Seite:Das Ausland (1828) 272.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Sinne wieder erhalten, und gab ihm nun, in seiner Art, von allem die wahrhaftigsten Erklärungen und Beschreibungen.

„Sagt mir, im Namen des heiligen Propheten, ist dieß der große Vereinigungspunkt der Stämme?[1]“ fragte Ismaïl, als sie nach London kamen; „das ist das sonderbarste Getümmel, das ich noch in meinem Leben gesehen und gehört habe.“ Er durchstrich die glänzenden und volkreichen Quartiere der Stadt, geführt von Panajotti, der ihn endlich in eine obscure Kneipe von Wapping, in der Nähe der Ratcliffe-Straße brachte, um dort sein Nachtlager zu nehmen. Panajotti verdankte diese Adresse der Gefälligkeit eines Landsmannes, eines armen Matrosen, der nach England gekommen war, und dieses Asyl seinem magern Beutel sehr angemessen gefunden hatte. Da residirte also nun der orientalische Bevollmächtigte, der Gesandte eines Souveräns, unter dem Schilde des spinnenden Schweines, mitten unter Schiffsjungen, Matrosen und Freudenmädchen.

Indessen stieg Ismaïl gar kein Gedanke auf, als ob sein gegenwärtiger Aufenthalt unpassend für ihn wäre. Die Herberge, obwohl nur für den Pöbel bestimmt, war doch, wie alle solche Wirthshäuser in England, reinlich und bequem. Sie hatte ihre Tapeten, ihre feine Leinwand und ihre blanken, glänzenden Röste. Die Betten waren gut gemacht, die Dienstboten aufmerksam und die Aufwärterinnen gefällig. Wie wohl fühlte sich Ismaïl, als der in einem sorgfältig aufgeputzten Zimmer, dessen ausgezeichnete Reinlichkeit und Ordnung fast für Luxus hätte gelten können, vor einem freundlichen Steinkohlenfeuer seine Beine übereinander kreuzte! Wie hätte Ismaïl an der fernen Küste Afrikas lernen sollen, welche Scheidung in Stämme und Kasten die Mode im Schoose der drei Königreiche angeordnet hat? welche Scheidungslinie den homme comme il faut in dem westlichen Theile Londons von dem Gentleman trennt, der auf der Grenze des bon ton lebt; mit welcher Verachtung sodann dieser auf den Handelsmann der City herabblickt, von dem jene Verachtung gleichsam wieder zurückprallt auf den Handwerker, von diesem auf die armen Leute der Vorstädte, und von diesen endlich auf die Canaille des Land- und Seevolks, unter die sich unsere ägyptische Excellenz nun versetzt fand!

Unbekümmert um all diese Dinge, äußerst zufrieden mit London und Wapping, nicht bekannt mit den großen Pflichten und den feierlichen Nuancen der Gewohnheit und Etikette, sandte Ismaïl sein Beglaubigungsschreiben an Se. Majestät in den Palast. Ohne Verzug kam die diplomatische Antwort, und der Tag seiner Präsentation ward bestimmt. Mit Ungeduld erwartete der Prinz-Regent, der jetzige König, die Ankunft des Aegypters. Genau um die von dem Staatssekretär bestimmte Stunde öffnen sich die hohen Flügelthüren von Carltonhouse einem der schönsten Männer des Jahrhunderts. Freundlich, aber mit imponirendem Blick, mit festem Schritte, in eben so einfacher als edler Haltung, in Goldbrocat und Scharlach gekleidet, von Diamanten funkelnd, mit einem fliegenden blauen Ueberwurf und einem prachtvollen seidenen Turban, mit breiten Perlenschnüren reich umhängt, und einem strahlenden Halbmond an goldner Kette, schreitet Ismaïl durch die lange Reihe von Höflingen in kurzen Hosen mit ihrem kleinen Hut unter dem Arme. Eine stille Majestät lag in allen seinen Zügen, mit einem hinreißenden Ausdruck von Wohlwollen. Das bleiche Gesicht, die großen schwarzen Augen, der lange dunkle Bart flößten unwillkührlich eine ehrfurchtsvolle Scheu ein. Er legte die rechte Hand auf seine Brust, erhob die linke an seinen Turban, und machte so eine der edelsten Begrüßungen, die man seit langer Zeit in dem Palast der brittischen Könige gesehen hatte. Man versichert daß der in dieser schwierigen Kunst erfahrenste Gentleman Englands[2], der competenteste Richter in Sachen des Anstandes und der feinen Sitte, nicht ohne Staunen der natürlichen Grazie, die sich in jeder Bewegung seines afrikanischen Gastes aussprach, den freundlichsten Beifall zollte. Die Anmuth vereinigte sich in ihm mit der Kraft, und er war, wie ein arabischer Dichter sagt, ein Felsen mit Blumen bedeckt.

Es bildet sich ein Kreis von Höflingen um ihn. Se. königliche Hoheit empfiehlt ihn der besondern Aufmerksamkeit seines edlen Bruders. Die Blicke der ganzen Versammlung sind auf ihn gerichtet. Man überhäuft ihn mit Schmeicheleien, Zuvorkommenheiten, Lobsprüchen. Aber wo logirt er? Er antwortet, ohne die mindeste Verlegenheit: „In Wapping, im Wirthshaus zum spinnenden Schwein.“ Man urtheile über die Wirkung dieser naiven Erklärung mitten unter den Baronnets und Herzogen des Reichs. Es gehörte alle Zurückhaltung dazu, die man an Höfen so gut lernt, daß die hohe Gesellschaft nicht in lautes Lachen ausbrach. Es kommt zu gegenseitigen Erläuterungen, und man versäumt nicht, Ismaïl zu rathen, so schnell als möglich sein Wirtshaus von Wapping mit einem glänzenden Hotel im Quartier noble zu vertauschen. Er zog also in den westlichen Theil der Stadt, wo der ungeheure Luxus aufs neue in Erstaunen setzte. Aber bei allen Festen und Vergnügungen, die man ihm bereitete, blieb er bescheiden, voll Anstand und Haltung in seinen Manieren und seinem ganzen Wesen. Er war entzückt von England und seinen gefälligen Bewohnern. Indessen rückte die Zeit der Abreise heran. Ismaïl besuchte noch verschiedene Länder, wohin seine geheimen Instruktionen lauteten, und erfüllte mit der seltensten Klugheit die Befehle seines Herrn.

Nach seiner Rückkehr veranlaßten seine Erzählungen den Pascha zu dem lebhaften Wunsche, die europäische Civilisation nach Aegypten zu verpflanzen. Er ward zum Amiralim[3] ernannt und fiel, im Kampfe der Griechen mit den Türken, im Jahr 1824 tapfer am Bord seines Schiffes. Ismaïl Gibraltar war der erste Gründer der ägyptischen Marine, und bestimmt das Loos der türkischen Seemacht zu theilen, deren tapfere, wenn auch unglückliche Gegenwehr gegen die vereinigten Escadern Europas, dem Morgen- wie dem Abendlande eine so große Lehre gab.

  1. Al-Azab.
  2. Georg IV.
  3. Admiral.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_272.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)