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Das Ausland. 1,2.1828

nur der Wiederhall seiner bisherigen Ermahnungen: Maria aber hörte ihn nicht. Sie war mit ihren Andachtsübungen beschäftigt, indem sie mit lauter Stimme und in lateinischer Sprache lange Stellen aus dem Buche der Psalmen wiederholte[1] Hierauf betete sie in englischer Sprache für die bedrängte Kirche Christi, für ihren Sohn James, und für die Königin Elisabeth. Beim Schlusse rief sie, das Crucifix in die Höhe haltend, aus: „Wie deine Arme, o Herr, ausgestreckt waren am Kreuze, so empfange mich nun in die Arme deiner Gnade und vergib mir meine Sünden!“ – „Madame,“ sagte der Graf von Kent, „ihr thätet besser ihr ließet solche papistische Lappereien, und trüget ihn im Herzen.“ Sie antwortete: „Ich kann die Darstellung seiner Leiden nicht in meinen Händen halten, ohne ihn zugleich in meinem Herzen zu tragen.“

Als nun die beiden Dienerinnen, in Thränen gebadet, ihre Gebieterin zu entkleiden begannen, schlugen sich die Henker, welche befürchteten ihre gewöhnlichen Gebühren zu verlieren, hastig dazwischen. Die Königin machte Gegenvorstellungen, gab jedoch im Augenblick ihrer Rohheit nach, indem sie gegen die Grafen lächelnd bemerkte, daß sie nicht daran gewöhnt sey, sich solcher Hände zu bedienen, und sich in Gegenwart einer so zahlreichen Gesellschaft zu entkleiden. Als ihre Diener ihre Souveränin in diesem bejammernswerthen Zustande erblickten, konnten sie ihre Gefühle nicht zurückhalten. Maria aber gebot ihnen, den Finger auf ihre Lippen legend, Stillschweigen, gab ihnen ihren Segen, und bat sie für sie zu beten. Dann setzte sie sich noch einmal. Kennedy verband ihr mit einem goldgesäumten Sacktuche die Augen. Die Henker hielten sie bei den Armen und führten sie zum Blocke. Die Königin kniete nieder und sagte wiederholt mit fester Stimme: „In deine Hände, o Gott, befehl ich meinen Geist.“ Das Schluchzen und Wehklagen der Zuschauer aber brachte den Henker aus der Fassung. Er zitterte, verfehlte seinen Augpunkt, und schlug eine tiefe Wunde in den untern Theil des Schädels. Die Königin blieb bewegungslos; erst auf den dritten Streich ward ihr Haupt vom Rumpfe getrennt. Als der Henker es in die Höhe hob, waren die Muskeln des Gesichts so krampfhaft verzogen, daß man die Züge nicht mehr erkennen konnte. Er rief wie gewöhnlich: „Gott segne die Königin Elisabeth!“

„So sterben alle ihre Feinde!“ setzte der Decan von Peterborough bei.

„So sterben alle Feinde des Evangeliums!“ rief, in noch höherem Tone, der fanatische Graf von Kent.

Aber keine Stimme sagte Amen. Wer fühlen konnte, war versunken in Mitleid und Bewunderung.




Die transatlantischen Staaten und Colonien am Schlusse des Jahres 1827.


(Fortsetzung.)
11.

