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Das Ausland. 1,2.1828

Ende nehmen können. Denn Arsana, die ihren treulosen Solyman in Chrysula’s Armen überraschte, gerieth über diesen Anblick in eine solche Wuth, daß sie über die begünstigte Nebenbuhlerin herfiel, sie bei den Haaren ergriff, ihr das Gesicht zerkratzte, ja daß sie ihr die Augen ausgerissen hätte, wenn sie nicht durch Solyman-Bey, der sich ihrer bemächtigte, von fernern Gewaltthätigkeiten abgehalten worden wäre. Solyman-Bey selbst überlieferte sie in der ersten Aufwallung des Zorns seinen Sapeurs, mit dem Befehl, sie vor seinen Augen hinzurichten. Arsana vernahm ihr Todesurtheil, ohne um Gnade zu bitten. „Nein, Solyman, sagte sie, Du hast mich nicht verurtheilt, Du willst meinen Tod nicht; Arsana ist Dir zu theuer, als daß Du nach ihrem Blut dürstest. Doch gesetzt, Du vergäßest den Bund unserer Liebe, Undankbarer, und opfertest mich meiner Nebenbuhlerin, so sterbe ich ohne Bedauern einen Tod, der mich von dem Anblick der Verhaßten befreit.“ Schon war das verhängnißvolle Beil über Arsana’s Haupt erhoben, als einige französische Offiziere, Freunde des Obrists, dazu kamen und dessen Zorn beschwichtigten. Arsana mußte für immer aus dem Hause.

Die drei Frauen Solyman-Bey’s waren erst seit drei Monaten bei ihm und schon fingen sie an, arabisch zu sprechen. So leicht ist die Fassungskraft der Griechen, daß sie sich Kenntnisse, wozu Andere erst nach Jahren eines anhaltenden Fleißes gelangen, oft schon im ersten Augenblicke aneignen. Ich redete sie griechisch an; die vaterländischen Töne, die sie noch nie aus dem Munde eines Franken gehört hatten, waren ihren Ohren Musik und ich wurde bald mit ihnen so bekannt, daß der Obrist fast eifersüchtig geworden wäre. Auf den folgenden Tag lud uns Solyman-Bey zu einem Mittagmahl. Wir begaben uns um vier Uhr in sein Haus. In demselben Zimmer, wo er uns am vergangenen Morgen empfangen hatte, stand eine gedeckte runde Tafel, die jedoch nicht sehr orientalisch aussah, da sie sehr reichlich mit Flaschen besetzt war. Die Gesellschaft Solyman-Bey’s bestand außer mir noch aus drei französischen Offizieren, und zwei andern Bekannten. Ich erhielt einen Platz zwischen den beiden Schwestern; an einem Ende der Tafel befanden sich drei bejahrte Frauen, ziemlich dürftig gekleidet. Ich überließ mich mit Lust der Unterhaltung mit meinen liebenswürdigen Nachbarinnen. Eine Unterhaltung mit Damen des Harems ist ein Glück, das dem Reisenden nur selten zu Theil wird und das eben deswegen etwas um so Pikanteres hat. Ich fragte sie, wer die drei alten Frauen seyen? „Eine von ihnen, antwortete Chrysula, ist unsre Tante. Waisen seit unsrer frühesten Jugend bewohnten wir mit dieser unsrer einzigen Verwandten ein kleines Haus in der Nähe von Tripolizza, als die Araber, welche das Land umher verwüsteten, in unsre Wohnung einbrachen, dieselbe plünderten, und uns selbst gefangen mit sich fortführten. So kamen wir in Solyman’s Haus. Unsre Pflegmutter war damals verschwunden, wurde aber einige Tage nachher in den Gebirgen gefunden, nach Modon geschleppt, daselbst um einen geringen Preis verkauft und hatte das Schicksal, Wasser zu tragen oder in den Wäldern Reiß[1] zu sammeln. Wir waren so glücklich, ihr eines Tages an den Thoren von Modon zu begegnen; Solyman bezahlte das Lösegeld für sie.“ „Seyd ihr zufrieden mit dem Bey?“ „Er ist sanft und freundlich und sogar nicht launisch, daß wir uns glücklich genug schätzten, wenn uns nicht der Anblick unsrer unglücklichen Landsleute, die mit Ketten belastet unter den Peitschenhieben ihrer Treiber erliegen, zur Trauer stimmte.“ „Aber werdet ihr denn immer Gefangene bleiben?“ „Der Bey hat uns die Freiheit geschenkt.“ Sie zeigte mir ihren Freiheitsbrief: er war von dem Obrist eigenhändig ausgestellt. Ich machte dem Obrist ein Kompliment über seine Humanität, worauf er sagte: „wenn ich meine Religion geändert habe, so ist mein Character dadurch nicht verändert worden, mein Herz bleibt immer französisch. Alle diese Frauen, jung und alt, kehren, sobald der Krieg vorbei ist, in ihre Heimath zurück. Es sind auch noch acht Griechen bei mir, die ich den Händen meiner Araber entriß, als sie dieselben, mit den Waffen in der Hand, gefangen genommen hatten und eben niederhauen wollten.“[2]

