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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 81. 21. März 1828.

Whigs und Tories.

[1]


Zum Verständniß der brittischen Staatsgeschichte gehört eine gründliche Einsicht in das Wesen der zwei großen Klassifikationen der Politiker dieses Landes. Die Frage, was ein Whig und was ein Tory sey, ist nicht so leicht zu beantworten, als man gewöhnlich meint. Zuf oft haben diese Namen unter dem Einfluß der Zeiten und Verhältnisse ihre Bedeutung gewechselt.

Sie mögen zum mindesten so alt seyn als das lange Parlament; als bestimmte Gegensätze aber erscheinen sie zum erstenmale im Jahr 1679[WS 1] zur Zeit der Ausschließungsbill. Es handelte sich zwar in der Bill zunächst nur darum, die katholischen Pairs ihres Sitzes im Oberhause zu berauben; sofern diese Maßregel aber eine Veränderung der Thronfolge vorbereitete, und ziemlich unzweideutig gegen den Herzog von York gerichtet war, so gab sie natürlich dem Parteigeist vielfache Gelegenheit, sich zu entwickeln. Die Ausschließung selbst, eines jener kühnen Rettungsmittel, zu welchen ebensowohl der Mann von Torygrundsätzen in außerordentlichen Momenten greift, als der entschiedenste Whig nie daraus eine Regel macht, war indessen nicht eigentlich der Trennungspunkt. Der Torysmus, dessen Anhänglichkeit an die Staatskirche noch größer ist als an die Krone, fand die Ausschließung nicht so ganz seinem Interesse zuwider; aber zugleich wurden dabei doch auch Gegenstände zur Sprache gebracht, die den alten Streit der Prinzipien – des republikanischen, welches alle gesellschaftlichen Einrichtungen auf das allgemeine Wohl bezieht, und des monarchischen, welches die Erhaltung einer regierenden Linie als Zweck oder nothwendige Bedingung einer rechtmäßigen Ordnung betrachtet – wieder weckten. Der Hauptunterschied zwischen beiden Parteien lag indessen nicht etwa in Demokratismus auf der einen oder Absolutismus auf der andern Seite; der Anhänger der unumschränkten Monarchie ist kein Tory, der Republikaner kein Whig. So war Lord Clarendon[2] Tory, Hobbes nicht; Bischof Hoadley[3] war Whig, Milton nicht. Tories und Whigs – diese Bemerkung ist nicht zu übersehen – sind für die Constitution, das heißt, für die Regierung eines erblichen Souverains, für die Mitwirkung der zwei Häuser des Parlaments bei der Gesetzgebung und für die Aufrechthaltung der alten Grundgesetze des Reichs. Aber dem Tory ist die Constitution ein äußerster Punkt, über den er nicht hinaussieht, von dem er nicht abgeht; während der Whig Veränderungen in der Constitution zulässig findet, sobald eine ihrer Formen (mit Ausnahme der Grundformen) dem Staatszweck nicht mehr entspricht. Insofern hat der Whig, so wenig er auch sonst Neuerungen liebt, eine gewisse Neigung zur Rolle des politischen Reformators; er moralisirt gern über Freiheit und Menschenrecht, er erkennt namentlich die Nothwendigkeit eines für alle Theile und Interessen des Volks mehr berechneten Wahlgesetzes; alle diese Dinge sind dem Tory ein Gräuel, von dem er nicht reden hören kann, ohne daß er seinen Klaggesang über Revolution, Anarchie und Weltuntergang anstimmt. Beide Parteien tragen übrigens zur Befestigung der Verfassung wesentlich bei, indem die eine die Rechte der Bürger, die andere die Prärogative der Krone unter ihren besondern Schutz stellt; aber unter Umständen, wo durch Leidenschaften die Vernunft unterjocht würde, könnte der Torysmus zur Despotie, der Whigismus zum Umsturz der Monarchie führen. In Bezug auf die Preßfreiheit, namentlich das Prinzip der freien Untersuchung in Sachen der Religion, sind sie völlige Antipoden; um es endlich kurz zu sagen, sie verhalten sich zu einander wie Perfectibilität und Stabilität.

Daß der König von Niemand, selbst vom Parlament nicht, und noch weniger vom Volke, ungebetenen Rath annehmen, daß er insbesondere seinen Unterthanen nicht gestatten dürfe, durch Bittschriften auf die Ausübung seiner gesetzlichen Vorrechte, z. B. die Einberufung des Parlaments einzuwirken – diesem Grundsatze der alten Regierung blieb der Torysmus auch nach der Revolution treu. Der unterscheidende Character von Whig und Tory gab sich jedoch unmittelbar nach dieser Periode weniger in den Beziehungen zur Krone zu erkennen, als in der Art, wie sie einige andere Fragen der Politik behandelten. Die Tories waren (was in unsern Tagen die Congregation ist) die ersten und eifrigsten Verfechter der Kirche, die nach ihren Begriffen nie hoch genug gestellt, mit Glanz und Macht nie genug umgeben werden kann. Der Sache der Kirche opferten sie nicht selten die Sache der Royalität, selbst wenn beide nur Ein Interesse zu haben schienen; im Namen der Kirche waren sie immer bereit, die Katholiken zu verfolgen,

  1. The Constitutional History of Henry VII to the death of George II. By Henrry Hallam. Voll. IV. Paris 1827
  2. Der Villele Carls II. Seine Verwaltung schildert Hallam im Anfang von B. 3.
  3. Der muthige Vertheidiger der Religionsfreiheit unter Georg I. Hallam B. 4 S. 63

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1779
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_335.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)