Die Republik Argentina, oder die sogenannten Vereinigten Staaten des Platastromes (Estados unidos del Rio de la Plata): Buenos Ayres, Cordova, Mendoza, San Juan de la Frontera, S. Luis de la Punta, Rioja, Catamarca, Santiago del Estero, Tucuman, Salta, Tarija, Sante Fe, Entre Rios, Corrientes, und – Banda Oriental, 70,000 Q.M. 2,500,000 Einwohner – stellen seit ihrer Befreiung im Jahre 1810 das anziehende Schauspiel einer Föderativ-Republik in allen durch diese Verfassungsreform bedingten Verwicklungen dar. Die durch Welthandel und den Umgang mit allen Nationen längst gebildeten Bürger der Stadt Buenos Ayres, und deren Regierung wünschten und bestrebten sich eifrigst die westlich und nordwestlich gelegenen Ortschaften, die bereits zur Zeit der spanischen Herrschaft mit der Stadt als Vicekönigreich Buenos Ayres vereinigt waren, wieder unter Einen Staat zu bringen, um dadurch eine Staatsmacht und einen Staatscredit zu begründen. Wirklich herrscht in dieser Handelsstadt ein herrlicher ächt republikanischer Geist, viel Gemeinsinn, Gastfreundschaft, Sinn und Neigung für freisinnige Bildung, selbst im Kreise der Frauen. Deutsche Reisende nennen Buenos Ayres das südamerikanische Hamburg. Doch eben dieß rege Leben, diese Befreiung von Vorurtheilen, und manche Localvortheile, erregen den Neid der landwärts einliegenden Staaten; Cordova unter Bustos, San Juan unter Quiroga-Facundo und Santiago unter Ibarra, wollen sich von der Hafenstadt (Porto, so heißt Buenos Ayres im Innern) nicht beherrschen lassen, wo so viele „Lutheranos“ sind. Diese und andere Staaten, alle eigentlich nur Landstädtchen und Flecken mit einem angebauten Weichbilde, durch Wildnisse geschieden, nähren, gleich den Ständen des vormaligen deutschen Reichs, eine wahrhaft spießbürgerliche Eifersucht gegen ihre Nachbarn. Dazu kommt das Vorbild der Hartnäckigkeit, welches der Dictator Francia in Paraguay, dem fruchtbarsten, reichsten Bestandtheil des vormaligen Vicekönigreich Buenos Ayres, giebt[2], wodurch zugleich der früher betriebene, höchst vortheilhafte Verkehr auf dem Paranastrom völlig gehemmt wird. In Betracht dieses zerrütteten Zustandes der Republik Argentina, die eigentlich nur Buenos Ayres heißen sollte, muß es in Europa, wo alle Staaten mit Recht schon hinsichtlich der Kostspieligkeit, das Wagespiel des Krieges scheuen, sehr räthselhaft erscheinen, daß eine so wenig organisirte Staatsgesellschaft, eigentlich nur eine einzige Handelsstadt von etwa 50,000 Einwohnern, die an Volkszahl der Hauptstadt Bayerns nachsteht, und etwa ein Dritttheil der jetzigen Bevölkerung von Hamburg enthält, sich erdreisten durfte, den Aufstand einer durch Sprache und Sitte verwandten Provinz, der Banda oriental, gegen ein benachbartes Kaiserreich zu unterstützen, ja, daß sie den Kampf gegen dasselbe ungeachtet der Blokade des Rio de la Plata, welche ihre Bevölkerung in die größte Noth versetzt, mit römischer Standhaftigkeit größtentheils siegreich besteht. Das Volk in der Umgegend des Uruguay und des Rio de la Plata griff, auf die Nachricht der Kaiser rücke an, um Buenos Ayres zu züchtigen und zu unterwerfen (M. s. die Proclamation des Präsidenten der V. Pl. St., Rivadavia, vom 16 December 1826) zu den Waffen und erkämpfte am 20 Februar 1827 den Sieg bei Ituzaingo, in dessen Folge ein Theil der südlichsten Provinz des brasilianischen Reichs, Riogrande do Sul, erobert ward. Argentinische Kaper umschwärmen die brasilischen Küsten und fügen dem Küstenhandel unsäglichen Schaden zu. Allem Anschein nach wird Brasilien sich daher genöthigt sehen, den so ungleichen Kampf durch Zugeständnisse zu enden und seinen Ansprüchen auf Montivideo, den Schlüssel des Platastromes, zu entsagen.

(Schluß folgt.)


Berichtigung.

In der gestrigen Nummer (58) dieses Blatts S. 230 Sp. 1 Z. 18 v. u. statt „Vereinigung“ l. „Einheit.“ Auf der nämlichen Seite Sp. 2 Z. 12 v. o. st. Heinrichs VIII l. VII.

  1. Diese Stellen waren aus den Psalmen 31, 51, 91.
  2. M. s. historischer Versuch über die Revolution von Paraguay und die Diktatorialregierung von Dr. Francia. Ein Abschnitt der Reise nach Paraguay von J. R. Rengger und M. Longchamp. Stuttgart u. Tüb. 1827.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_248.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)