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miethen. Die Gebieterin des Hauses war mehr unter dem Namen der Gachupina[1] (einem Schimpfwort für die europäischen Spanier) als unter ihrem eigentlichen, Dona Francesca, bekannt. Diese Dame, welche im Rufe stand, eben so reich als honett zu seyn, bedauerte unendlich, daß die Zeit nicht erlaubte, mein Zimmer zu weißen; zwei indianische Mädchen waren jedoch sogleich beschäftigt, den Lehmboden aufzuwaschen und mir es bequem zu machen. Meine Hauswirthin war voller Artigkeit, und hatte, wie ich bald ersah, keine geringe Meinung von ihrer guten Erziehung und Lebensart. Sie galt als eine der geachtetsten Frauen in Tampico, und obgleich ein gewisser Don Antonio, der ihren kleinen Kramladen und ihr schönes Ich bediente, nicht ihr Eheherr war, so that sie sich doch auf ihren unbescholtenen Character, und die hohe Achtung, in der sie ihres Reichthums wegen stand, nicht wenig zu gut. Sie mochte ihre fündundvierzig Jahre haben, war wohlbeleibt, und, wenn sie, in ihrem Morgennegligee ihr Hemd mit einem Band um die Lenden gegürtet, ihre Cigarre schmauchte, äußerst liebenswürdig. Diese reizende Figur und ich bildeten jeden Morgen um 6 Uhr eine interessante Gruppe. Meine schöne Wirthin lehnte sich über ein kleines Pförtchen, das den Schweinen, Hunden, Katzen und dem Geflügel den Eingang aus dem Hof in mein Zimmer verwehrte. Während ich mit ihr behaglich die Cigarren verschmauchte, womit sie mich beehrte, nahm ich bei ihr Lectionen im Spanischen und unterhielt mich mit ihr in ihrer Muttersprache; wo ich denn immer hören mußte, daß sie eine „Altspanierin“ und obgleich, wie beinah alle eingebornen Frauenzimmer dieser Stadt, des Lesens und Schreibens unkundig, dennoch ihre Ansprüche auf höhere Bildung habe. Die Hinterthür meines Zimmers, welche die Stelle eines Fensters vertrat, ging auf einen Hof, in dem achtzehn Hennen mit einem zahllosen Heere Küchlein ihr Unwesen trieben. Das Wiehern eines an einen Baum gebundenen Pferdes wurde von Zeit zu Zeit von zwei Kollegen in einem kleinen, offenen Stalle beantwortet. In diesen Chor stimmten vier beißige Hunde ein, die von Morgen bis Abend und von Abend bis Morgen heulten und sich selbst oder fünf lahme Katzen und ihre Jungen anbelferten. Die vorstehenden Dachtraufen, die eine Art bedeckten Gang bildeten, schützen Dona Francesca (die Herrin des Hauses) vor der Sonne und schirmten auch einen meiner ärgsten Plagegeister. Auf einer Stange, die an beiden Enden an einem Stricke hing, wiegte sich ein Lieblingspapgei, der unaufhörlich schwatzte, und so ziemlich in demselben lieblichen Ton, wie seine Gebieterin. Bruchstücke aus spanischen Liedern, Schimpf- und Spotteden, Liebkosungen, Flüche, Gebete drängten sich mit einer Schnelligkeit, die nur ihm und seiner Besitzerin eigen war. Zu meinem Unstern mußten noch zwei junge indianische Frauen nebst einem plauderhaften Mädchen zwei Yards von meiner Thür Mais mahlen, Törtchen wellen, singen, klatschen und lachen, ununterbrochen fort; zur Essenszeit vollendete das Geprassel der im Oel gebratenen Fische und anderer Gerichte diese Harmonie. Francesca, deren Stimme dem Hörer durch Mark und Bein drang, hatte ein kränkliches, gelbliches, eigensinniges Kind adoptirt, das beständig schrie und nirgend ruhen wollte. Das Geschrei des armen Kindes, von dem Papagei getreulich nachgeahmt, hatte abwechselnd Liebkosungen, Scheltworte und Züchtigungen mit der Ruthe von Seite der Pflegemutter zur Folge. Das Ende vom Liede war gewöhnlich, daß das arme Geschöpf, zur Strafe in den Hofraum gesperrt, schluchzend in eine Ecke meines kleinen Zimmers kroch. Ich sage nichts von den Schweinen und ein paar Böcken, die zu meinem Unglücke sehr gute Lungen hatten, noch von Don Antonio’s beständigen Streiten über politische Gegenstände mit einem kränklichen Bergwerksgenossen, der, wenn seine Geschäfte es erlaubten, jedes Mal zu mir aufs Zimmer zu kommen und mir seine Noth zu klagen pflegte. Füge ich dieser Leidensliste noch die unbeschreiblich scharfen Hauer der Flöhe, Wanzen, Mosquitos, Sandfliegen und Garrapatos [2]bei, welche in den Momenten, wo ich der Ruhe bedurfte, auf Kosten meines armen Leichnams schwelgten, so kann man sich einen Begriff von meiner Lage machen.“ –

  1. Die Rundhüte?
  2. Eine Art kleiner Zecken, die in Menge ihre Köpfe in die Haut eingraben und nur mit großer Mühe wieder herausgezogen werden.
(Fortsetzung folgt.)


Das Königthum und die Demokratie in Frankreich.

[1]


Jene falsche Politik, welche Könige und Völker als zwei feindliche, einander gegenseitig mit Unterjochung oder Vernichtung bedrohende Elemente betrachtet, hat zwei Systemen des Absolutismus das Daseyn gegeben, die in ihren Prinzipien gleich verkehrt, in ihren Folgen gleich verderblich waren: sie hat die Könige mit dem Zauberspiel der absoluten Gewalt, die Völker mit dem Traumbild der absoluten Freiheit getäuscht. Aber jetzt, da beide Theile des gefährlichen Kampfes müde und nur das Errungene zu sichern oder das Gerettete zu erhalten bedacht sind, gewinnt die Frage neues Interesse, welches die geeignetsten Mittel seyen, jene Gegensätze aufzuheben oder zu versöhnen.

In einem aufgeklärten Zeitalter, wo das Volk nicht so wohl zu befürchten hat, vom Throne unterdrückt, als der Thron, der heilige Bewahrer der Ordnung und der Sitte, von der blind anwogenden Masse des Volks überwältigt zu werden, kommt vorzüglich die Sicherheit des Thrones in Betracht. Man hat zu dem Ende geglaubt, denselben mit aristokratischen Barrieren umgeben zu müssen; indem man aber Stände schuf, die man so aus dem Volk heraus riß, daß das Volk sie nicht mehr für seines Gleichen halten konnte, geschah es, daß man oft den Antagonismus der demokratischen

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_448.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2023)
  1. De la Démocratie dans la monarchie constitutionelle ou essai sur l’organisation municipale et départementale et sur la formation de notabilités politiques en France. Par Joseph Aubernon, Ex-prefèt. Paris, Mars 1828.