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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 99. 8 April 1828.

Des Bischof Heber’s Reisen durch das nördliche Indien.


(Fortsetzung.)

„Ich hatte im voraus viel größere Einfalt und Derbheit der Sitten unter den Raiputs und den Stämmen von Mittelindien erwartet, als bei denen, die dem Mogulreich unterworfen gewesen, und fand auch wirklich schon am Hofe von Ijypur fast keine Spur mehr von jener Verfeinerung, die sich mir zu Lucknow und Delhi gezeigt hatte. Die Hindus erscheinen überall, wo sie sich selbst überlassen sind und unter ihren eignen Fürsten stehen, als ein mäßiges, allem äußern Schaugepränge fremdes Volk. Die Unterthanen selbst des größten Mahrattenfürsten setzen sich ohne Bedenken in seiner Gegenwart nieder, und in ihrer Unterhaltung findet sich keine Spur jener schmeichlerischen Ausdrücke, welche die Muselmänner im Norden und Osten eingeführt haben. Die Europäer sind hier nur sehr wenig bekannt; wenn wir durch die Dörfer gingen, riefen uns die Kinder immer Feringi, Feringi[1] zu. Maharaja (Herr) nennen sie beinah jeden Obern.“

„Zu Hirsoli genossen wir das Schauspiel eines glänzenden Hochzeitzuges bei Gelegenheit der Verlobung des Sohns eines benachbarten Raja mit der Tochter eines Thakur. Der Bräutigam, ein kleiner Knabe, ritt auf einem Elephanten, vor ihm eine lange Reihe von Kesselpauken, Trompeten und Fahnen, so wie ein sehr schöner Palankin, in welchem seine beiden noch jüngern Brüder saßen. Während des Zugs durch die Straßen der Stadt wurden in Zwischenräumen Feuerwerke losgebrannt, und alle Dächer der Häuser, so wie die Wälle des Forts waren mit Zuschauern bedeckt. Die Volksmenge räumte uns sehr höflich einen guten Platz ein, und schien erfreut über den Antheil, den wir an dem Aufzuge nahmen, und daß ich dem kleinen Bräutigam gut Glück wünschte. Sie sagten mir, daß er heute Abend sich nach dem Hause seines neuen Schwiegervaters begebe, wo der Verlobungsakt vorgenommen werde, daß er und das junge Mädchen aber noch einige Jahre, jedes bei seinen Eltern, bleibe, bis dann die zweite und wirkliche Hochzeit vollzogen werde. –

Ein Bhat oder Sänger sprach uns um ein Geschenk an; ich forderte ihn auf, mir vorher eine Probe seiner Kunst zu geben; worauf er einige Strophen so rein hindustanisch vortrug, daß ich außer ein paar Worten „Bhadrinath, Duccun“ etc. nichts verstehen konnte; das Gedicht besang, wie man mir erklärte, die ungeheuern Eroberungen der Britten. Der Sänger trug nur wenige Strophen vor, und schien nicht geneigt, fortzufahren; worauf einer der Umstehenden ihn schalt und mit lauter Stimme und vieler Lebhaftigkeit in derselben Sprache zwanzig Strophen recitirte, die eine Art Herausforderung zu einem Wettstreit zu enthalten schienen. Er sprach so schnell, daß ich von seinem Vortrag noch weniger verstand, als von dem des Barden; das Versmaß hatte aber eine überraschende Aehnlichkeit mit dem Hexameter. Der Barde antwortete ihm sehr heftig, und ich sah voraus, daß wie bei den Schäfern im Theokrit und Virgil, so auch hier der Wettkampf der Kunst bald in Zank und Streit ausarten würde; weßhalb ich beide Theile entließ, und nach alter guter Sitte, wie Daphnis und andere Schiedsrichter der Art, jedem eine kleine Belohnung gab. Die Bhats sind durch ganz Raiputanien ein geheiligter Stand und wurden einst von Hahadeo zur Bewachung seines heiligen Stieres aufgestellt; sie verloren aber dieses heilige Amt durch ihre Feigheit. Der Stier hatte in der Gunst des Gottes einen Löwen zu seinem Nebenbuhler. Diese Lieblingsthiere wurden in Einem Zimmer zusammen gesperrt, wo der Löwe, trotz des Geschreis, das die Bhats erhoben, beinah jeden Tag den Stier aufzehrte, zum großen Verdrusse Siva’s, der an die Stelle des gefallenen Stieres jedesmal für einen neuen sorgen mußte. Die Gottheit schuf nun ein neues Geschlecht von Menschen, die Charuns, von gleicher Frömmigkeit und Tugend, aber muthiger als die Bhats, und machte sie zu Wärtern ihrer Menagerie. Die Bhats behielten jedoch immer noch die Obliegenheit, das Lob der Götter und der Helden zu singen, und wurden so als die erblichen Wächter der Geschichte und der Stammbäume von dem stolzen und trotzigen Adel von Raiputana noch mehr in Ehren gehalten, als selbst die Braminen. In den wildern Gegenden des Südwestens aber stehen die kriegerischen Charuns bei dem Volk in größerer Achtung. Noch vor wenigen Jahren pflegten Kaufleute und sonstige Reisende durch Malwah und Guzerat einen Charun zu ihrem Schutze zu dingen. Wenn Räuber erschienen, trat der Charun vor, schwang sein weißes Gewand, und sprach in Versen Schande und den göttlichen Fluch aus gegen den, der sich an Reisenden unter dem Schutze von Siva’s heiligem Sänger zu vergreifen wagte. Half dieses nichts, so stach er sich mit dem Dolch in den linken Arm und erklärte, daß sein Blut über sie kommen solle; war auch dieß vergebens, so war er verpflichtet, sich den Dolch ins Herz zu stoßen – was

  1. Franken.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_411.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)