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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 72. 12. März 1828.

Vergrößerung der brittischen Macht in Indien auf Kosten des birmanischen Reichs.

(Mit einer Charte.)

Nach der literarischen Entdeckung, welche Crawford, der bekannte Verfasser des Werks über den indischen Archipel, kürzlich[1] bei seiner Mission nach Awa, während eines dritthalb-monatlichen Aufenthalts daselbst, gemacht hat, besitzen die Birmanen chronologische Tabellen, die bis zum J. v. Chr. G. 543, dem angeblichen Stiftungsjahre ihrer Monarchie, hinaufreichen. Hundert und sieben und zwanzig Könige nennt „der Herr der weißen Elephanten“ seine Vorfahren auf „dem goldenen Thron.“

Was es auch mit diesen großen Zahlen für eine Bewandtniß hat, so viel scheint gewiß, daß Birma ein sehr alter Staat und der gegenwärtige Zustand seiner Gesittung, gegenüber dem frühern, nicht viel besser als ein Rückfall in die Barbarei ist. An den Ufern des Irawaddy liegen Ruinen von Städten, mit deren Umfange Awa oder Amarapura sich nicht vergleichen lassen; es stehen noch Tempel, die im Styl und in der Ausführung die neueren Bauten der Birmanen weit übertreffen. Die Ruinen von Pugan, Sakaing, Sanku, Angl-y-ywa und Issaymiu[2] sind reich an Denkmälern der Vorzeit. Man findet daselbst Steinbilder braminischen Ursprungs, Inschriften auf Sandstein und Marmor, die meist in der runden Palischrift geschrieben sind und eine Form haben, wie die Grabsteine auf den englischen Todtenäckern. Solcher Alterthümer sammelte der vorige König eine bedeutende Anzahl aus allen Theilen des Landes und stellte sie in einem Tempel bei Amarapura auf.

Wollte man indessen aus diesen Spuren von Kultur, die man in einigen Städten findet, auf die Kultur des ganzen Landes schließen, so geriethe man in den bei Schätzung asiatischer Reiche so gewöhnlichen Irrthum der Uebertreibung. Wenn man bedenkt, daß die Gegend längs den Ufern des Irawaddy von der See bis nach Awa – eine Strecke von hundert geogr. Meilen – der beste Theil von Birma, zum Theil noch mit Urwäldern bedeckt ist, so sieht man sich genöthigt, die vormalige wie die jetzige Kultur des birmanischen Reichs auf die Städte und deren nächste Umgebungen, oder strenger genommen, auf die jedesmalige Haupt- und Residenzstadt zu beschränken. Die Verlegung der Residenz war immer eine Verpflanzung des Wohlstandes, der Macht und der Bevölkerung des ganzen Reichs. So wird es begreiflich, daß die drei Städte Awa, Amarapura und Sakaing, welche nacheinander Residenzen waren, mit ihren Dependenzen eine Fläche von 283 Q.M. umschließen, während andere Theile des Landes, trotz des trefflichsten Bodens[3], unbebaut geblieben sind.

Awa und Pegu waren ehemals zwei von einander getrennte Reiche, wurden aber in der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch den unternehmenden Alompra oder Aloang-Bura vereinigt. Von dieser Zeit an traten die Birmanen als Eroberer auf.

Im Norden dehnten sie sich, durch die Unterwerfung von Mannipur, Kassi, Katschar und Assam, allmählig bis an den Behramputer aus, und wurden dadurch Nachbaren von Bengalen; eben so näherten sie sich den Britten im Westen, auf der Seite von Tschittagong, als König Minderadschi Arrakan besetzte. Im Osten standen ihnen die Chinesen, und im Süden die Siamer im Wege. Zwar wurde eine chinesische Armee von 50,000 Mann, die der Beherrscher des himmlischen Reichs gegen Awa abgeschickt hatte, von ihnen dermaßen empfangen, daß auch nicht ein Mann davon kam; zwar gelang ihnen zuletzt freilich die Eroberung der westlichen Küstenstriche von Siam; es scheint aber doch, jener Sieg habe sie nicht in Versuchung geführt, ihre Waffen gegen China zu richten; und gegen Siam scheiterten noch im Jahr 1824, wo sie den König von Cochinchina zum Bündniß einluden, ihre Entwürfe. So brachte es die Lage der Dinge mit sich, daß ihre Eroberungslust immer wieder die Richtung gegen Norden und Westen nahm, als gegen die Punkte, welche sie als die angreifbarsten kannten.

Beinahe wären die Britten schon 1794 mit den Birmanen in einen Krieg verwickelt worden, als ein birmanisches Corps[4]von 5,000 Mann bei der Verfolgung

  1. Calcutta Government Gazette vom 1. März 1827.
  2. hier sah der Verfasser von „Two years in Ava, from May 1824 to May 1826 London 1827“ zwei ungeheure, mehr als 200 Fuß hohe Massen von Backsteinen, die ganz die Form der alten hindustanischen religiösen Gebäude hatten. An die Entstehung der nun in Trümmern liegenden Stadt knüpft sich dieselbe Sage, die Virgil von der Gründung Carthago’s erzählt.
  3. Reisende, welche solche Distrikte zum Maßstab nahmen, mußten natürlich die Bevölkerung weit überschätzen. Die 17 Millionen des Majors Somes, des ersten Engländers, den die bengalische Regierung 1795 nach Amarapura schickte, werden nunmehr auf 5–6 Millionen reduzirt.
  4. Man sehe The political history of India from 1784 to 1823. By Major-General Sir John Malcolm. London 1826 Tom. I., pag. 540 folgg.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_299.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)