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Das Ausland. 1,2.1828


Ansichten verführen lassen, und mag wohl oft, wie es ja den Klügsten geht, in den Büchern der Schule von Confutse weniger das gesehen haben was sie enthalten, als was er darin suchte. Wie dem auch seyn mag, Tschu-hi brachte alle die zerstreuten Ansichten, die er in den King’s fand‚ in Ein Ganzes , und erklärte sie aus gleichförmige Art; und da seine Werke ein vollständiges Ganze bildeten, gelehrt, tiefsinnig und angenehm geschrieben waren, so breiteten sie sich schnell aus, wurden in den Schulen angenommen, und erregten die Bewunderung der Gelehrten seiner Zeit so sehr, daß sie allgemein anerkannt wurden, und noch heute anerkannt sind. Das Ansehen seiner Commentare ist fast dem der Texte gleich, und während man glaubt sich an Confutse oderTse-tze zu halten, ist es im Grunde Tschu-hi dem an folgt, und von dem man sich leiten läßt. Alle neueren Commentare und die tartarischen Uebersetzungen sind in diesem Geiste geschrieben, so daß der Vortheil einer immer klaren und scheinbaren Erklärung die sie einem anbieten, auf der andern Seite durch die Furcht aufgewogen wird, sechshundertjährige Ideen für die alten von dreißig Jahrhunderten, das neue für das alte, das secundäre für das ursprüngliche, und die Ansichten eines Commentators aus dem Mittelalter für den Glauben des hohen Alterthums zu nehmen.

Nachdem Tschu-hi seine Ansicht über die zu erklärenden Stellen in seinen Commentaren an ihrem Ort ausgesprochen hatte, setzte er in einem eigenen und dogmatischen Werke, das er Naturphilosophie betitelte, seine Principien auseinander, und erhielt dafür allen Beifall, den er durch eine klare Methode und einen schönen classischen Styl verdient hatte. Allein obgleich diese Schrift oft nur aus zusammengestellten Stellen der classischen Schriftsteller besteht, so daß man glauben könnte, den Text derselben vor sich zu haben , so ist es doch nur der kleinste aller der Vorwürfe, die man ihm machen kann, daß er den erhabenen Sinn mancher Stellen von Confutse verkannt, daß er das zweideutige und nur hingeworfene derselben bestimmt und positiv ausgedrückt, kurz daß er dem wohlberechneten Skepticismus des chinesischen Sokrates einen reinen Materialismus untergelegt habe.

Tschu-hi nimmt, wie seine Vorgänger, Ein weltbeherrschendes Princip an; er nennt es Himmel, Schicksal, Natur, Weltordnung; dieß sind ihm gleichbedeutende Namen. Himmel heißt es, sofern es durch sich selbst existiert; Schicksal, sofern es alle Wesen regiert; Natur, sofern es die absolute Substanz ist, die Allem Seyn und Leben giebt; Weltordnung endlich, um die gegenseitigen und nothwendigen Verhältnisse anzuzeigen, welche zwischen allen Wesen und bei allen ihren Aeußerungen bestehen. Allein unter Himmel ist natürlich nicht die die blaue Wölbung über uns zu verstehen: seine Substanz ist das All; sein Einfluß ist das Schicksal; seine Aeußerung in uns ist unsere Natur, deren Wirkung sich in unsern Neigungen zeigt, welche ursprünglich gut und naturgemäß sind, so lange sie nicht verdorben werden. Die Vernunft, welche schon bei Confutse auf eine so unbestimmte Stellung beschränkt war, wird nun zum bloßen Wort, und durch eine Sophisterei im Ausdruck wird sie zur Regel und Richtschnur der Dinge. Der große Gipfel ist nur ein anderer Name für die Weltordnung; diese äußert sich in zwei Formen, welche wechselweise auf einander wirken, nämlich als Bewegung und Ruhe, Thun und Leiden, und so fort in allen Eigenschaften, die einander direct entgegengesetzt sind. Auch die Materie hat zwei Formen, grobe und feine Materie; sie enthalten alle die Kräfte, welche das All gebildet haben und erhalten; aber nichts war vor ihnen, denn wenn auch ihre Thätigkeit irgendwo zu wirken anfängt, so haben sie früher anderswo sich geäußert. Bewegung und Ruhe bilden das Wesen des All. Himmel, Erde und alle Wesen sind nur durch diese ewig wirkenden zwei Kräfte; die Eigenschaften des Körpers, die Wirkungen der Natur, die Elemente, die atmosphärischen Erscheinungen, die Vegetation, das Leben, die Neigungen, der Verstand - alles hängt ab von der Bewegung und der Ruhe, und folglich (dieß ist der Schluß den wir daraus ziehen) von der Lage der Atome der ätherischen oder soliden Materie; alles ist wechselsweise Action und Substanz, Reaction und Ruhe; Genien und Dämonen sind nur Aeußerungen von zwei Naturkräften. Uebrigens giebt es wirklich Genien und Dämonen? Dieß ist eine Frage, sagt, Tschu-hi, welche man nicht so kurz beantworten kann; daher widmet er ihr auch 108 Seiten. Das Bewußtseyn liegt im Verstande (Herzen) der ätherischen Produktion der Naturtraft, wozu die Ordnung allein ohne active Kraft nicht hinreicht, wie eine Wachskerze oder ein Talglicht der Flamme bedarf, um zu erleuchten. Bei diesen Definitionen und Erklärungen zeigt sich Tschu-hi (so weit der gegenwärtige Zustand der Kenntnisse des Chinesischen zu schließen erlaubt) oft als ein Sophist, der sich mit Worten begnügt, und seinen Lesern dasselbe zumuthet; er erscheint als einer der formellen Menschen, welche sich mehr damit beschäftigen, gleichbedeutende oder entgegengesetzte Ausdrücke zusammenzustellen, als Ideen in ein Ganzes zu vereinigen, und die viel aufgeklärt zu haben meinen, wenn sie ein kahles Fächerwerk abstracter Formeln regelmäßig aufgerichtet. Jedenfalls ist klar, daß er durch Zerstörung der Unbestimmtheit in welcher die alten Chinesen ihre zwei Principien gelassen hatten, mit seiner Lehre von Thätigkeit und Ruhe zu ganz materialistischen Erklärungen, auch der intellectuellen Erscheinungen, genöthigt ist. Die atomistische Lehre ist nach ihm in spätern Compilationen, die unter dem Titel „Beiträge zur Naturphilosophie“ u. s. f. erschienen sind, noch weit deutlicher ausgesprochen worden. Alle alten Bücher sind, gezwungen oder ungezwungen, nach diesem System der Thätigkeit und Ruhe des Aethers und der festen Materie erklärt worden; so wie man bei uns oft Menschen trifft, welche einige technische Ausdrücke aus der Physik aufgefaßt haben, ohne einen bestimmten Sinn damit zu verbinden, und glauben daß sie alle Naturerscheinungen erklären, wenn sie Expansion, Contraction, Attraction, Repulsion, Polarisation u. s. f. sagen können.

(Schluß folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_264.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)