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Das Ausland. 1,2.1828

die Pflicht auferlegt, sich auf das Ernstlichste einer Eroberung der europäischen Türkei zu widersetzen.

Wir grenzen gegenwärtig an alle Mächte, deren Kräfte sich bedeutend vermehrt haben: an Preussen, unsern unmittelbaren Nachbar; an England, durch die Meere, die unsre beiderseitigen Küsten bespühlen; an den deutschen Bund durch Bayern und Baden; wir berühren, in gewisser Rücksicht, selbst Rußland – wegen seiner Familienbündnisse – und Oesterreich durch unsere Verhältnisse zu Italien. Frankreich hat also direkte Beziehungen zu allen großen Staaten; seine Politik und seine Lage fordern, daß es seine Entschlüße mit denen seiner Nachbaren nach dem Grade ihrer Nähe in Einklang bringe. Durch seine Lage am weitesten von den Angelegenheiten des Orients entfernt, kann es sich zuletzt aussprechen und daher ohne Schwierigkeit im Zustande einer bewaffneten Neutralität behaupten, die Reiche, welche das wahre Gleichgewicht und die Ruhe Europas zu erhalten wünschen, in einen Bund vereinen, und dadurch sich an die Spitze der öffentlichen Meinung stellen, welche sich als eine wahre Macht erwiesen hat, seitdem die Völker auf die Kriege ihrer Fürsten und auf die Regierungen Einfluß gewonnen haben.

Frankreichs Neutralität wäre nur eine jämmerliche Selbsttäuschung, wenn sie nicht auf die Stärke der Bajonette gestützt würde. Ein Staat sichert seine Unabhängigkeit im Frieden nur in so weit als er im Stande ist, dieselbe durch den Krieg zu behaupten; diese Nothwendigkeit wird noch dringender in einem Augenblicke, wo Europa von einem allgemeinen Brande bedroht ist, und wo man nicht weiß, wer Freund oder Feind ist. Frankreich muß ungesäumt seinen Militär-Etat wieder herstellen im Verhältniß zu seiner Bevölkerung, seinem Reichthum, und vorzüglich im Verhältniß zu den Kräften der übrigen Mächte Europas; [1] es muß seine mobilen Truppen, seine Reserven und seine stehenden Corps für die innere Vertheidigung wieder organisiren, nach den im Auslande gegebenen und im Innern oft gelungenen Beispielen. Wenige Worte, wenige Handlungen werden hinreichen, um in Frankreich wieder jenen kriegerischen Geist zu wecken, der im Herzen aller seiner Kinder lebt. Die Würde der Krone verlangt, daß ihre Diplomaten von jenen Armeen unterstützt werden, welche ganz Europa kennt, von jenen Armeen, deren Veteranen und Conscribirte mit edlem Stolze sich auf allen Schlachtfeldern zeigen können.

Wenn die Entwürfe, mit denen wir uns beschäftigen, chimärisch und unsere Besorgnisse übertrieben sind, so ist es darum doch nicht weniger wahr, daß in dem großen Lager, das Europa heißt, der Krieg jeden Augenblick ausbrechen kann, und daß es unmöglich ist, die Resultate des ersten Kanonenschußes vorauszusehen, so wenig als die Veränderungen, welche sich, nach zwei oder drei Feldzügen, in den Allianzen ergeben möchten. Indem man die französische Armee auf einen achtbaren Fuß setzt, kann man damit noch immer leicht verbinden, was man der Sparsamkeit in den Finanzen, den Interessen des Ackerbaues und der Industrie, so wie den Rechten des Bürgers, dem Staate nur die schlechthin nothwendige Zeit zu widmen, schuldig ist. Der General Lamarque und der Obrist Marbot haben treffliche Ansichten aufgestellt über die Organisation der Militärkräfte. Ganz Frankreich muß der Vermehrung seiner Armee Beifall schenken; denn diese Armee, um stark zu werden, muß zugleich wesentlich national seyn, und vom letzten Soldaten bis zum Marschall eine ununterbrochene Kette bilden. Frankreich wird seine Unabhängigkeit und seine Freiheit durch die Organisation einer solchen Armee gesichert sehen.

Ich schließe mit einem Ausspruch, der mit etwas veränderten Worten Friedrichs II Gedanken wiederholt. Das Gleichgewicht Europas soll fortan nie gestört, das Daseyn keines Staates soll bedroht, die Würde keiner Krone, die Rechte keines Volkes sollen verletzt werden, ohne Frankreichs Einschreiten.... Die ewige Gerechtigkeit, die Wünsche der Völker, die Ehre der Mächte fordern, daß Griechenland für immer vom türkischen Joche befreit und vom fremden Einfluße unter der Bürgschaft aller Mächte unabhängig sey. Das Interesse Europas aber erheischt, daß die Türkei zwischen der Donau und der Propontis erhalten werde; es verlangt vielleicht noch mehr, um die Ruhe der Welt zu sichern.



Freimüthigkeit der Perser.

Wer mit der Natur des orientalischen Despotismus und seiner wesentlichen Verschiedenheit von dem einiger europäischen Regierungen nicht genauer bekannt ist, muß überrascht werden, wenn er vernimmt, mit welcher Freiheit der geringste Bewohner einer persischen Stadt sich über seine Oberen, ja über die geheiligte Person des Schah selbst ausläßt. Hadschi Ibrahim, der Premierminister von Persien zu der Zeit, wo General Malcolm dieses Land besuchte, erzählte zum Beweise des freien Muthes seiner Landsleute den Engländern unter andern folgende Anecdote: Bei einer außerordentlichen Steuer, die der Gouverneur von Ispahan, Ibrahims Bruder, auf jeden Laden eines Gewerbemannes legte, brach ein Gemüsehändler an dem Ort durch, wo der Gouverneur öffentliche Audienz gab und rief aus: er sey völlig außer Stande, die Taxe zu bezahlen, die ihm auferlegt sey! „Du mußt sie bezahlen, oder die Stadt verlassen!“ war die Antwort. „Ich kann sie nicht bezahlen,“ sagte der Mann, „an welchen andern Ort soll ich gehen?“ – „Du magst nach Schiras gehen, oder nach Kaschan, wenn dir diese Städte besser gefallen, als die unsrige, sagte der Gouverneur.“ „Euer Bruder,“ erwiederte der Gemüsehändler, „ist Gouverneur in einer dieser Städte und Euer Neffe in der andern, welche Hülfe soll ich dort erwarten?“ – „So magst du an den Hof gehen und dich bei dem Schah beklagen, wenn du glaubst, daß ich dir unrecht gethan habe.“ – „Euer Bruder, der Hadschi, ist Premierminister,“ entgegnete der Mann! – „So geh zur Hölle!“ rief der erzürnte Gouverneur und beunruhige mich nicht länger!“ – „Der verstorbene Hadschi, Euer Vater, mag vielleicht dort seyn,“ antwortete der Bürger, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. – Alle Umstehenden lachten und der Gouverneur, der eben so wenig ernsthaft zu bleiben vermochte, bat den Klagenden sich zu entfernen und versprach dafür zu sorgen, daß ihm nicht zu viel geschähe.

Macolm, history of Persia II p. 634.
  1. Daß das französische Ministerium eine Reorganisation des Militärs in der Art beabsichtigt, kann nach den neuesten Verhandlungen der Deputirtenkammer keinem Zweifel mehr unterliegen.
    A. d. R.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_512.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)