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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 62. 2. März 1828.

Ismaïl Gibraltar in Europa.


Durch Zufall wurde ich[1] mit einem der Männer bekannt, welche dem Pascha von Aegypten in seinen, vielleicht so folgenreichen Versuchen, die Kunst der Europäer nach dem Orient zu verpflanzen, am wirksamsten und kräftigsten zur Seite standen. Ismaïl, in Konstantinopel von armen Eltern geboren, ward schon in seiner frühen Jugend nach Aegypten gebracht, wo er lange in untergeordneten Stellen blieb. Er hatte fast alle Vorzüge seines Volkes, ohne von dessen Fehlern beherrscht zu werden: große Entschiedenheit und Festigkeit, Geistesgegenwart, ein blindes Vertrauen auf das Schicksal, einen absoluten Fatalismus, der indeß keineswegs in Indolenz ausartete, Freimuth und Adel der Seele. Er war von kräftiger Gestalt, trotz der Zartheit, ich möchte sagen, der Anmuth seiner Formen. Seine Bewegungen waren ruhig, männlich schön.

Während seine körperlichen Vorzüge ihn dem Pascha bemerklich machten, wurde er ihm durch seine Talente bald unentbehrlich. Ismaïl sprach geläufig italienisch; er war thätig, und fühlte in sich die Aufforderung sein Glück zu machen. Mehemed Ali sandte ihn nach Schweden, Italien, England, um Schiffe und Segelwerk zu kaufen. Er war der erste ägyptische Unterthan, der die Meerenge von Gibraltar durchschiffte; als er zurückkehrte, erhielt er vom Pascha davon seinen Beinamen. Von nun an nannte er sich Ismaïl Gibraltar, und rückte schnell zu den ersten Stellen des Reichs empor.

Dieser außerordentliche Mann vorzüglich ist es, der dem Pascha von Aegypten Geschmack an den Künsten und der Civilisation Europas beibrachte. Ich sah ihn in London im Jahr 1804. Nicht ohne Interesse wird man die Erzählung seiner Reise lesen, wie ich sie meist aus seinem eigenen Munde hörte.

Ein schlechter griechischer Pilot führte sein Fahrzeug. Eine alte Charte der Weltkugel, ein verrosteter Kompaß, eine Seeuhr, deren Gebrauch niemand kannte, und eine englische Boussole dienten der Unwissenheit Panajotti’s – so hieß der Pilot – mehr dazu damit zu prahlen, als sich darnach zu richten. Die Schiffsmannschaft bestand aus Aegyptiern: Trägheit, Gleichgültigkeit und Gehorsam waren ihre einzigen hervortretenden Eigenschaften. Man stößt vom Lande. Che sara sara[2] wiederholt Ismaïl in der lingua franca. Die Segel sind aufgezogen. Der ottomanische Columbus streckt sich auf die Polster, mit denen man das Verdeck belegt, sieht allmälig am Horizonte die Minarets von Alexandria hinuntertauchen, und vertraut sich den Wellen, den Winden und seinem Sterne.

„Allah ist groß, und Mahomet sein Prophet!“ mit diesen Zauberworten wirft er einen letzten Blick auf die Ufer von Mesr[3], von denen ein frischer Wind das Fahrzeug entfernt. Während er in gemächlicher Ruhe Tabakswolken aus seiner langen Pfeife bläst, unterhält der griechische Navarchos, getreu der servilen und geschwätzigen Weise seines Volks, die Muße seines Herrn mit wunderbaren Erzählungen. Er sagt ihm, wie die Europäer den Blitz anziehen und gleich den Vögeln fliegen; er erzählt ihm von seinen langen Reisen im Schnee und Eis des Nordens. Der Ottomane glaubt kein Wort, schweigt, bleibt unbeweglich, und hört, in seinen langen Bart lächelnd, Panajotti’s Geschichten ruhig mit an. Da beginnt der Sirocco zu wehen. Welcher Unterschied zwischen dieser feuchten, heißen, ermattenden Atmosphäre, und den Bädern und Wohlgerüchen des Harems! Die Geduld des Muselmanns widersteht dieser ersten Probe. Er hüllt sich in seinen weiten Albornoz[4], weiß wie der Schnee des Gebirgs, zieht aus einem lakirten Kästchen den Koran, ein untrügliches Zeichen gegen jedes Ungemach des Lebens, gebietet dem griechischen Plaudermaul Stille und stellt seine lange Pfeife zur Seite. „Mortadi!“[5] ruft er aus, liest einige Verse und drückt die heiligen Blätter an sein Herz. Was geht es ihn an, ob Wasser in das Schiff dringt, ob man die Segel einziehen muß, oder wie viel Ankertaue man in einer Stunde spinnt? Dieß ist die Sache des Piloten. Seit dem Beginn der Zeiten steht sein Schicksal hoch über den Sternen geschrieben. Nichts kann ihn in Unruhe setzen: sein Almoschack[6] ist ihm Bürge.

Das Schiff steuert vorwärts; Panajotti hatte sich nicht getäuscht. Er betete, er fluchte und bekreuzte sich, und so war es ihm gelungen das Fahrzeug auf gutem Wege zu

  1. Diese Charakteristik Ismaïls ist aus dem New Monthly Magazine gezogen.
  2. Ce qui sera, sera
  3. Aegypten.
  4. Ein weißer Mantel.
  5. Geliebter Gott!
  6. Das heilige Buch.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_257.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)