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Das Ausland. 1,2.1828

kleinen Hof, wo zu meinem Erstaunen der erste Gegenstand, der meinem Auge begegnete, eine Lache Blutes auf dem Pflaster war, neben welcher ein nackter Mann stand, mit einem blutigen Schwerte in der Hand. Die Scenen, welche an uns vorübergegangen waren, waren so romantisch, daß meine Phantasie mich irgend ein Abenteuer erwarten ließ, und ich fühlte, (ich gestehe es) wie meine Hand einen Augenblick instinktmäßig meine schwere hindustanische Peitsche fester hielt, deren Knopf im Nothfall eine nicht zu verachtende Waffe gewesen wäre. Der Führer warnte mich jedoch im nämlichen Augenblick, nicht in die Blutlache zu treten, und bemerkte mir, daß jeden Morgen hier eine Ziege geopfert werde. Ein zweiter Blick zeigte mir, daß der kopflose Rumpf des armen Thiers vor den Stufen eines, wahrscheinlich Kali geweihten kleinen Altares lag. Der Bramine war in seinem heiligen Amte begriffen und klingelte mit seiner Glocke; die verlegene Miene unseres Führers verrieth uns nun, daß wir zur ungelegenen Stunde eingetreten waren, weßhalb wir blos einen flüchtigen Blick im Zimmer umher warfen, ohne uns dem Altar und seinen Mysterien zu nähern. Der Führer erzählte uns auf dem Rückwege, daß die Sage gehe, es sey hier in alten Zeiten jeden Tag ein Mensch geopfert worden; diese Sitte sey abgekommen, bis Iye Singh einen schweren Traum hatte, in welchem ihm die zerstörende Gottheit erschien und ihn fragte, warum man ihr Bild habe dürsten lassen? Der Raja, aus Furcht vor den Folgen des Ungehorsams, und sich doch sträubend, das Verlangen des Gottes nach seinem alten furchtbaren Umfange zu erfüllen, ging zu Rath und brachte statt des Menschenopfers eine Ziege für

Die finstre Göttin in der Azurfluth,
     Die das Gewand in Säuglingsthränen netzt,
Um’s Haupt den Todtenkranz, im Menschenblut
     Sich seit dreitausend Jahren schon geletzt –

womit die Gottheit dann auch in Gnaden geruhte, sich zufrieden zu geben.“

„Auf unserem Heimweg sagte uns Raper, er habe unerfreuliche Neuigkeiten aus dem Palaste gehört. Die Ranni habe Nachts zuvor, ohne Urtheil und Recht, ja ohne einen Grund dafür anzugeben, eine ihrer Kammerfrauen ermorden lassen – eine Dame von edlem Character, und die, wie man bisher geglaubt, bei ihrer Gebieterin hoch in Gnaden gestanden war. Man vermuthete, daß ihr bedeutender Reichthum ihr einziges Verbrechen war. Die Sache erweckte in der Zennana und in der Stadt große Unruhe, und acht andere Frauen, Gemahlinnen oder Concubinen des verstorbenen Raja, glaubten sich gleichfalls zum Tode ausersehen. Diese Gräuelthat war auf der Ranni unmittelbaren Befehl und in ihrer Gegenwart verübt worden. Obrist Raper meinte, wenn der Mukhtar nicht selbst ein Wüthrich wäre, so hätte er einen solchen Schritt nicht geschehen lassen. Mit dieser Geschichte beschäftigt, empfand ich eben keine große Freude, als ich im Verlauf des Morgens von Ranni ein Geschenk in Früchten, Zuckerwerk und Blumen mit ihren besten Wünschen für meine glückliche Reise und die Zusicherung erhielt, daß ihr Volk Alles zu meiner Bequemlichkeit auf dem Wege vorgekehrt habe, und daß sie wünsche, unsre Freundschaft möchte lange dauern. Ich entbot ihr meinen Dank für ihre Güte und die mir erwiesene Gastfreundschaft, und fügte bei, daß ich für sie – für ihre Besserung wollte ich sagen – beten werde. Ihre Aufmerksamkeit beschränkte sich heut aber nicht blos auf meine Person, sondern sie sandte auch meiner Dienerschaft und meinem Gefolge ein Mittagmal in Zuckerwerk, Reis, Ziegenfleisch, und andern Hindustaner Leckerbissen, und zwar in solcher Menge, daß es, wie man mir sagte, für hundert Personen zugereicht hätte.“

(Fortsetzung folgt.)

Deutsche und französische Sprache.


(Schluß.)

In Deutschland haben sich Sprache und Verfassung allmälig entwickelt, ohne Rückschritt, ohne Umsturz, ohne Zerstörung. Um die Zeit der Reformation, dieser großen Epoche der moralischreligiösen Emancipation des Volks, nahm alles einen höhern Schwung, und machte auch die Sprache rasche Fortschritte: von diesem Augenblick an war sie entfaltet und kannte ihre reichen Erzgruben, deren Schachten Luther öffnete, die man fortan nur auszubeuten brauchte, ohne sich irre machen zu lassen. Luther, bewundernswerth eben so sehr durch den Scharfblick, womit er die Bedürfnisse und Forderungen seines Zeitalters errieth, als durch den Muth und die Thatkraft, womit er für die Befriedigung derselben kämpfte und arbeitete, Luther hat sein Volk weit vorwärts gefördert, noch mehr, er hat der Menschheit die Hand gereicht, um sie über den Rubikon zu führen.

In Frankreich glich der Gang der Bildung oft dem Schwindelgang eines Kranken, der den Veitstanz hat.

Carl der Große hatte schon eine deutsche Sprachlehre[1] entworfen, als die französische Sprache noch in die Gesindestube verwiesen war. Im Süden wurde jedoch die Volkssprache bald durch den Gebrauch veredelt. Hier, wo ihre Bestandtheile (fast blos Trümmer des Lateinischen) gleichartiger waren, schrieb jeder Chronikenschreiber mehr oder weniger in dem Patois seiner Provinz. Als die französische Sprache, Hofsprache geworden, sich zu entwickeln anfieng, ließ man gleich eine neue römische Ueberfluthung über sie ergehen. Dubellay und seines Gleichen mengten so viel Griechisch, Latein und Italienisch ein, daß es schien, als wollten sie eine Sprache mit der Inschrift schaffen:

Odi profanum vulgus.

Der verschriene Rousard hatte weit mehr Takt: „Man will,“ sagt er, „unsere Sprache zu einer Sklavin machen. Es gibt ja Wörter genug, die geboren französisch sind, die zwar ältlich, aber frei und französisch klingen; laßt uns sie nicht verlieren!“

Die akademische Meisterschaft, die sich die französische Sprache im Zeitalter Ludwigs XIV erwarb, wurde als ihre absolute Vollendung betrachtet. In derselben Zeit, da man den Gebrauch eines neuen Worts für eine Verletzung der

  1. Eginhardi Vita Caroli Magni Cap. 29.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_405.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)