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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 109. 18 April 1828.

Das neue brittische Colonisationssystem.

[1]


Stets muß man die Folgen der Lage, in die man sich selbst gesetzt hat, hinnehmen. England, in Industrie und Reichthum glänzend, alle Meere mit seinen Schiffen und alle Küsten mit seinen Kolonien deckend, leidet dennoch an zwei Uebeln, die eben aus jener Vollblütigkeit hervorgehen. Das eine dieser Uebel hat zur Folge, daß viele englische Familien, die ein redlich erworbenes, aber etwas beschränktes Einkommen besitzen, damit auf ihrer Insel nicht leben können, daher das Vaterland verlassen, sich nach Frankreich, Italien, der Schweiz wenden, und so ihre Renten im Ausland verzehren. Die schweren Abgaben, die Armentaxe, die Zehnten des anglicanischen Klerus haben alle Gegenstände des Verbrauchs so sehr vertheuert, daß man, um jenseits des Canals angenehm leben zu können, viel reicher seyn muß als anderswo. [2] Auch muß man hiebei wohl bemerken, daß in diesem Lande die öffentliche Achtung, die man genießt, sich nach den Ausgaben, die man zu machen hat, richtet, so daß eine bescheidene, sparsame Familie, die sich sonst gerne mit wenigem begnügen würde, doch sich nicht dazu versteht sich einzuschränken, weil sie in der öffentlichen Achtung sinken würde, ihr Betragen möchte auch sonst noch so vorwurfsfrei, und das persönliche Verdienst ihrer einzelnen Glieder noch so groß seyn. So trägt die Nation in sich selbst die Strafe ihrer Eitelkeit, wie andere Nationen die Strafe ihres Leichtsinns.

So bedeutend dieses Uebel ist, so scheint es doch die Aufmerksamkeit der Gesetzgeber Großbritanniens noch nicht auf sich gezogen zu haben. Ein anderes Uebel hingegen ist der Gegenstand des wichtigen Berichtes, den eine im vorigen Jahre ernannte Commission dem Hause der Gemeinen zu erstatten hatte – die Nothwendigkeit der Auswanderungen und Colonisationen. [3] Am besten wird man diesen Bericht verstehen, wenn wir einfach den Zustand darstellen, in welchem sich die arbeitende Classe in mehreren Provinzen, vorzüglich in den südlichen Provinzen Schottlands, in der Umgegend von Glasgow, Paisley, Lanarck befindet. Die Arbeiter daselbst sind stets der Gewerbstockung und folglich der Nahrungslosigkeit ausgesetzt. Vermindert sich die Nachfrage nach den Manufacturproducten, so fällt auch der Preis ihres Taglohns, ja, viele Arbeiter sind ganz unbeschäftigt. Dieses Uebel ist allen Manufactur-Districten gemein; aber die Opfer solcher ungünstigen Zeitverhältnisse sind zahlreicher in den Ländern, wo die Manufactur-Industrie die Hauptrolle spielt. Indessen ist dieß noch nicht das größte von den Uebeln, die uns hier vors Auge treten.

Irland, das arme und doch so fruchtbare Irland, das, Dank den Kartoffeln, seine Bevölkerung in hundert Jahren sich vervierfachen sah, kann diese Bevölkerung nicht mehr beschäftigen und nähren. Blos ein Canal von einigen Stunden trennt es von Schottland, und ganze Schaaren unglücklicher Irländer kommen herüber, um in jeder Art von Beschäftigung ihre Dienste um die Hälfte des Lohnes anzubieten, den der schottische Arbeiter nöthig hat, um leben zu können. Jene Irländer haben keine weitern Bedürfnisse, als ein paar alte Lumpen, um die Blöße zu decken, eine Lehmhütte, um sich vor Wind und Wetter zu schützen, und einige Kartoffeln. Wie kann nun der schottische Arbeiter, der in einem Hause leben, etwas Fleisch essen, und Bier trinken muß, gegen die Concurrenz des bedürfnißlosen Irländers bestehen? Könnte man wohl dem Manufacturherrn, der selbst gegen so zahlreiche Concurrenten zu kämpfen hat, zumuthen, daß der dem Schotten eine Arbeit theurer bezahlen soll, die ihm der Irländer wohlfeiler liefert? In vielen Gewerben beschränkt sich das, was der Lehrling zu lernen braucht, auf

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_451.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2023)
  1. Nach einem – mit J. B. S. (Joh. Bapt. Say) unterschriebenen Aufsatze in dem neuesten Hefte der Révue encyclopédique.
  2. Man fragt oft, wie es möglich sey, daß die Engländer den Fremden dieselben Producte so wohlfeil liefern, die bei ihnen selbst so theuer verkauft werden, so daß man z. B. in Paris die englischen Waaren um billigern Preis kauft, als in London? Dieß ist, neben vielen andern, vorzüglich zwei Hauptursachen zuzuschreiben: der Handelsmann, der Waaren ausführt, erhält für die Hauptartikel der Ausfuhr bedeutende Rückzölle (Rückzahlungen bezahlter Taxen); zweitens fallen die in England so ungeheuren indirecten Steuern besonders hart auf den Verkäufer, den Handels- und Gewerbsmann, der daher gezwungen ist, durch den erhöhten Preis seiner Waaren sich zu entschädigen für die enormen Taxen, die auf dem Biere und dem Weine liegen, den er trinkt, auf den Flaschen, in denen er sein Wasser auf den Tisch stellt, auf dem Hut, dem Rock, den Schuhen, die er am Leibe hat, kurz, auf jedem Gegenstand seiner Consumtion und seines Vergnügens.
  3. Third report from the Committee on Emigration etc. London 1827. 1 gros vol. in fol.