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Das Ausland. 1,2.1828


Neger ihnen zuheulten, Reim, Tact oder Melodie gelegen wäre.“

„An Schlaf war somit nicht zu denken; Marly verließ sein Lager und beobachtete das Treiben dieser Leute, indem er sich Alles, was vorging, genau bemerkte. Während dessen glaubte ein Sklave, Namens Plato, der gerade einen Kühleimer leerte, den neuen Buchhalter in einiger Entfernung von der Wasserrinne beschäftigt, füllte insgeheim einen Kalibasch mit Zucker, und hob schon die Matratze auf, um damit hineinzufahren, als jener sich umwandte und ihn erblickte. Marly war äußerst aufgebracht, daß die Neger seine Unerfahrenheit benutzen wollten, eilte auf Plato zu und fand ihn noch mit dem Kalibasch in der Hand, der wenigstens drei bis vier Pfund Zucker enthielt. Auf der That ergriffen, vertheidigte er sich nicht, sondern flehte fußfällig, daß es der Massa nicht dem Buscha (Aufseher) melden sollte, und erhielt auf das Versprechen künftiger Besserung von Marly Verzeihung. Dieser Act der Milde schien jedoch schlechte Wirkung zu thun; denn als am nächsten Morgen die Leute sich ablösten, und Brutus, auf den Marly ein besonders wachsames Auge hatte (weil er, trotz seinem tugendsamen römischen Namensbruder, ein durchtriebener Dieb war) auf seinem Posten sich befand, kam mit einigen andern eine junge Negerin in das Siedhaus, um einiges aus den Kesseln zu schöpfen. Marly ließ sie nicht außer Acht, obgleich er gerade Kalk in eine Vorlage abwog, und bemerkte, wie Brutus, dahin zurückkehrend, etwas verbarg, das er einer Negerin insgeheim zuschob. Der Buchhalter ging sogleich auf sie zu, und fragte sie, was sie unter ihrem Rocke hätte. Sie erklärte, sie habe nichts; und da Marly zu zartfühlend war, ein Frauenzimmer, wenn auch ein schwarzes, zu durchsuchen, wollte sie sich eben davon schleichen, als einer der Sieder, ein Neger, der nicht dieselben Bedenklichkeiten hatte, kam und ihr einen Kalibasch mit Zucker abnahm. Als er sie eine Diebin nannte, wurde sie, obgleich auf der That ergriffen, ungehalten und rief:„sie habe es dem Massa nicht gestohlen, sondern vom Massa bekommen.“ Da Marly erfuhr, daß sie Molly, die Frau von Brutus, war, erklärte er ihnen, er wolle es dem Buscha sagen, und ihn thun lassen, was er für gut finde. Sie baten ihn aber so flehentlich um Verzeihung, und versprachen ihm so ernstlich, nichts der Art mehr zu versuchen, daß der Buchhalter, der von weicher Gemüthsart war, und oft von den strengen Bestrafungen der Neger gehört, nie aber welche mit angesehen hatte, endlich zögernd einwilligte, zugleich aber allen Anwesenden erklärte, daß, wer sich wieder etwas zu Schuld kommen ließe, unfehlbar bestraft werden würde.“ [1]



Nubien.

(Fortsetzung.)
Die Schaykyehs. Dâr Barbar. Die Ruinen von Meroe.

Betrachtet man den Nil von Egyptens Grenze bis Dongola hinauf, so erscheint er als eine krumme Linie, die sich stark gegen Westen neigt. In Dongola wird diese Neigung östlich, hierauf aber völlig nordöstlich, so daß der Fluß einen stumpfen Winkel bildet. An diesem Winkel liegt das Land der Schaykyehs, fünf und dreißig Stunden lang, höchstens eine Stunde breit.

Nach der Sage – die durch den Umstand an Wahrscheinlichkeit gewinnt, daß hier die arabische Sprache die Dialekte Unternubiens verdrängt hat – wären die Einwohner vor sechs hundert Jahren aus Arabien eingewandert, und hätten den Namen eines ihrer Vorfahren als Stammnamen angenommen.

In landwirthschaftlicher Beziehung steht das Land weit über Dongola: jede Erdscholle ist angebaut; aber zusammengedrängt auf den schmalen, wenn auch äußerst fruchtbaren Strich am Nil fand die zahlreiche Bevölkerung in der friedlichen Thätigkeit des Ackerbau’s und der Gewerbe [2] weder hinlängliche Beschäftigung, noch genügende Befriedigung ihrer Bedürfnisse, und eine natürliche Folge davon war die Fortpflanzung jenes alt-arabischen raubkriegerischen Geistes, der die Schaykyehs, wie die freien Beduinen der Wüste, zu gefährlichen Nachbarn und zu Feinden der Caravanen machte. Indessen sind sie nicht ohne Bildung; die meisten von ihnen können lesen; ja ihre Schulen haben einen gewissen Ruf, so daß sie von Zöglingen aus den angrenzenden Ländern besucht werden.

Die Schaykyehs lebten unter einer Art militärischer Republik, mit drei Meliks an der Spitze – sie hießen Chauß, Zibert und Omar – deren jeder seine drei Unterbefehlshaber hatte. Ihre Kriegsmacht besteht eigentlich blos aus Reiterei; ihre Hauptwaffen sind der Wurfspieß – in ihrer Hand ein gefährliches Instrument, da sie ihn nicht nur mit großer Sicherheit auf eine weite Entfernung schleudern, sondern auch, wenn sie fehlen, stets einen zweiten und dritten in Bereitschaft haben – ein langer Schild mit Krokodilshaut überzogen, und ein großer doppelschneidiger Säbel mit deutscher Klinge, wozu sie den Griff selbst machen. Feuergewehr ist äußerst selten. Ihre dongolischen Streithengste tummeln sie mit der Gewandtheit und der Behendigkeit der Mamelucken, mit welchen sie sich in der Ausführung der kühnsten und schwersten Reiterkünste messen können; sie haben, wie die Türken, die Gewohnheit, das Pferd kurz im Zaum zu halten, wodurch es zwar schön paradirt, aber frühzeitig zu Schanden geht.

Ismaël Pascha hatte das Land erst nach zwei Treffen zur Unterwürfigkeit gebracht, in welchen die Reiterei der Schaykyehs den Ruf ihrer Tapferkeit behauptete, und

  1. Marly verlor später ein Auge und ersetzte diesen Verlust durch ein gläsernes. Wenn er nun wachte, so hielt er gewöhnlich die Hand vor das falsche; wenn er aber in seinem Sessel in dem Siedhause schlief, bedeckte er sein sehendes Auge und ließ das andere offen und unbedeckt. Dieß veranlaßte die Neger, die keinen Begriff von eingesetzten Augen haben, zu der Bemerkung: der verdammte Massa ist uns immer auf der Tatze: mit dem einen Auge schläft er, indeß das andere Schildwache steht.
  2. die Schaykyehs verfertigen z.B. ein schönes Leder zu Sandalen, bunte Strohmatten mit artigen Dessins u. s. w., die meisten Erzeugnisse des Bodens werden aber im Lande verzehrt, so daß der Handel ganz unbedeutend ist.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_548.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)