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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 123. 2 May 1828.

Ueber den gegenwärtigen Zustand von Columbia.

[1]


Zwei große politische Parteien stehen sich auf allen Puncten der neuen, wie der alten Welt gegenüber, die wir nicht treffender bezeichnen können, als durch die alten in der neuesten Zeit, wie es scheint, etwas außer Credit gekommenen Namen der Demokraten und der Aristokraten. Ueberall fordern die erstern Freiheit des Thuns und Lassens, Gleichheit der Rechte und Pflichten für alle Individuen, welche die Staatsgemeinde bilden; die andern verlangen dieselbe Freiheit und Gleichheit als Vorrecht für einen einzelnen Stand, den sie allein derselben würdig achten. In den europäischen Monarchien sucht die demokratische Partei das, was sie die Rechte des Volkes nennt, durch Constitutionen zu verwahren und neuerdings fängt man daher an, nachdem der temporäre Name der Liberalen seine Bedeutung verloren hat, sie die Constitutionellen zu heißen. Die Aristokraten haben, ungeachtet ihrer unaufhörlichen Niederlagen seit der französischen Revolution, ihre Ansprüche auf die Feudalrechte des Mittelalters (die im Allgemeinen etwa darauf hinauslaufen, möglichst viel von der Staatsgemeinde zu erhalten, z. B. Ehren, Aemter, Besoldungen etc. und möglichst wenig für sie zu leisten, z. B. Abgaben, Dienste etc.) noch keinesweges aufgegeben, und, da sie sich in der That mit dem, was sie haben, nie begnügen, so scheinen sie ihren gewöhnlichen Namen der „Ultra’s“ mit vollem Rechte zu verdienen. In den amerikanischen Republiken sind es dieselben Gesinnungen, die wir einander gegenüber finden; aber natürlich ist hier nicht mehr von Bevorrechtung eines Standes, oder von möglichster Verwahrung der Rechte des Volkes gegen Unterdrückung die Rede, sondern nur von einem höheren oder niederen Grade der Freiheit, die man den einzelnen Individuen zugestanden wissen will. Die Stellung, welche die beiden Parteien in den verschiedenen Republiken einnehmen, wird durch die jeweiligen Localverhältnisse verschieden bestimmt; in allen aber sehen wir sie zwei einander entgegengesetzte Verwaltungssysteme verfechten, das der Centralisation und des Föderalismus. Sonderbar ist es, daß in Nordamerika, wo das Föderativsystem seine höchste Ausbildung erhalten hat, die Demokraten es sind, welche in der neuesten Zeit am Eifrigsten die Union aufrecht erhalten haben, während die aristokratische Partei, die Alles auf dem status quo zur Zeit des Ausbruches der Revolution möglichst zu erhalten wünschte, und daher, so fern dieser Grundsatz Princip des Congresses war, föderalistisch gesinnt durch die Convention von Hartford geradezu die Union zu sprengen drohte [2]. In den südamerikanischen Republiken kämpft dagegen die aristocratische Partei, ihrem ursprünglichen Princip treu, für Centralisation der Regierung, die democratische für Trennung der Provinzen in selbstständige Staaten, die nur durch das Band eines freien Vereins zusammenhalten würden. In beiden sind es natürlich die Aristocraten, welche sich am Geneigtesten zeigen, den Interessen des Mutterlandes Zugeständnisse zu machen. So vereinigten sich in Mexico die gemäßigt-republikanischen Escoceres mit den Altspaniern, während die streng republikanischen Yorkinos auf Verbannung derselben drangen. Durch den Sieg der Yorkinos wurde vor wenigen Monaten [3] die Revolution in den Vereinigten Staaten von Mexico in demselben Sinne, wie durch den Sieg der Democraten im J. 1813 die Revolution von Nordamerika vollendet. – Auch in den Vereinigten Staaten von Mittelamerika ist es das wesentlich democratische Föderativsystem, welches die Grundlage der Verfassung bildet; doch behauptet hier die aristocratische Regierungspartei, wie es scheint, die Oberhand. Der Hauptsitz der Democraten ist in dem Staate St. Salvador, der sich bekanntlich in offener Fehde gegen die Centralregierung von Guatimala befindet. – In Columbia, Peru und Bolivia schien der Sieg der Centralisten entschieden, als der Aufstand der columbischen Truppen in Lima den Ausgang des Kampfes der beiden Parteien aufs Neue unentschieden machte. In Peru siegte die Sache der Democratie, in Bolivia wird Bolivars aristocratisches System durch den columbischen General Sucre aufrecht erhalten; in Columbia hängt die Entscheidung von der Bestimmung der durch den Congreß berufenen allgemeinen constituirenden Versammlung ab. In Chile sind Bolivar’s Bemühungen, durch Unterstützung der Partei des vertriebenen Präsidenten O’Higgins die democratische Centralregiergung nach seinem System zu modificiren, vergeblich geblieben. In Buenos Ayres herrscht die unumschränkteste Demokratie.

Welche Wendung der Kampf der beiden einander gegenüberstehenden Parteien in Columbia nehmen wird, ist

  1. J. M. Salazar, Oberservaciones sobra las Reformas politicas de Colombia. Filadelfia, 1828.8.
  2. S. Ausland Nr. 47 S. 186
  3. S. Ausland Nr. 98 S. 389.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_509.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)