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Das Ausland. 1,2.1828

tüchtig an und stecken einen langen Schnipfel von hartem Holz hinein, dessen sie sich bedienen, um sich den Kopf zu kratzen. An dem linken Arm haben sie ein krummes Messer befestigt.

Ein Umstand, der dem Reisenden auffällt, ist das numerische Mißverhältniß beider Geschlechter, welches allenthalben bemerkt wird. Wenn man aber bedenkt, daß die Unfruchtbarkeit des Landes es ist, welche viele Männer bestimmt, nach Egypten in Dienste zu gehen, wo sie wegen ihrer Ehrlichkeit gerne, namentlich als Thürhüter gebraucht werden; während die im Durchschnitt sehr häßlichen Weiber, die kein Gegenstand für die Haremsjäger sind, nicht außer Landes kommen; so hat man nicht nöthig, um das Vorherrschen der letztern zu erklären, zu künstlichen Geburtstheorien seine Zuflucht zu nehmen.

Indessen scheint es, die Wüste habe im langsamen Lauf der Jahrhunderte ihr Gebiet über manche einst blühende Stätte ausgedehnt, seitdem jene künstlichen Dämme, durch welche die Alten das gute Erdreich gegen die Gewalt der Strömungen schützen, mehr und mehr in Verfall gerathen sind. Noch an verschiedenen Orten sieht man diese ungeheuren Steindämme dreißig bis fünfzig Schuh von beiden Ufern in den Fluß hinein sich erstrecken, und sie sind eben sowohl als die vielen prachtvollen [1] Ruinen, auf die man beinahe mit jedem Fußtritte stößt, ein sprechender Beweis, daß vormals ein besseres und beglückteres Geschlecht hier gewohnt habe.

Wo sind jetzt aber die Städte der Barâbra? Ihren Hauptort Derr nicht ausgenommen, gibt es überall nur unbedeutende Dörfer mit elenden Hütten, wozu der lehmige Nilschleim oder das steinreiche Gebirg das Baumaterial reicht, die Kunst nichts thut, als daß sie die aus dem Lehm gemachten und an der Sonne getrockneten Ziegel oder die aus dem Gebirg geholten, aber unbehauen gelassenen Steine auf einander legt, und dem Ganzen eine gewisse Pyramidalform gibt. Doch ist die Ansicht von einem solchen Dorfe ziemlich artig, indem die Hütten, meist auf einem erhöhten Standpunkte, einem Felsen, so liegen, daß jeder Eigenthümer mitten in seinem Gute, wie in einem Garten, wohnt.

Am 25 November hatten wir den Nilfall von Asuan verlassen, am 8 December waren wir in Uâdy-Halfa (21° 53’ 33" nörd. Br., 28°, 55’ 30" östl. L.).

Südlich, unweit von dem Dorf Uâdy-Halfa beginnt der Wasserfall [2] dieses Namens. Schon hier versperren grünbewachsene schwarze Felsen den Flußweg. Die Gegend, die wir jetzt betraten, heißt das Steinthal. Die Bergstraße führt längs dem Nil hinauf, wobei man den nahen Wasserfall immer im Gesicht behält. Der Strom bildete, als er sich durch das Gebirg Bahn brach, aus den Bruchstücken der Felsen eine Menge kleiner Inseln, auf deren mehreren sich der Anblick eines schönen Pflanzenlebens darbietet. Die von der starken Strömung getriebene Fluth sprudelt und windet sich rauschend durch die Klippen. Die dunkle Schwärze der Felsen, die vierzig Fuß hoch über den Wasserspiegel sich erheben, bildet einen schneidenden Contrast mit dem weißen Wogenschaum, dem rothen Sand und dem Grün der mit Gesträuch, blühenden Akazien und Datteln bewachsenen Inseln. Der Wechsel der Farben, der von den Strahlen der Sonne vergoldete Strom, das Brausen der Wasser mitten in der schweigsamen Einsamkeit, der unermeßliche Gesichtskreis, in dem das Auge sich verlieret, ein Schauspiel, an dem ich mich nicht satt sehen konnte!

In der alten Sage, daß die Anwohner der Katarakten von dem wilden Schlag der Wogen taub werden, liegt eine Andeutung der überwältigenden Macht dieses Eindrucks.

(Fortsetzung folgt.)


General Pelets Urtheil über die Angelegenheiten des Orients.


(Fortsetzung.)

Schweden, das zwei Jahrhunderte lang der Schrecken Rußlands war, ist dessen Vasall geworden. Die Alands-Insel verbinden die Küsten von Upland und Finland. Wenn das Eis die Meerenge bedeckt, so kann man die fünf Meilen breite Ueberfahrt in wenigen Stunden machen. So ist Stockholm durch die Nähe der Kosacken beherrscht. Wenn jedoch noch jetzt, bei dem Kriege Rußlands gegen die Türkei, der ehemalige Marschal Pontecorvo sich an die nicht sehr ferne Zeit erinnern wollte, wo Gustav III die Fensterscheiben in den Wohnzimnmern der großen Catharina klirren machte, so könnte Rußland wieder furchtbare Gegner finden. Richten wir unsere Blicke auf den muthmaßlichen Schauplatz des nahen Krieges. Zwischen dem adriatischen und dem schwarzen Meere finden wir die europäische Türkei, die im siebenzehnten Jahrhundert einen großen Theil von Siebenbürgen, die Moldau, die Ufer des schwarzen Meeres und die Krym besaß. Sie beherrschte damals eine Menge Völker, die gegenwärtig ihre Waffen gegen den Halbmond kehren. Durch den Vertrag von Akierman ist die Türkei auf das rechte Ufer der Donau zurückgeworfen, während die Mündungen dieses Stromes bei dem großen Bogen von Silistria umgangen werden können, während Servien, eine griechische Provinz, gegen Bosnien und Bulgarien vordringt. Und – Constantinopel liegt hinter dem rechten Flügel der türkischen Armee und nur 100 Stunden von der Grenze. Diese Hauptstadt, auf einer Landzunge zwischen dem Meere von Marmora und dem schwarzen Meere, wird zwar durch die ziemlich steile Kette des großen Balkan gedeckt; die verschiedenen

  1. Man vergleiche F. C. Gaus „Neuentdeckte Denkmäler Nubiens“ etc. ein Werk, das Cailliaud’s Reise ergänzt; denn Gau beschäftigt sich mit dem Theil von Nubien, der zwischen dem ersten und zweiten Nilfall liegt; wo Gau aufhört, beginnen Cailliaud.
  2. Hiezu ein lithographirtes Bild, welches in einigen Tagen nachgeliefert wird.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_500.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)