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Das Ausland. 1,2.1828

Beschlüsse eben nothwendig gewesen seyen – eine Entschuldigung, die stets verdächtig, in vorliegendem Falle aber auch völlig unwahr ist. Doch hievon weiter unten. Hier genüge das Factum, daß wir diesen schauderhaften Zustand des Landes dem Parlamente verdanken. Und ehe ein kräftiger Schritt zu Abstellung der durch die Beschlüsse der collectiven Weisheit herbeigeführten Uebel geschieht, mag Hrn. Broughams Schulmeister mit seinem ABC Buch in der Hand überall in der Irre herumlaufen; mag Madame Fry, die Taschen mit gottseligen Tractätlein gefüllt, von Gefängniß zu Gefängniß wandern; mögen die Magistrate schimpfen, bis sie heiser werden; mögen Arbeits- und Zuchthäuser und hundert ähnliche Asyle des Volksglücks sich erheben – dennoch wird das Uebel wachsen und fortschreiten; jeder Tag wird das Elend des Volks vermehren und die Schrecken des Gesetzes vermindern, das den wenig kümmert, der kein Brod hat, um seinen Hunger zu stillen, und kein Kleid, um sein Blöße zu decken.

(Schluß folgt.)

Der Türkenkrieg.


(Fortsetzung.)

In den Ebenen Ungarns, bei dem entschiedenen Uebergewicht der osmanischen Reiterei, bei dem fanatischen Geiste der Janitscharen mußten die christlichen Heere gegen die ungestümen Anfälle ihrer Gegner sich verwahren, und sie kannten kein besseres Schutzmittel als die Vermischung aller Waffen, in kleinen Abtheilungen neben einander gestellt: eine Maßregel, die zugleich den Zweck hatte, das gesunkene Vertrauen der verschiedenen Waffengattungen zu einander aufs Neue zu beleben. Man darf nur Montecuculi’s Entwurf zur Schlacht von St. Gotthard am 1ten Aug. 1664 sehen, um den glänzenden Erfolg des Sieges bloß ähnlichen weisen Anordnungen des Feldherrn zuzuschreiben. Die Bataillone standen sechs Mann hoch und jeder Reiterschwadron wurden Musketierhaufen von vierundzwanzig bis dreißig Mann beigegeben. Neben jedem Regiment zu Fuß stand immer ein Reiterregiment im Treffen. Vortrab und Reserve waren eben so gemischt. Sechzigtausend Deutsche und Franzosen schlugen auf diese Art hundert und sechs und dreißig tausend Türken.

Am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts kamen die spanischen Reiter, mit welchen sich die deutschen Heere deckten, in Gebrauch: denn man sieht zum ersten Male die Stellung des Herzogs von Lothringen vor Eßegg 1687 mit diesem Hinderniß umgeben, und zwei Jahre später in der Schlacht bei Batuschina an der Morawa suchten die Janitscharen des Seraskiers Arap Pascha umsonst die spanischen Reiter vor der Stellung der Oesterreicher unter dem Prinzen Ludwig von Baden mit Aexten zu durchhauen.

In seinen vortrefflichen „Verhaltungen vor, während und nach der Schlacht“ empfiehlt der tapfere Markgraf die Aufstellung von Plänklern, die aus den Bataillonen herausgezogen würden, um bis zu dem erwarteten Anfall den Feind mit einzelnen Schüssen zu beschäftigen. In der That, was konnte den Muth des Fußvolks in jener Zeit mehr erhöhen als die selbstständige Fechtart des Einzelnen in zerstreuter Ordnung gegen einen Gegner, vor dem man sich in enggeschlossenen Reihen nicht mehr sicher hielt und spanische Reiter vorschob? Indessen dürfte der Gebrauch der Plänkler doch nicht ganz rathsam seyn gegenüber einer Reiterei, deren Schnelligkeit und Verwegenheit an das Unglaubliche grenzt, die es wohl auch versteht, ihrem Gegner vor dem eigentlichen Anfall das Feuer des Gewehrs zu entlocken, ist jeder einzelne Streiter verloren. Ohne Zweifel würden geübte Schützen hinter den Chargen des ersten Glieds von mehr Nutzen seyn, besonders aber die bei der österreichischen Armee schon erprobten Windbüchsenschützen, welche auf den Ecken des Vierecks hinter dem Geschütze aufgestellt wurden, damit sie die vorauseilenden Waghälse der Spahi vom Pferde schössen.

Das große Viereck der christlichen Heere, ein Beweis für die Ueberlegenheit der Osmanen, war eine Folge der Nothwendigkeit, die Stellung auf den Seiten zu schließen, um der türkischen Reiterei, welche jede Linie im Rücken umschwärmt, das Eindringen zwischen die Treffen zu verwehren.

Ueber Buschwerk, Berge, Felsen, sagt ein erfahrner Augenzeuge, sprengt die türkische Reiterei hinweg. Durch die engsten Fußsteige kommt sie unvermuthet hervor und fürchtet keine Unordnung, weil sie der Ordnung nicht gewohnt ist. Zwei bis drei Mann sind voraus, dann sind auf einmal 5 – 600 da, und wehe dem Bataillon oder Quarrée, das in Unordnung geräth. Der erste Gebrauch der Vierecke fällt gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts. Montecuculi, Ludwig von Baden, Eugen waren nicht geneigt, die Beweglichkeit ihrer Heere durch eine Stellung zu lähmen, welche nur für den Zustand der Vertheidigung paßt; sie schlugen die Türken, weil sie Meister beweglicher Kräfte waren. Des einen großen Vierecks bediente sich der 1711 bei Stanilestie, unterhalb Jassy, auf dem rechten Ufer des Pruth in die Enge getriebene Czar, und noch 1736 Marschall Münich. Bald fanden sich jedoch die Russen durch Hindernisse der Lokalitäten, um den im durchschnittenen Terrain so furchtbaren Janitscharen zu begegnen, veranlaßt, die Vierecke zu vermehren. Schon im Feldzug des folgenden Jahrs hatten sie deren drei; drei und dreißig Jahre später in der Schlacht bei Kagul fünf, und im Gefecht bei Schumla 1774 bildeten sie Vierecke aus vier oder sechs Bataillonen. In dieser Verbesserung der Taktik waren ihnen die Oesterreicher vorangegangen. Die Armee des Herzogs von Lothringen zerfiel auf ihrem Marsch von Slatina nach Fönisch 1738 in Vierecke von acht und zwölf Bataillonen. Im vorletzten Krieg gegen die Pforte von 1787 bis 1791 blieben die russischen und österreichischen Heere bei der quadrirten Stellung: die Vierecke bestanden aus zehen, sechs, vier und auch aus einem Bataillon. Namentlich erprobten sich damals die Vorzüge des letztern Vierecks: denn es steht nicht nur in der schnellsten Zeit fertig da, es zieht nicht nur am leichtesten zwischen Terrainschwierigkeiten hindurch, sondern sein Verlust ist mehr ein individueller und ohne bedeutende Folgen für den Gang des Gefechts.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_410.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)