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Das Ausland. 1,2.1828

zwischen Widdin und Orsowa zu halten. Dieser Strom ist bei der jetzigen Lage der Türkei ihre wahre Militärgränze: aber selbst diese Vertheidigungslinie ist keineswegs so außerordentlich vortheilhaft, als es auf eine oberflächliche Betrachtung scheinen mag. Die vielen Windungen des Flusses erleichtern nämlich die Flügelbewegungen einer angreifenden Armee bedeutend, denn da die Türken nicht wissen, an welchem Punkte der Feind den Uebergang versuchen wird, so sind sie genöthigt, ihre Streitkräfte um so mehr zu vertheilen und dadurch zu schwächen, je länger die Linie ist, welche der Fluß bildet. Nur ein Feldherr von dem Genie des Prinzen Eugen könnte – durch einen ähnlichen Operationsplan, wie der so meisterhaft ausgeführte vom Jahr 1814 am Mincio – eine solche Stellung mit Erfolg vertheidigen.

Die Russen, denen es so leicht wird, 200,000 Mann ins Feld zu stellen, können außerdem noch auf die Hülfe von 25,000 Servieren rechnen, und sobald es ihnen gelungen ist, den Uebergang über die Donau zu forciren, so fällt ihnen sogleich ein großer Theil der christlichen Bevölkerung aller der Provinzen zu, welche im Süden dieses Stromes liegen. Nun müßten sie ihre ganze Macht gegen Adrianopel wenden, und zu gleicher Zeit eine Flotte auf dem schwarzen Meere zusammenziehen. Dann wäre die Lage der Türken, trotz der Talente und der Tapferkeit ihres jetzigen Hauptes, das unter seinen Landsleuten für einen zweiten Napoleon gilt, äußerst bedenklich. Der Nordwind bringt ein Schiff bei der reißenden Geschwindigkeit der Strömung in dieser Gegend in 48 Stunden von der Mündung des Don bis zum Eingang in den Bosphorus, und in noch weit kürzerer Zeit von dort nach den Dardanellen.

Die einzige Macht, welche das Vordringen Rußlands gegen Süden verhindern kann, und zugleich diejenige, welche das meiste Interesse dabei hat, daß es den Pruth nicht überschreitet, ist offenbar Oesterreich, wie wir in einem unserer folgenden Blätter weiter auszuführen gedenken.




Die französischen Journale.


(Fortsetzung.)


Die Quotidienne und die Etoile oder Gazette de France.

Vom Charakter der Quotidienne läßt sich nicht so leicht eine Definition geben. Der Haupteigenthümer ist ein Mann von viel Geist. Aber Herr Michaud, der als Gelehrter einen geachteten Namen hat, gehört nicht zu denjenigen Politikern, die sich Zeit genommen, ihre Meinungen zu fixiren, daß man ihr System unter einen allgemeinen Begriff bringen könnte. Lange Zeit diente sein Blatt dem Hofroyalismus zur Folie; es zeigte damals einen gewissen Hang zum alten Regime, ohne sich jedoch ganz zu der Heftigkeit der HH. Madrolle und Genoude hinreißen zu lassen, die uns im Anfang reinen Ultraismus gaben. Wer übrigens die Quotidienne mit einiger Aufmerksamkeit las, mußte sich überzeugen, daß ihr Royalismus nie der theoretische der HH. von Bonald und von Frenilly, sondern ein Royalismus der Neigung, die Persönlichkeit des Herrn Michaud war. Dieses Blatt enthält daher mehr gemüthliche Plauderei als politisches Räsonnement; weniger hochfahrend in seinem Ton als das Journal des Debats, zeigt es auch weniger Bestimmtheit in seiner Ansicht; mehr den Parteigeist vergnügend als die politische Vernunft, war es nie in dem Grade die Pythia der Faction wie das Journal des Debats. Da es endlich nicht lauter gleiche Interessen verfocht, so konnte es auch keinen sich gleichbleibenden Charakter haben.

Herr Michaud vereinigte bei der Gründung seines Journals eine Anzahl junger Talente, deren Schimmer der Partei der Emigration neue Proselyten zuführen sollte. Bei diesen jungen glänzenden Schriftstellern ist es auffallend, wie sie ihren Auftrag mit Eifer erfüllen, ohne daß, wie es scheint, eine sehr tiefe Ueberzeugung von der Wahrheit ihrer Sache sie durchdrungen hätte. Als Männer von Geist ähnlich den liebenswürdigen Weltkindern (roués) aus den letzten Zeiten des alten Regimes, wo dieß Modeton war, nehmen sie die Dinge von der leichten Seite, und bekümmern sich wenig darum, ob es Recht sey oder nicht, gegen eine Ansicht oder gegen eine Person zu schreiben oder zu reden: man kann nicht unterhaltender mit dem Ultraismus spielen. Indessen erscheinen demjenigen, der diese Ultraisten nicht aus der Nähe kennt, ihre Absichten sehr ernsthaft. Aber sehen muß man sie diese Schlösserbewohner, man muß einer Sitzung dieser leidenschaftlichen Contreopposition beiwohnen, um sich an ihnen recht zu erbauen. Welches Feuer, wenn sie ihre Artikel berathschlagen!

Als sich die Quotidienne gegen die weiland Etoile oder die Gazette de France in Harnisch warf, das war ein seelenzerschneidender Schmerz. „Auch du!“ rief Herr Genoude aus, als er das Journal des Herrn Michaud las. „So giebt es also keinen Royalismus mehr auf Erden! Wie! ist das die Quotidienne, welche die Liberalen bald die schluchzende Nonne, bald die ehrsame Wittwe der adeligen Vorstadt nennen, die nun ihre vatermörderische Hand gegen die Erkorenen der rechten Seite erhebt, gegen diese Minister, zu deren Gunsten die alte Majorität der Chambre introuvable votirt, die die HH. von Sallaberry und von Saint-Chamans mit dem Gewicht ihrer Beredsamkeit noch immer aufrecht halten!“ Die Quotidienne blieb übrigens auch der Etoile nichts schuldig. „Elende, rief sie, bist du nicht den Grundsätzen abtrünnig geworden, um dich an einen Menschen zu verkaufen? Bist du nicht die Verwegene, die den liebenswürdigen Humor ihres Herrn gegen die Pointus aufmuntert? Umsonst, Despotin, möchtest du allein herrschen, und deine alten Freunde ausschließen! Höre auf, die Sache zu verrathen, die du zu vertheidigen vorgibst! Zeïstin in Spanien, hältst du es in England mit Canning, in Frankreich mit Rothschild; du bekennst deine Brüderschaft mit Boyer; – nein, du bist nicht mehr auf der Höhe der heiligen Allianz.“

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_287.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)