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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 127. 6 May 1828.

Uebersicht der neuesten italienischen Literatur.

In Briefen von einem italienischen Gelehrten.

[1] Die Rechtskunde hat in Italien einen sichern und ehrenvollen Sitz auf mehreren Universitäten, hauptsächlich auf der zu Turin. Das römische Recht wird im Allgemeinen wenig studirt, und in einigen Provinzen blos als Luxusstudium betrachtet. Die Italiener besitzen keine eigentlich philosophische Geschichte der römischen Gesetzgebung, und auf einigen Universitäten wird das römische Recht gewöhnlich eben so exegetisch vorgetragen, wie man das Landrecht erklärt. In Turin und auch im Königreich Neapel hat sich das Studium der römischen Gesetze noch mehr als anderswo erhalten; nur werden sie daselbst zu sehr blos in ihrer praktischen Bedeutung betrachtet, indem die Kenntnisse der innern Geschichte Roms noch nicht so weit gediehen ist, um überall einzusehen, wie die gesetzlichen Bestimmungen Roms stets nur eine Folge und ein Ergebniß seiner politischen Verhältnisse waren. Ungeachtet aber hier noch viel zu thun ist, und ungeachtet Italien allerdings der Vorwurf trifft, daß es auf halbem Wege stehen blieb, so kann man ihm doch die Anerkennung nicht versagen, daß seine Gelehrten es waren, die zuerst einsahen, daß zum richtigen Verständniß des römischen Rechts ein tieferes Eingehen in die Regierungsform und die politischen Veränderungen im Herzen dieser Königin der Welt unerläßlich ist. Vico und Gravina haben sich vor allen Andern in dieser schwierigen Aufgabe versucht. Besondere, leicht zu errathende Umstände ließen dieses Studium in Italien nicht weiter gedeihen, doch fehlt es nicht an Männern, die auch in diesem Zweige der Wissenschaft aufs Rühmlichste vorwärts schreiten, und viele Schriften beurkunden, daß die philosophische Rechtskunde in dem Vaterlande der Filangieri und Beccaria keineswegs verschwunden ist. Unter diesen Schriften nennen wir vor allen die „Genesi del diritto penale“ des Gian Domenico Romagnosi. Vico, Mario Pagano, Filangieri, Beccaria, Cremani, Nani, und Andere mehr haben jedem, der diesen schwierigen und wichtigen Theil der Gesetzgebung bearbeiten will, die Bahn gebrochen. Das Werk Romagnosi’s ist jedoch nichts desto weniger als eine völlig neue Erscheinung zu betrachten, und hat manche bisher unbeleuchtete Punkte der peinlichen Gesetzgebung ins Licht gestellt. Wie das Strafrecht in der Gesellschaft entstanden, worin es sich begründe, wie weit es sich erstrecke, wie es ausgeübt werden müsse, um seinen Zweck zu erreichen, kurz alle jene schwierigen Fragen sind von ihm in ihrer Tiefe aufgefaßt und stets mit Geist behandelt. Man legt seinen Schriften sonst allgemein, selbst in Italien, Dunkelheit zur Last, die erwähnte aber scheint uns so deutlich und klar, daß sie von jedem aufmerksamen Leser verstanden werden muß. Nach ihm verdienen angeführt zu werden die Strafgerichtsordnung (Nomotesia penale) des neapolitaners Raffaelli; die Grundsätze des peinlichen Rechts (gli Elementi di diritto criminale) des Professors Carmignani von Pisa; die Abhandlungen (Discorsi) des vor zwei Jahren verstorbenen Barbacovi. Die Italiener beschränken sich jedoch nicht blos auf inländische Originalwerke, sondern sie studiren und übertragen auch Schriften der Ausländer in ihre Muttersprache. [2] Die praktische Rechtsgelehrsamkeit ist in Italien noch mehr kultivirt, da sie freier und sicherer ist als die philosophische. So wurde zum Beispiel der österreichische Zivilcodex mit einer Vergleichung der römischen Gesetze gedruckt, so eine Abhandlung über die Klagen, – die Servituten, – die Substitutionen und die Fideicommisse, – die Verträge zwischen Lebenden – den letzten Willen – kurz alle Theile des Codex haben einen oder mehrere Commentare. Unter dem Titel der österreichischen Rechtspraxis (Giurisprudenza pratica austriaca) sind die berühmtesten Rechtsfälle seit der Einführung des vorbenannten Codex, die Deduktionen der Rechtsgelehrten für und wider, und die Entscheidungen der Rechtsbehörden gesammelt. So hat sich denn ein corpo die giurisprudenza pratica gebildet, das für die Advokaten und Richter äußerst nützlich ist. Es wäre übrigens sehr zu wünschen, daß jene beiden Stände in dem Theile von Italien, der unter dem Haus Oesterreich steht, sich mit der deutschen Sprache vertraut machten, um so die bestechende Rechtsordnung in ihren Quellen studiren zu können.

  1. Man vergleiche Num. 66, 67 und 79 dieses Blattes.
  2. So haben sie eine Storia delle prove giudiziarie di Geremia Bentham tradotte da Vincenzo Zambelli, und gli scritti del M. Pratobevera zu erwarten, deren Uebersetzung gegenwärtig im Werke ist.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_527.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2023)