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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 129. 8 May 1828.

Cobbett und sein neuester Brief an das brittische Parlament.



„Sie geben uns Briefe von Cobbett,“ sagte des andern Tages eine unserer Leserinnen zu einem der Redacteurs dieses Blattes, „Sie geben uns Briefe von Cobbett an Herzog von Wellington und jetzt erst wieder, höre ich, an das englische Parlament: Alles, was ich davon gesehen habe, ist recht interessant. Es ist so eine Art von Baß zu dem feinen Discant unserer lilliputanischen Diplomaten; und zuweilen, muß ich gestehen, bin ich eine große Freundin vom Baß. Aber wenn man Briefe liest, möchte man doch auch gern wissen, von wem sie kommen: wer, was ist denn eigentlich dieser Cobbett?“

Par exemple, antwortete ich, Cobbett ist einer der merkwürdigsten Männer unserer Zeit.

„Das will ich nicht wissen, unterbrach mich die Dame, die – wie die meisten gelehrten Frauen – etwas ungeduldig war. Daß der Mann mir merkwürdig ist, habe ich Ihnen ja selbst gesagt, aber was er ist?“

Wir können ihn, fuhr ich lächelnd in meinem Texte fort, wir können ihn als das auffallendste Beispiel von dem großen Namen betrachten, den in England ein Indidviduum unter allen möglichen Nachtheilen der Geburt und Erziehung, durch bloßes Talent und Fleiß erhalten kann, und zugleich auf der andern Seite als ein Beispiel, wie ganz und gar die Früchte dieser schätzbaren Eigenschaften verloren gehen können bei dem Mangel eines kleinen Antheils an dem, was man im allgemeinen Leben Ehrlichkeit oderhonnêteté nennt. Dieß ist leider! der Hauptfehler Cobbett’s. Obgleich weder in Oxford, noch Cambridge, sondern – soviel wir wissen – blos in den Kasernen irgend eines englischen Linienregiments erzogen, hat er als Prosaist wenige seines Gleichen in seiner Sprache. Obgleich familiär und populär, ist er doch zugleich rein und correct und zuweilen elegant, fließend und leicht, aber dessen ungeachtet kräftig, scharf, bedeutsam und vor Allem durch und durch englisch. Das große literarische Verdienst seiner Schriften, verbunden mit der Leichtigkeit, mit welcher er sie hervorbringt, würde seinen Beistand von ungemeiner Wichtigkeit für jede politische Partei gemacht haben, mit welcher er in Verbindung getreten wäre; und er hätte auf diesem Wege ohne Zweifel die höchste Stufe der Achtung und des Ansehens in der Gesellschaft erreicht. Selbst ohne Grundsätze, würde er durch nichts mehr als gerade so viel Beständigkeit, als bloße Rücksichten der Klugheit ihm anzunehmen geboten, vielleicht das gleiche Ziel erreicht haben. Es ist jetzt ungefähr dreißig Jahre, daß er – nachdem er seine militärische Laufbahn aufgegeben hatte, in der er es nicht weiter als bis zum Sergeanten brachte – in Philadelphia unter dem Namen „Peter Porcupine“ zuerst als Schriftsteller auftrat. „Nieder mit den Jacobinern!“ dasselbe Geschrei, was gegenwärtig gegen ihn erhoben wird, war damals sein Losungswort; wie es zur selben Zeit das von Canning war, der damals seine politische Laufbahn auf gleiche Weise durch die Herausgabe eines Wochenblattes „The Antijacobin“ [1] begann. Canning war an wahrem Talente schwerlich, an Thätigkeit und Fleiß gewiß nicht Cobbett überlegen; seine moralische Empfindsamkeit war vielleicht nicht größer, als die anderer Personen, und seine politische Beständigkeit ist wenigstens nicht zum Sprichwort geworden; da er indessen von diesen nützlichen Eigenschaften so viel besaß, als erfordert wurde, so stieg er schnell zu den bedeutendsten Stellen in der Regierung seines Vaterlandes und endlich zu der höchsten von allen empor: während wir den armen Cobbett, nach einem langen Leben unabläßiger und wahrhaft musterhafter Arbeitsamkeit, nachdem er hunderte von Bänden der besten und populärsten Schriften seiner Sprache herausgegeben, jetzt in einem Alter von sechzig Jahren gerade auf demselben Puncte finden, von dem er ausgegangen war, nämlich als Herausgeber eines Wochenblattes, ohne einen Freund in der Welt, und ohne einen Pfenning in der Tasche.

Beispiele dieser Art, fuhr ich nach einer Pause fort, da ich sah, daß meine freundliche Zuhörerin so wenig Miene zu einer Zwischenrede machte, als manchmal die Dramatis personae in einem platonischen Dialoge, Beispiele dieser Art sind gut, wie der römische Poet Claudianuns von dem Fall eines großen Schurken seiner Zeit sagt,

„zu sühnen die Götter“

und zu zeigen, daß moralische Vorzüge doch wohl von größerem praktischem Werth sind, als man gewöhnlich in der Welt zuzugeben geneigt ist. Seit Cobbett bei seinem ersten Auftreten die gesellschaftliche Ordnung gegen die Revolution und den Jacobinismus vertheidigte; obgleich er in verschiedenen Perioden seines Lebens mit nicht


  1. Auszüge aus demselben in der Zeitschrift: Britannia, Jahrgang 1827, Januarheft.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_539.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)