Seite:Das Ausland (1828) 278.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

einander genähert haben, wenn aus Ultraismus und Liberalismus Nüancen wurden, die oft in einander spielen, so ist der Grund davon, wie uns das Journal des Debats glauben machen will, nicht der, daß zwölf Jahre seit der Restauration verflossen, sondern daß die Doctrinärs der rechten Seite, mit Fievée an der Spitze, ohne ihren Chef zu wechseln, zu den Doctrinärs der linken Seite übergetreten sind. Ein System von ministeriellem Torysmus, verbunden mit einer Whig-Aristokratie à l’anglaise, war sonst das politische Glaubensbekenntniß des Journal des Debats. Man sprach von einer Repräsentation der Geistlichkeit, vom Erstgeburtsrecht, von Substitutionen, von Gemeinden mit Patriziaten. Die Demokratie selbst trug die Farbe der Aristokratie. So lautete die Sprache im Journal des Debats von der Restauration an bis zu dem Augenblick, wo Herr von Chateaubriand aus dem Cabinete trat. Schon etwas früher hatte sich Fievée in ein paar Flugschriften von seiner Linie entfernt. Er war zu Gunsten der Demokratie des Herrn von Villele gegen die Aristokratie des Herrn von Chateaubriand einiger Maßen in Opposition getreten. In diese Zeit fällt auch der Anfang des Zerwürfnisses mit der frommen Partei, als deren Haupt man den Herzog von Montmorency betrachtete.

Kaum war Herr von Chateaubriand auf eine, was die Form[1] betrifft, unbegreifliche Weise aus dem Cabinete gestoßen, so sah man die Doctrinärs der rechten Seite schnell linksum machen, und sich mit Einem Male in Doctrinärs der linken Seite verwandeln.

Welche Gründe zu Beschwerden auch Hr. v. Villele gegen Herrn von Chateaubriand haben mochte, so läßt sich doch des ersten Verfahren nicht leicht rechtfertigen: es lag in dieser Rusticität etwas beleidigendes für ganz Frankreich. Als sich dann aber der Unwille des verbannten Ministers in die öffentliche Blätter ausschüttete, da seufzten alle gutdenkenden Männer. Die Rache ist süß, aber es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf. Daß man auf seines Feindes Sturz losarbeitet, begreift sich; aber soll man deßwegen gleich mit Keulen drein schlagen? Alle Schwächen seiner Sache, alle Erbärmlichkeiten seiner Partei enthüllen, hieße doch wohl so viel als sich selbst anklagen, daß man sie vertheidigt, daß man sie im Conservateur ohne Vorbehalt und über Gebühr gepriesen, daß man sie in der Monarchie nach der Charte idealisirt habe. Denn ist gleich Herr von Chateaubriand weder für den politischen Absolutismus des Herrn von Bonald, noch für die Leiden, welche die Angst und der Abscheu vor der Publizität über Herrn Franchet gebracht, solidarisch verantwortlich, so ist er es doch für alle aristokratisirenden Auslegungen der Charte, namentlich zu Gunsten des Clerus und sogar zu Gunsten der Jesuiten, welche das Journal des Debats gegenwärtig aus allen ihren Anstalten hinausvotirt.

Herr von Montlosier hat die Blößen des Clerus, Herr von Chateaubriand die der Männer der Monarchie aufgedeckt. Das Werk des Herrn von Montlosier wäre verdienstlich gewesen, wenn es sich darin nicht um die Verfolgung alter Freunde, sondern blos um die Berichtigung ihrer Fehler gehandelt hätte; so ist es nun aber der Religion wie der Monarchie gleich verderblich geworden. Die Religion wird sich aus der Sache ziehen: die Ewigkeit gehört ihr an, und sie findet immer wieder neue Wege, die Welt zu erobern. Ob es aber auch die Monarchie kann? Ich weiß es nicht. Als sich Herr von Chateaubriand vor dem Altar der Elite der Demokratie niederwarf, hat er alle royalistischen Imaginationen entzaubert.

Wo noch ein kräftiger Geist war, der begleitete ihn in die neuen Reihen; die übrigen, die diesem Wechsel der Ideen nicht nachzukommen vermochten, blieben zurück und ließen sich tyrannisiren. Als Herr von Chateaubriand sich mit Royer-Collard indentifizirte, mußte sicherlich einer von beiden auf seine Grundsätze verzichten. Ich sage aber, Royer-Collard ist keine Linie von seiner Stelle gewichen.

Liebe, Achtung und Verehrung diesem würdigen Bürger! Die Huldigung, die seinem schönen Charakter in der gleichzeitigen Ernennung von acht Departements zu Theil wurde, scheint mir ein öffentlicher Triumph. Wie weit immer die Bemühungen der liberalen Partei, die sich durch die Wahlen ein glänzendes Ansehen geben wollte, eingreifen mochten, als man zu dieser Wahl schritt, so ist doch anzunehmen, daß sich darin eben so wohl auch der freie Wille des Volks aussprach, das durch jenes achtmalige Hervorziehen des Namens Royer-Collard aus der Urne die Anerkennung hoher Bürgertugend proclamirte. – Wenn ich mich über die Verbindung Chateaubriands mit Royer-Collard wundere, so glaube man ja nicht, daß ich die Vereinigung großer Talente ungern sehe – darin bestände die Stärke des Landes. Aber es ist hier ein Bund, den nicht sowohl Uebereinstimmung in den Grundlagen als Vermengung der Prinzipien gestiftet hat. Ich wäre zum Beispiel recht begierig, zu wissen, wie sie sich in Bezug auf die Angelegenheiten der Geistlichkeit – ich rede nicht von der Congregation, die sich in die Politik mischt, noch von Priestern, die im Dienste der Censur und der Polizei stehen – verständigt haben. Sollte es Herrn von Chateaubriand nicht leicht seyn, die letztere zu verdammen, ohne seine frühern kirchlichen Ansichten geradezu aufzugeben? Aber der große Schriftsteller und sein gefeierter politischer Freund, wie werden sie es halten mit der Frage von der Ausdehnung der Universitätsgerichtsbarkeit über die Seminarien, mit der Frage über Manns- und Frauenklöster, über die Jesuiten, und endlich mit der Lehre von der absoluten Freiheit der katholischen Kirche, wozu sich Herr von Chateaubriand einst bekannte? Ueber diese folgenreichen Fragen, die so leicht ein Interregnum religiöser Reaktionen herbeiführen könnten, sollte man sich mit Bestimmtheit erklären.

  1. Man sehe Dictionnaire historique de tous les Ministres depuis la revolution jusqu’en 1827; par M. Leonard Gallois, Paris 1828.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_278.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)