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Das Ausland. 1,2.1828

andere Strafe als mehrtätige Einkerkerung zu fürchten hatte. Es ist nicht wohl gedenkbar, daß die Dinge lang in diesem regellosen Zustande bleiben werden; und viele meiner Bekannten waren der Meinung, daß ein grito (ein Aufruf zur Empörung) die ganze Stadt zu einem Aufstand gegen die Regierung, oder zu kaltblütiger Ermordung aller Spanier, Ausländer und selbst wohlhabender Eingebornen führen könnte. Die europäischen, in dem Lande ansäßigen Spanier, welche im einzelnen nicht für die frühere tyrannische Bedrückung der Mexicaner verantwortlich sind, verdienen alles Mitleid. Ihr Leben steht in beständiger Gefahr, und zwar um so mehr, wenn sie reich sind. Die Aussicht auf Plünderung ist, wie für jeden andern Pöbel, so auch für den in Mexico ein großes Reizmittel des Patriotismus.“ – –

„Die Kreolen, oder Abkömmlinge von Europäern sind jetzt die bedeutendsten Personen in Neuspanien, und mit Ausnahme derer, die selbstthätigen Handel treiben, eine indolente, hochfahrende, übermüthige Menschenklasse, die, bei der groben Unwissenheit, in der sie die barbarische Politik Spaniens gehalten hatte, auch die höchste Verachtung gegen die armen, verstoßenen Indianer fortgeerbt haben. Sie sind mit Ausnahme einiger trefflichen, talentvollen Köpfe (die ich, wenn es anginge, mit vielem Vergnügen aufzählen würde) der am wenigsten achtbare Theil der Bevölkerung. Man hat jedoch allen Grund, von dem Einfluß der Fremden, und dem Verkehr mit der alten Welt überhaupt eine Sittigung der Nation zu hoffen und zu erwarten. Die Errichtung von Schulen wird viel hiezu beitragen; vor allem aber wird die Civilisation und Sittenverfeinerung gleichen Schritt mit der Achtung für das weibliche Geschlecht gehen; wirklich beginnen auch die Frauen nach und nach die ihnen in der bürgerlichen Gesellschaft gebührende Stellung einzunehmen. Man verwendet mehr Sorgfalt auf ihre Erziehung; und die Verbindungen einiger Engländer mit jungen Damen von Familie müssen die günstigsten Folgen herbeiführen.“ –

„Das viele Rauchen, Spielen, der Mangel an gehöriger Aufmerksamkeit für persönlichen Anstand wird bald verschwunden seyn, und mit ein wenig mehr Herablassung (es gibt wenige Leute in der Welt, die eine bessere Meinung von sich haben) wird der mexicanische Adel unsrer Zeit sehr bald seinen Vorfahren in der Aufklärung den Rang abgelaufen haben. Die kostbaren pittoresken Landestrachten beider Geschlechter kommen nun in Mißkredit, und die europäische Tracht wird in den Hauptstädten allgemein vorherrschend.“

Wir können nicht umhin, ein Beispiel von der mexicanischen Naivität anzuführen: Einer alten Dame, welche den Capitän jede Nacht durch ihr Gejammer über Kopfweh aus dem Schlafe störte, gab er zwei Pillen, welche sie mit vielem Vorbedacht in die beiden Nasenlöcher steckte, weil sie so dem Sitze des Schmerzens näher kamen. Eine weitere Instruktion erst brachte sie durch den Mund nach ihrem Bestimmungsort.

Wir bekommen einen Begriff von dem Kulturstande in Mexico; wenn wir den Preis der Pferde mit dem der Vögel vergleichen. Unser Berichterstatter erzählt:

„Ich wollte in Tula ein Pferd kaufen, und erstaunte über die Behendigkeit, womit die einzelnen Thiere aus der Heerde ausgewählt und zu meiner Besichtigung aufgefangen wurden. Der Anblick war äußerst interessant, – wie die wilden Rosse dahin galoppirten, und die Männer zu Fuß mit der muntersten Laune ihre Geschicklichkeit zu zeigen schienen. Ich kaufte hier einen guten Paßgänger um 12 Dollars. – Zu San Luis sah ich, da ich durch die Straßen ging, viele Vogelkäfige innerhalb der hölzernen Fenstergitter hängen. Unter den Vögeln schien der Sinsontio oder Spottvogel besonders beliebt zu seyn. Er ist in der Umgegend sehr häufig, und doch hält man fünfzig Dollars für keinen zu hohen Preis für einen guten Sänger.“



Orientalische Gerechtigkeit in Frankreich.

Gegen das Ende des vorigen Jahres wurde Fournier, ein unbemittelter Einwohner von Montlaur, von Ramondène, seinem Nachbar, vor dem Correctionsgerichtshof von St. Affrique verklagt, ein Seil gestohlen zu haben, und am 27 Dec. zu einem Jahr Gefängniß und den Kosten verurtheilt. Die Gründe, auf denen dieß Urtheil beruht, sind äußerst merkwürdig, indem sie uns aus der Civilisation des 19ten Jahrhunderts plötzlich mitten in jene Zeit zurück zu versetzen scheinen, wo der unbekannte Mörder dadurch entdeckt wurde, daß in seiner Nähe die Wunden des Erschlagenen zu bluten anfingen, und ein verläumdetes Weib seine Unschuld bewies, indem es mit bloßen Füßen über eine glühende Pflugschar ging; oder in den Orient, dessen summarische Rechtspflege unsern Lesern durch die anmuthigen Erzählungen der Schehezerade bekannt ist. „Das meinem Clienten gestohlene Seil, sagte der Advokat des Klägers, hat einen Knoten. Wenn der Angeklagte im Stande ist, einen ähnlichen zu machen, so ziehe ich meine Klage zurück; wenn er dieß aber nicht vermag und dagegen der Kläger diesen Knoten knüpfen kann, so gewinne ich meinen Proceß.“ Diese Idee wurde von dem Tribunal von St. Affrique mit Begierde aufgefaßt, und noch in derselben Sitzung kam es zu der verlangten Probe. Fournier bemüht sich vergebens, Ramondène ist glücklicher – er macht einen Knoten, der jenem an dem angeblich gestohlenen Seil vollkommen gleich kommt. Dieß ist genug: Fournier wird zu einem Jahr Gefängniß verurtheilt. Das Tribunal von Rodez, an welches von diesem Ausspruch Appellation erging, ließ die Gründe jenes Urtheils indeß nicht gelten und reducirte die Gefängnißstrafe auf einen Monat, indem es den Artikel 463 des Code pénal in Anwendung brachte.

Le Courrier des Tribunaux, 8 Avril 1828.


Byron’s Leben von Moore.

Thomas Moore hat, wie wir vernehmen, so viele Tagebücher, Briefe, mündliche und schriftliche Nachrichten über Byron gesammelt, daß seine „Memoiren“ des Dichters ohne Zweifel jede andere Schrift über denselben – außer der vernichteten Autobiographie – ersetzen werden (zu wünschen wäre nur, daß der so geistvolle Verf. von Rallah-Roockh etc. dieß mal seine Materialien etwas mehr verarbeitete, als er es in den „Memoiren Sheridan’s“ für gut fand.)

Literary-Gazette, April 5.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_466.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2023)