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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 65. 5. März 1828.

Die Gemäldeausstellung im Louvre zu Paris im Jahre 1827.


(Fortsetzung.)

Zur Zeit ihrer ausschließlichen Herrschaft hatte die Schule David’s, welche die Darstellung von Scenen aus dem gewöhnlichen Leben mit Verachtung, als etwas, das unter ihrer Würde sey, betrachtete, die Staffeleimalerei entmuthigt und gewissermaßen völlig aufgehoben; alles, was in dieser Gattung noch geduldet wurde, waren mythologische Gegenstände oder aus der griechischen Poesie entlehnte Hirtenscenen, die mit einer Geistlosigkeit ausgeführt wurden, der nur die Trockenheit gleichkam, welche man auf die Vorstellung von Begebenheiten der alten Geschichte übertrug. Die Wichtigkeit, welche mit der Rückkehr des Friedens den gesellschaftlichen Verhältnissen, dem häuslichen Leben und dem Innern der Familien wiederkehrte, machte plötzlich Vorfälle und Ereignisse der Kunst würdig, in welcher die handelnden Personen sich nicht über den Privatstand erhoben und keinen berühmten Namen besaßen. Die Darstellung der Leiden des Volks, alltäglicher Begegnisse, menschlicher Schwächen wurde interessant, wenn sie nur wahr und nicht niedrig war. Ein Gemälde von Prudhon, die arme Familie, war in dieser neuen Gattung eines von denjenigen, welche das meiste Glück machten. Die Ausführung war darin weniger vollkommen, als die der holländischen Schule; aber das Interesse der rührenden Scene, der tiefe Ausdruck der Charactere entschädigte reichlich für die materielle Unvollkommenheit. Auch die Soldatenwittwe von Scheffer, das Duell von Vigneron erhielten den allgemeinen Beifall des Publikums. Eine Menge anderer Staffeleigemälde, fast alle ausgezeichnet durch die Einfachheit des Gegenstandes und die Schärfe oder Feinheit der Idee, bildeten in der Ausstellung von 1822 eine neue Aera für diese Gattung der Malerei, und etwas voreilige Kunstrichter standen nicht an, sie für die einzige der neuen Richtung der Sitten und des Nationalgeistes entsprechende zu erklären.

Mit Ausnahme des Fortschrittes, welcher durch diese Art von Revolution in der Genremalerei bezeichnet wurde, blieb die neue Schule während der Zeit, die zwischen den Ausstellungen von 1816 und von 1824 lag, auf demselben Standpunkte stehen. Diese Leere wäre ohne Zweifel durch die beiden großen Schöpfungen Gericault’s ausgefüllt worden, wenn der Tod diesen großen Künstler nicht im Anfange seiner schönsten Laufbahn hingerafft hätte. Der Ausstellung von 1827 war es vorbehalten, den Gang und die Richtung des neuen Geistes auf freie und entschiedene Weise auszusprechen; Freunde von Gericault, gleich ihm aus der Schule Guerin’s hervorgegangen, traten mit großen Compositionen auf, in welchen sie, obwohl die von ihrem Vorgänger vorgezeichnete Bahn verfolgend, das Glück hatten, jeder in seiner Art, einen originellen Charakter und ihnen eigenthümliche Eigenschaften zu entwickeln. - In der Reaction, von der gegen das Jahr 1778 die classische Schule ausging, hatten die Neuerer einen festen und bestimmten Zweck, nämlich die äußersten Grenzen der Vollendung in der Zeichnung zu erreichen; ihre Entwicklung konnte nicht anders, als regelmäßig und systematisch seyn; sie mußten nach und nach alle jene Eigenschaften vernachläßigen, die nicht zu dem einzigen Ziele ihrer Anstrengungen und ihres Wetteifers führten. Sie mußten sich ferner streng auf die Nachahmung des Meisters beschränken, der zuerst an diesem Ziele angekommen war, und sich nur durch den größeren oder kleineren Abstand, der sich zwischen ihm und ihnen selbst befand, unterscheiden.

Ganz anders aber mußte es sich mit der romantischen Reformation verhalten; denn dieß ist der Name, welchen man ihr gibt. Diese Reform hatte nichts weniger als einen speziellen und bestimmten Zweck vor Augen; sie hatte ein Streben von viel weiterem Umfange - die Befreiung der Malerei von einem Systeme willkürlicher Gesetze und Beschränkungen. Daher fand der Führer der Schule, Gericault, unter seinen Nachfolgern zwar leidenschaftliche Bewunderer, aber keine sclavische Copisten. So erschienen in der Ausstellung von 1824 Delacroix, Sigalon, Scheffer und Saint-Evre. Ein merkwürdiger Umstand war, daß neben diesen jungen und bisher in der Schule wenig bekannten Malern, andere Künstler auftraten, die sich bereits in der classischen Richtung ausgezeichnet hatten und jetzt diese mit ihren conventionellen Schönheiten verließen und ihre Ideen unter einer neuen und originellen Form darstellten. Diese Ueberläufer von der Schule Davids waren Ingres, Schnetz und Delaroche.

Das Gemälde von Delacroix, welches das Blutbad von Scio darstellte, stand mehr als irgend ein anderes im Gegensatze zu dem alten traditionellen Geiste; ein Colorit, kaum weniger glänzend, als das der venetianischen Schule, eine Zeichnung, vielleicht ohne Eleganz, aber kräftig characterisirt, Ausdruck neben einem gänzlichen Mangel an Schönheit, eine Composition, in welcher der Vorsatz, die


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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_269.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2023)