seinem poetischen Talente hervor, sich in eine eingebildete Lage zu versetzen und in der Gestalt eines andern sich selbst zu bemitleiden. Er hatte keine Liebe für den Gegenstand dieses Gedichts, sonst würde er nicht später über sie auf eine so völlig verschiedene Weise geschrieben haben. In der That, ich glaube nicht, daß er jemals das Glück hatte zu wissen, was wirklich Liebe ist; – wenn wir unter Liebe ein Verlangen verstehen, welches durch das Gefühl veredelt wird, und das Glück und die Erhebung des geliebten Gegenstandes bezweckt. Er konnte je und je eine Stelle schreiben, welche zeigte, daß er dieser Empfindung nicht unfähig war; aber die Leidenschaft, bei welcher es ihm Vergnügen machte zu verweilen, ist entweder die von muthwilligen Knaben, die eben die Schule verlassen haben, oder von Heldinnen, die sich mit Vergnügen einem etwas eigensinnigen Helden hingeben.“ –

„Es ist kein Zweifel, daß Lord Byron den Scandal der Trennung tief fühlte. Auch ist wahrscheinlich, daß er um so mehr nach der Anhänglichkeit seines Weibes sich zu sehnen anfing, als er sah, daß sie nicht zurückkehren würde. Die Unmöglichkeit, sie zu besitzen, gab ihr in seinen Augen einen höhern Werth. Auf alle Fälle piquirte die Lady seinen Eigensinn, der seine schwache Seite war; alle Cirkel wurden laut, ihn zu verdammen; auch war er besorgt um sein Kind, auf welches er, als seinen einzigen Repräsentanten und den Abkömmling zweier alten Familien, wenigstens vielen Stolz setzte. Aber diese Gefühle, welcher Art sie immer waren, hinderten ihn nicht, seinen Unwillen auf eine Weise zu äußern, welche alle seine Freunde beklagen müssen, noch auch sich später aller jener ehelichen Eigenthumsrechte zu bedienen, welche die galante und ritterliche Gerechtigkeit des stärkern Geschlechtes sich selbst zuertheilt hat, um einen Trost dafür zu haben, daß es nicht im Stande ist, das Weib glücklich zu machen.“

(Schluß folgt.)


Stendhals Reise in Italien.


(Schluß.)

Die Franzosen verdanken ihrer Galanterie, ob sie jetzt gleich ziemlich aus der Mode gekommen ist, die Leichtigkeit des Stils; aber in Italien ist die Liebe eine sehr ernsthafte Sache, welche man, fast wie in Paris Börsengeschäft, mit der größten Wichtigkeit behandelt. Die Damen lesen keine Romane, wie in den romantischen Ländern, Deutschland, Frankreich u. w. w. Dieses Nichtvorhandenseyn einer andern Lektüre als der strengen Geschichte ist einer der Hauptgründe, warum die Unterhaltung mit italienischen Damen so interessant ist. Da wo es eine neue Heloise oder irgend einen Moderoman gibt, wird eine Dame immer davon etwas darstellen, was sie nicht selbst ist; manchmal ist die zärtlichste Unterhaltung belesener Damen nichts als ein Flickwerk aus den Romanen, die sie bewundern: ihre Gefühle sind Phrasen, die ihnen erhaben geschienen. Die Italienerin erhält ihre Natur rein von solchen angelernten tausend Sachen, womit eine verschrobene Bildung prunkt. Die Lebhaftigkeit eines jungen Parisers, Mitglieds der Gesellschaft für die christliche Moral, Verfassers einiger deliciösen Gedichte, der mit feinem Witz unter allen Arten von literarischen Anspielungen herumhüpft, der in Einem Athem von Homer, von der Staatswirthschaft, von Bolivar, von Raphael, von der Chemie, von Canning, vom Handel der Römer, vom Vesuv, vom Kaiser Alexander, von Erasmus, von Paisiello und von tausend andern Dingen spricht, würde bei einer Italienerin weniger Glück machen, als ein Unterlieutenant aus dem mittäglichen Frankreich. Wenn der Italiener spricht, so ist er gedrängt, wie Tacitus, gerade das Gegenstück zum Franzosen; die Hälfte seiner Darstellung liegt in Gebehrde und Auge; wenn er aber schreibt, will er schöne toscanische Redensarten machen, und dann ist er geschwätziger, als Cicero; er läßt nirgends eine Ellipse gelten, als in der heftigen Leidenschaft, und doch ist trotz alles Strebens nach Deutlichkeit die italienische Prosa nichts weniger als leicht verständlich – eine Erscheinung, die sich nur aus dem Tiefsinn des Volks erklären läßt. Es hat Italien in keiner Periode seiner Geschichte an denkenden Männern und an großen Gelehrten gefehlt, und einige der größten Italiener gehören zu den größten des Menschengeschlechts. Das Herrlichste in der Natur, wie das Herrlichste in der Kunst giebt Ein Boden. Der Comersee, sagt ein Italiener, ist in der Natur, was die Ruine des

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_205.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)