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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 91. 31. März 1828.

Parry’s Expedition nach dem Nordpole.

Narrative of an Attempt to reach the North Pole, in Boats fitted for the Purpose, and attached to His Majesty’s ship Hecla, in the Year 1827, under the Command of Captain William Edward Parry, Illustrated by Plates and Charts. Published by Authority of his Royal Hignes, the Lord High Admiral. 4to p. p. 228. London: Murray 1828.

Wir haben hier einen merkwürdigen Beweis, wie oft Thatsachen alle Systeme und Theorien der Gelehrten und selbst die gewichtigen Beschlüsse hochweiser Gesellschaften zu Schanden machen. Nachdem jeder Versuch, den Nordpol zu Schiffe zu erreichen, fehlgeschlagen war, fand man es sehr wahrscheinlich, daß, wenn man, an den Eisfeldern in der Nordsee angelangt, das Schiff verließe und sich in Bote begäbe, die mit den gehörigen Vorräthen versehen wären, man ohne viel Schwierigkeit das längstersehnte Ziel erreichen würde. Den Zwischenraum zwischen der offenen See und dem Pole bildet – sagte man – eine unabsehbare ebene Eisfläche; hier könnten die Bote aufs Trockne gezogen und, mit Rädern versehen, von Rennthieren oder Hunden weiter gebracht werden; traf man offene Stellen, so brauchten die Reisenden blos die Räder abzunehmen, die Bote ins Wasser zu setzen, sie mit ihren Hunden oder Rennthiern zu besteigen, und, nachdem sie in ein paar Minuten den Zwischenraum durchschifft, ihre Reise auf den Eisfeldern weiter zu verfolgen.

Der Glaube an die Ausführbarkeit dieses Planes gründete sich auf das Zeugniß Capitän Lutwidge’s, der, mit Capitän Phipps vereinigt, die Expedition an den Nordpol im Jahr 1773 ausgeführt hatte. Nach seiner Beschreibung bildete das Eis nordöstlich von einer der sieben Inseln (im Norden Spitzbergens) eine fortlaufende, ebene, ununterbrochene, nur vom Horizont begränzte Fläche. Auch in Capitän Phipps Karte von dieser Reise wird das Eis im Norden und Westen der sieben Inseln als eben ununterbrochen und völlig fest bezeichnet. Der arktische Seefahrer Scoresby, der jüngere, geht sogar noch etwas weiter. Er sah ein Eisfeld so ohne alle Risse und Unebenheiten, daß, wäre kein Schnee gelegen, eine Kutsche ohne Hinderniß oder Gefahr viele Stunden weit darauf hätte fahren können. Von dieser einzelnen Thatsache ausgehend, schrieb er eine Abhandlung über die Ausführbarkeit des eben berührten Planes, welche in den Memoiren der Werner’schen Societät in Edinburg vor das Publikum gebracht worden ist. Die Berichte mehrerer Wallfischfänger, die von Capitän Parry befragt wurden, gingen eben dahin; auch scheint Parry selbst den Plan so wenig bedenklich gefunden zu haben, daß er ihn den Lords der Admiralität vorlegte; diese theilten ihn der königlichen Societät mit, welche die Ausführung desselben angelegentlich empfahl. Capitän Parry gesteht jedoch, er habe seine Hoffnung auf einen günstigen Erfolg hauptsächlich darauf gebaut, daß ein ähnlicher Vorschlag schon früher von Capitän Franklin gemacht worden war; der nicht nur einen Plan zur Expedition entwarf, sondern sich auch erbot, an die Spitze zu treten. Bedenkt man alle Umstände, die Glaubwürdigkeit der Zeugen, worauf man sich stützte, die unbestreitbare Einsicht derjenigen, welche darüber zu entscheiden hatten, und die große Erfahrung sowohl des Offiziers, der diese neue Unternehmung vorschlug, als auch dessen, der sie auszuführen versuchte, so findet sich nicht wohl ein auffallenderer Beleg für die Trüglichkeit menschlichen Zeugnisses und theoretischer Spekulation, als der sich aus der vorliegenden Erzählung ergibt.

Alles war für die Expedition vorgekehrt, was nur immer der Scharfsinn zur Sicherung ihres Gelingens ersinnen mochte. Man hatte Bote erbaut, die nach den damit vorgenommenen Proben dem beabsichtigten Zweck vollkommen entsprachen. Zu beiden Seiten des Kiels waren starke Kufen, mit geglättetem Stahle beschlagen wie Schlitten, beträchtlich den Kiel überragend, angebracht, und auf diesen ruhte das Bot, so lang es auf dem Eise war. Auch Räder waren in Bereitschaft, die an den Boten befestigt werden konnten; allein man hatte nicht Gelegenheit, ihre Brauchbarkeit zu erproben. Vorräthe hatte man im Ueberfluß; die Bote sollten, nachdem das Schiff Hekla in einem sichern Hafen geborgen wäre, Spitzbergen mit Anfang des Junius 1827 verlassen und gegen Ende Augusts zu dem Schiffe zurückkehren, da man voraussetzte, daß das fragliche Unternehmen in dieser Zeit ausgeführt werden könnte.

Der Hekla erreichte am 19 April Hammerfest, wo acht lappländische Rennthiere zum Ziehen der Bote in Bereitschaft waren. Am 29 ging er wieder unter Segel und war am 16 des folgenden Monats auf der Höhe von Red Beach angekommen, der höchsten Breite, auf die man das Schiff mitzunehmen gedachte. Hier aber wollte sich kein sichrer Hafen finden, in welchem man das Schiff lassen konnte; und einige Umstände traten ein, welche für den Capitän wenig Aufmunterndes hatten. Parry sagt:

Die Beschaffenheit des Eises war ohne allen Vergleich für unsern Zweck die ungünstigste, die ich jemals gefunden hatte. Es bestand aus unzusammenhängenden Stücken

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_379.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)