Seite:Das Ausland (1828) 210.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Schriftsteller schuldig machen konnte. Doch lag dieser Ansicht ein größeres Zugeständniß zu Grunde, als er selbst vermuthen mochte; vielleicht hatten die Umstände ihn wirklich außer Stand gesetzt, einen richtigen Begriff von Shakspeare zu haben, obgleich seine Ueberzeugung gewiß der Wahrheit näher stand, als sein ausgesprochenes Urtheil. – Spenser konnte er gar nicht lesen, wenigstens versicherte er dieß. Der Geschmack dieses poetischsten aller Poeten stimmte mit dem seinigen in nichts überein. Ich lieh ihm einen Band der Fairy Queen (Feenkönigin) und er sagte: er wolle versuchen, Gefallen daran zu finden. Des andern Tages brachte er mir ihn zurück und sagte: „Hier, Hunt, hier ist euer Spenser. Ich kann nichts darin finden;“ wobei er es nicht erwarten zu können schien, daß ich ihm das Buch aus der Hand nehme, als ob er gefürchtet hätte, daß man ihn beschuldigen könnte, einen so unbedeutenden Schriftsteller nachgeahmt zu haben. Daß er wirklich gar nichts in Spenser fand, ist nicht sehr wahrscheinlich: aber ich glaube in der That, daß er nicht viel darin fand. Spenser war zu sehr außer, und er zu sehr in der Welt.“

Außer diesen Erinnerungen an Byron finden wir in Hunts Memoiren mehrere Züge von Thomas Moore, Campbell, Hook und andern public characters, von denen wir hier nur in Bezug auf die beiden letztgenannten Einiges ausheben wollen.

„Als ich diesen ausgezeichneten Mann (den Dichter Campbell zuerst sah, machte er auf mich den Eindruck eines französischen Virgils. Nicht daß er einem Franzosen gleichsähe, und am wenigsten dem französischen Uebersetzer Virgils – vielmehr fand ich ihn so hübsch, als der Abbé Delille häßlich gewesen seyn soll – aber er schien mir die ideale Vorstellung eines Franzosen von dem lateinischen Dichter zu verkörpern; etwas trockener und schärfer zugeschnitten, als ich erwartet hatte, gedrungen und elegant, kritisch und scharf in jedem Zuge das Bewußtseyn der Autorschaft; ein ängstliches Bestreben, sich keine Blöße zu geben, und ein Verfeinern und Abschleifen der Natur, wie in dem Spiegel eines Putzzimmers. In dieser Auffassung seines Charakters wurde ich in dem Laufe der Unterhaltung dadurch bestärkt, daß er sich über die Größe Racine’s verbreitete. Er hielt dabei einen Band des französischen Tragikers in der Hand. Seine Stirne war scharf und fein, und – um mit dem Phrenologisten zu reden – mit allen jenen Reflexions- und Liebesorganen, die man in seiner Poesie wiederfindet. Sein Gesicht und seine Gestalt waren von etwas kleinem Maaßstabe; seine Züge regelmäßig; sein Auge lebendig und durchdringend; und wenn er sprach, spielten Grübchen um seinen Mund, der aber nichts desto weniger etwas zurückgezogenes und verschlossenes an sich hatte. Es war als ob eine hübsche Puritanerin in seine Familie gekommen wäre, und zum Zeichen davon auf seinen Zügen jenen Ausdruck zurückgelassen hätte, welchen wir auf dem weiblichen schottischen Gesichte häufiger als auf dem männlichen sehen. Doch schien er dafür nichts weniger, als dankbar zu seyn. War er mit seinen Kritiken und seinem Virgilianismus zu Ende, wie wenig einem Puritaner ähnlich sprach er da! Schnell schien er alles, was ihn eine Zeitlang lästig beengt und beschränkt hatte, von sich zu werfen, und auf einmal aus Delille’s Virgil in den Cotton’schen verwandelt, loszubrechen, wie ein Knabe, der aus den engen Wänden der Schule gelassen wird. Wenn ich jetzt das Vergnügen habe ihn zu hören, so vergesse ich seinen Virgilianismus und denke nur an den angenehmen Gesellschafter, den offenen Menschenfreund und den Schöpfer einer Schönheit, die so viel werth ist, als alle Heldinnen Racines zusammengenommen.“

„Eines Tags kam zu Sydenham Mr. Theodor Hook unerwartet mit zu Tisch, und ergetzte uns sehr durch sein Talent, Verse zu extemporisiren. Er war damals ein schlanker, bräunlicher junger Mann, von gutem Aussehen, mit kleinen Augen und mehr vollen als hageren Zügen; ein Gesicht, das Ausdruck und Laune hatte, aber wenig Feinheit. Seine Extempore-Verse waren in der That überraschend. Es ist leicht genug, im Italienischen zu extemporisiren – und man muß sich nur verwundern, wie in einer Sprache, wo alles sich vereinigt, das Versemachen zu erleichtern und in der es schwer ist, Reime zu vermeiden, auf dieses Talent noch soviel Gewicht gelegt werden kann – aber im Englischen ist dieß etwas ganz anderes. Ich kenne nur einen einzigen Mann, außer Mr. Hook, der englische Verse improvisiren kann, und diesem fehlt die Fähigkeit, vielleicht das Selbstvertrauen, dieß öffentlich zu thun. Ich spreche hiebei natürlich von Reimen. Reimfreie Verse zu extemporisiren wird man, mit geringer Uebung, im Englischen eben so leicht finden, als das Reimen im Italienischen. Bei Mr. Hook unterlag sein dießfalsiges Talent keinem Zweifel. Er konnte nicht wissen, wer die Gäste alle seyn würden, und noch weniger kannte er den Gegenstand der Unterhaltung, als er eintrat und er sprach lange mit, bis er aufgefordert wurde, als Improvisator aufzutreten; dennoch flossen seine Scherze und seine Verse auf uns alle mit höchster Leichtigkeit – indem er von jedermann etwas Charakteristisches sagte oder ein Wortspiel gebrauchte, und endlich eine höchst unterhaltende Scene einer ländlichen „Lästerschule“ darstellte, worin die Mitglieder der Gesellschaft sprechend eingeführt wurden, Mr. Campbell aber, der mit gegenwärtig war, zur Zielscheibe des Witzes diente. Ich habe seit dieser Zeit mich nicht enthalten können zu wünschen, daß Mr. Campbell etwas weniger genau und sorgfältig in dem seyn nöchte, was er für das Publikum arbeitet. Mr. Campbell zeigt sich als Autor sehr für eine gewisse Feinheit und Classicität eingenommen, wenn gleich nicht ohne eine große Beimischung von Pathos und üppiger Phantasie. Sein lustiger Jongleur, Mr. Hook, hat vielleicht zu nichts weniger Neigung, als zu irgend einer dieser Kostbarkeiten; doch muß ich gestehen, daß ich bei dem bloßen Vergnügen der Erinnerung an den Abend, den ich mit ihm zugebracht hatte, nicht im Stande war einen Wunsch zu unterdrücken, der vielleicht eben so wenig verständig war, als der andere: nämlich, daß Mr. Hook, statt über Politik zu schreiben, bei diesen humoristischen Schwänken und Farcen bleiben möchte, zu denen er allein wahres Talent hat.“

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_210.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)