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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 90. 30. März 1828.

Die geographische Vertheilung der Krankheiten,

vorgelesen in der Versammlung der deutschen Aerzte und Naturforscher zu München den 22 Sept. 1827.
Von Dr. Schnurrer.
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(Mit einer Charte.)

Die Versuche von Zimmermann, Ritter und Shouw, die geographische Vertheilung der Thiere und Pflanzen darzustellen, sind bekannt. Wenn ein ähnlicher Versuch, die Vertheilung der Krankheiten auf gleiche Weise zu versinnlichen, weit weniger genügend erscheinen sollte, so findet dieß sein Erklärung schon darin, daß die Krankheiten nicht wie andere Productionen des organischen Lebens ihre eigenthümlichen Existenzen haben, sondern an die Verbreitung dieser, zumal des Menschen, gebunden sind, und eine Verzeichnung der Krankheiten daher schon eine Charte des Menschengeschlechts, als ihres Substrats, voraussetzt.

Wäre aber letztere auch ganz vollständig gegeben, so entstünde eine neue Schwierigkeit daraus, daß die Krankheiten nicht wie die Pflanzen und Thiere gleich auf den ersten Anblick dem Forscher sich darbieten, noch viel weniger von minder Kundigen gesammelt und später erst geordnet werden können, überhaupt nicht einmal in Zeichnungen etwas Transportables haben. Vielmehr erfordern sie einen längern Aufenthalt des Beobachters, und am Ende bildet sich mehr eine Charte der Aerzte, die ihre Beobachtungen bekannt gemacht haben, als der Krankheiten selbst; letztere sind überhaupt mehr nur von den größern Städten angegeben, wo die Cultur bereits ihren gleichmachenden Einfluß ausgeübt hat; aus demselben Grunde sind auch einzelne Stellen mit Namen überhäuft und andere dagegen desto leerer.

Da jedoch die Krankheiten wie die Formen der Pflanzen und Thiere zugleich auch Aeußerungen der ursprünglichen Bildungskräfte der Erde sind, und ihren unvertilgbaren Character behaupten, so lassen sich auf einer Welt-Charte wenigstens ihre Verbindungsbezirke einigermaßen andeuten. Hiebei aber muß bei einem Formate, das für die übrigen Welttheile vollkommen genügt, Europa, das bei dem kleinsten Umfang der bekannteste ist, gerade am meisten zurücktreten.

Um so nothwendiger wird es deshalb, auf einer Charte, die, außer Europa, von Asien den bis zur Ostküste des caspischen Sees reichenden Theil und den Nordrand von Afrika begreift, mehr ins Einzelne zu gehen, und zugleich auch das Topographische der endemischen Krankheiten anzudeuten.

Zugleich ist es aber diese Erdfläche auch, auf welcher der uns bekannte Theil der Geschichte hauptsächlich sich bewegt; es bietet sich daher die weitere Aufgabe dar, auf denselben Raum-Verhältnissen, wie dort die mehr örtlichen an den Raum gebundenen Krankheiten, hier mehr die epidemischen, wie sie der Zeit nach vorkamen, anzugeben.

Auf dieselbe Weise würden denn auch auf einem vierten Blatte die Epizootien ihrem Vorkommen und ihrer Verbreitung nach dargestellt.

Auf weitern Blättern könnte dann erst bei einzelnen größern Ländern Europa’s die Behandlung ganz speziell topographisch und historisch werden; hier würden von jedem Orte die einzelnen Epidemien, welche je daselbst vorkamen und aufgezeichnet wurden, mit der Jahreszahl angegeben; ferner würde alles, was von der Gesundheits-Beschaffenheit der einzelnen Orte aus Topographien bekannt ist, bemerkt, und da bei der ganzen Arbeit es so sehr darauf ankommt, daß überall die Quellen wenigstens angedeutet werden, so müßte jedesmal der Name des Autors beigesetzt werden, was dieser Charte vollends ein von den phytographischen und zoographischen Charten verschiedenes Ansehen geben würde.

Ist es nun schon erlaubt, noch Einiges, was sich schon aus der Betrachtung der allgemeinen Charte, der einzigen, die bis jetzt mitgetheilt wird, ergeben dürfte, anzuführen, so ließe sich Folgendes über die Vertheilung der Krankheiten bemerken:

Es gibt keine Krankheit, die wie das Menschengeschlecht überall über die ganze Erde verbreitet wäre, oder diesem bei seiner Verbreitung überall hinfolgte. Wollte man nur auf die Entfernung der äußersten Punkte sehen, so fände sich wohl im höchsten Norden und unter der Linie der Aussatz, welcher bei der größten Entfernung und bei der Verschiedenheit seiner äußeern Ursachen doch viel Gemeinschaftliches in seinen Erscheinungen darbietet; ebenso unerwartet kommt fast auf denselben Punkten, in den heißesten und kältesten, eine Krankheit des frühesten Lebensalters, der Kinnbackenzwang der Neugebornen, trismus neonatorum vor. Beide so furchtbare Krankheiten zeigen sich aber desto seltener in den gemäßigten Zonen.

Das intermittirende Fieber, das den Menschen vor den Thieren und auch meistens nur dem erwachsenen Alter zukommt, ist dagegen die Krankheit, welche den Europäer wenigstens auf seinen Wanderungen am weitesten begleitet, doch nach den Beobachtungen von Nil Dalber, Debes, Manicus und Kratsheninnikow auf den Inseln im Norden von Großbritannien, auf den Farröern, auf Island, im nördlichen Schweden und auf Kamtschatka, aller Marsch- und Moorgründe unerachtet, nicht mehr vorkommt. Innerhalb dieser Breiten tritt dasselbe überall hervor, wo der

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_373.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)