Eine Menge Gerichte, welche zum Theil die Küche des Pascha’s liefern mußte, folgten auf einander. Zum Nachtisch brachte man Champagner. Zuletzt bemächtigte sich der der ganzen Gesellschaft jene den Franzosen eigenthümliche Munterkeit und man sang Trinklieder, deren Refrain der Chor wiederholte. Die Mahlzeit dauerte bis 8 Uhr Abends.

Während der fünfzehn Tage, die ich in Modon zubrachte, besuchte ich Solyman-Bey noch oft und hatte mich immer der gleichen freundschaftlichen Aufnahme zu erfreuen. Ich lernte den Mann achten, und bin überzeugt, daß es eher ein Glück als ein Unglück für die Griechen ist, daß er sich an der Spitze der Egyptier befindet. So manchen Ort hat er von der Plünderung, so manchen Griechen von dem Säbel der Araber, so manche Frauen von der Entehrung gerettet; sein ganzes Vermögen verwendet er zum Besten seiner Familie in Lyon und zur Erleichterung des Elends. Seine Thüre ist von einem Haufen Armer umlagert, die er nährt und sein Haus von Griechen angefüllt, die seine Großmuth preisen. Nachdem ich noch Coron, wo ich Byron’s und seines Korsaren gedachte, gesehen hatte, verließ ich den blutgetränkten Boden, der nicht mehr gebaut wird, wo aber mitten unter dem Wirken der Zerstörung immer noch wie in einem Garten tausendfarbige Blumen prangen, wo die Orangen und die Citronen die Luft durchwürzen, wo am Rande klarer Bäche Mürten und Lorbeerrosen grünen und in den dunkeln Gebüschen, die holden Freundinnen der Einsamkeit, die Nachtigallen, schlagen. Als ich nach dem Hafen wandelte, um mich einzuschiffen, spühlten die Wellen mehr als zwanzig Leichname an den Strand; es seyen einige Gefangene, hieß es, die man in dem Gefängniß enthauptet habe. – Armes Griechenland! wann wird endlich der Fluch von dir genommen werden!

  1. Zu diesem Geschäfte wurden die ältern Frauen, namentlich die aus Missolonghi, gebraucht. Der Verfasser sah, wie sie heerdenweise hinausgetrieben wurden; unzählige erlagen den Mißhandlungen der Barbaren, welche die schönste Frucht der Humanität, das Gefühl des Mitleids, nicht kennen.
  2. Soliman-Bey zieht zwei griechische Kinder auf; einen Knaben von acht Jahren, den er Kolokotroni, und ein Mädchen von zwei bis drei Jahren, die er Bobolina nennt. Jedem hat er einen Freiheitsbrief ausgestellt.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_382.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)