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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 132. 11 May 1828.

Marly, oder Pflanzerleben auf Jamaika.

Marly; or a Planter’s life in Jamaica. Glasgow 1828.

Marly, ein geborner Schotte, welcher in der weiten Welt sein Glück zu machen sucht, landet auf Jamaika, hat viel von dem Klima zu leiden, wird namentlich von den Mosquitos (Teufelstrompetern, wie sie der Neger nennt) bis auf’s Blut gequält, erhält aber bald in einer Pflanzung, Water Melon Valley (Wasser-Melonen-Thal) genannt, eine Buchhaltersstelle.

Nachdem der Held der Erzählung in einem mobilen hölzernen Zimmerchen, ohne Glas in dem Fenster, auf einem mit Laub ausgestopften Lager die Nacht zugebracht hatte, tritt er Morgens mit der ersten Dämmerung sein Tagewerk an.

„Der Aufseher übergab ihm ein genaues Verzeichniß der Neger und verließ ihn, nachdem er ihm unter vielen andern Instructionen das westindische Sprichwort „wie viel schwarze Gesichter, so viel Diebe“ zu beherzigen gegeben. – Sein erstes Geschäft war die Aufsicht in der Zuckersiederei, wo íhm die Neger unter vielen Bücklingen der Reihe nach ihre Huldigungen darbrachten, und dem Massa langes Leben im Wasser-Melonen-Thal wünschten. Dieses Kukukgeschrei wiederholte sich zu zweihundert Malen, und setzte seine Geduld auf die härteste Probe; der Gedanke aber, daß jedes dieser unglücklichen Geschöpfe versuchen müsse, seinem Ich eine gewisse Bedeutsamkeit zu geben, ließ ihn ihr Papagaigeträsch immer wieder mit einem Gegengruß erwidern. Er war, so viel wußte er, zum Buchhalter bestellt, konnte aber, auch bei der genauesten Untersuchung, nirgends ein Buch auffinden, auch war in der ganzen Behausung keine Spur von Dinte oder Feder zu sehen. Er sann hin und her, wie er hier buchhalten sollte, bis er bemerkte, daß ein Neger, Namens Brutus, nachdem er einen Kühleimer ausgeleert, mit der Hand über den Tisch nach einem ein paar Zoll breiten Brette fuhr, worein regelmäßige Löcher gebohrt waren, und einen hölzernen Nagel aus seinem Loche um ein Loch weiter vor steckte. Damit war das Räthsel gelöst. Das Brett war das zu führende Buch, der Nagel die Feder; die Zahl der Löcher, die der Nagel innerhalb 24 Stunden durchlief, bezeichnete die Zahl der Kühleimer, und diese wiederum die Quantität des täglich gefertigten Zuckers. Diese Buchhalterei war also nicht sehr schwierig und erforderte kein großes Studium.“

„Den Tag über sorgte der Aufseher für seine Bedürfnisse, indem er ihm zum Frühstücke eine Kanne Kaffee, ein Paar Häringe, und eben so viel Paradiesfeigen verabfolgte. Sein Mittagsmahl bestand in einer Suppe, Roast Beef, Yams und Paradiesfeigen nebst einer Flasche Grog [1], und sein Abendessen in einer Platte des übriggelassenen Roast Beefs nebst einigen Paradiesfeigen. Gleich darauf trat der Aufseher bei ihm ein, erkundigte sich, ob den Tag über nichts vorgefallen sey, und hieß ihn, nachdem er die Löcher gezählt, welche der Nagel durchlaufen, die Thür hinter sich schließen, und den Schlüssel zu sich stecken. Vor allem aber bemerkte er ihm, er sollte seine Matratze über die Rinne legen, in welcher das zum Reinigen der Vorlaggefäße gebrauchte Wasser hinauslief, und durch welche oft schon Zucker hinausgeschmuggelt worden war; wenn er schläfrig werde, könne er sich auf die Matratze legen, und ein wenig ruhen. Marly schloß demnach die Thür ab, und ließ die Matratze über die Wasserrinne legen. Als er ein paar Male in dem Siedhause auf und niedergegangen war, und Alles ruhig glaubte, so daß keine übeln Folgen zu fürchten waren, begab auch er sich zur Ruhe. Er legte sich nieder, vermochte aber, obgleich sehr müde, nicht einzuschlafen. Der unaufhörliche Ruf der Sieder noch mehr Feuer, oder auf – nieder mit dem Kühleimer, mit einer Stentorstimme durch ein langes Sprachrohr aus Bambus dem Feurer zugerufen, mußte an sich schon Einem, der nicht daran gewohnt war, allen Schlaf vertreiben. Hiezu kam aber noch das Geschrei von etwa zwölf Mädchen und Knaben, die auf den Pumpenbalken saßen, und die Maulesel antrieben, welche das Mühlwerk trieben. Diese Jugend stimmte theils zu eigner Belustigung, theils um die Thiere mehr anzuspornen, einen Chor an, den sie nach ihren Begriffen von Melodie bis zur äußersten Höhe steigerten; und obgleich er Marly durch Mark und Bein ging, gefiel er doch ihnen, und, was noch mehr hieß, den Mauleseln, und feuerte sie mehr an, als aller Wahrscheinlichkeit nach die Peitsche vermocht haben würde. Dieß mag ein Fingerzeig für diejenigen seyn, welche ihre Vorurtheile gegen diese Thierklasse auf das alte Sprichwort: so eigensinnig wie ein Maulesel gründen, daß sie es mit Gesang bei ihnen versuchen, wenn weder Sporn noch Peitsche anschlagen will. Und wenn sie, wie die im vorliegenden Fall überhaupt eine Vorliebe für lustige Musik haben, so sind ihre Treiber in der Wahl der Musik nicht sehr beschränkt; denn man konnte nicht sagen, daß in dem was die

  1. Ein Getränk aus Rum und Wasser bestehend
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_547.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)