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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 135. 14 May 1828.

Briefe eines Engländers aus Constantinopel.


(Fortsetzung.)

Langsam entfernten wir uns von Terapia, indem wir die kleine, spiegelklare Bucht durchschifften. Mit jedem Schlag der Ruder entfaltete sich der Anblick des Dorfes weiter und malerischer. Die Höhen stiegen hinter den Gebäuden empor, gleichsam als der vollendende Hintergrund des reichen Bildes, das den Vordergrund einnahm. Hohe, durchsichtige Rauchsäulen erhoben sich in den wolkenlosen Himmel; die scharlachrothe ottomanische Flagge weht in breiten Falten um die Masten der türkischen Fahrzeuge; in den wiederhallenden Arkaden der Moschee tönte der murmelnde Fall der Fontaine; ein einziger Priester des Gesetzes saß in ihrer Nähe, auf einem kleinen Teppich, sein elfenbeinernes Combalojo in der Hand, und sein weißes Haupt nach dem Tact der Verse des Korans wiegend. In einiger Entfernung von ihm lag seine lange Pfeife. In den Zwischenräumen seines Gebets erhob er von Zeit zu Zeit seinen weißen Turban gegen Morgen, als ob er in frommer Ungeduld die nahende Sonne heraufbeschwören wollte hinter den grauen Höhen des Gebirgs und hinter den zackigen Ufern jenseits der Meerenge. Die bis jetzt bleifarbigen Wasser färbten sich nach und nach mit röthlichen Streifen. Auf einem weißen Segel, in weiter Ferne schwebend, glänzten die ersten Strahlen des Tages wieder. Das milde Gestirn der Nacht hing noch über Constantinopel, gleich einem ihrer silbernen Halbmonde, aber in so schwachem Schimmer, daß es mit den ersten Blicken des Morgens vollends zerfloß. Endlich trat die Sonne hervor, stolz und mächtig in Mitte der Dünste, die sie zu verhüllen suchten; nach einer oder zwei Minuten stieg sie allein und wolkenlos empor, glühend in allem Glanze ihrer orientalischen Herrlichkeit, von der uns in unserm Norden nichts eine Idee leihen kann. Ein Sommertag strömte seine Lichtfluthen über die ganze Natur, ohne jene drückende Atmosphäre zu erzeugen, die sonst in südlicheren Gegenden diese Jahreszeit begleitet. Die Wasser- und die Seewinde, die Platzregen und der frische Thau, die stets erneute Strömung der Meerenge verleihen der Luft jene Reinheit und Leichtigkeit, die der ausschließende Vorzug des Nordens zu seyn scheinen, während die Sonne Asiens alles umher mit jenem Feuer umleuchtet, welches jede Farbe erhöht, und selbst jenen Farbentinten einer Landschaft, die in unsern Nebellanden unbestimmt und schmutzig erscheinen, einen Glanz gleich Blumen und Vögeln verleiht. Nichts ist hier grau und trüb – alles ist hell, in klarem, bestimmtem Umriß. Eine Farbe stößt glänzend gegen eine andere, und so entwickelt sich aus der vollendetsten Mannigfaltigkeit des Einzelnen die vollendetsten Harmonie des Ganzen. So wie wir weiter vorwärts steuerten, wimmelte der Bosporus von Segeln aller Arten, von Flaggen jeder Farbe, von Fahrzeugen und Schiffen aller Nationen und aller Costüme. Es war ein Meer, bevölkert von den Repräsentanten der zwei ungeheuern Hälften des menschlichen Geschlechts; und die National-Eigenthümlichkeiten, stets erkennbarer in Kleidung und Sprache, als in den Zügen des Gemüths oder des Geistes, traten bei dieser nahen Berührung der Individuen[WS 1] aus den verschiedensten Nationen auf den Grenzen Asiens und Europas um so schärfer und ausdrucksvoller hervor. Unsere Bostandschis repräsentirten sehr gut den türkischen Theil der Versammlung. Die rothe Jacke, der eingedruckte Calpak, das faltige Hemde und die weiten Pantalons deuteten auf ihr doppeltes Gewerbe als Schiffer und Gärtner. Hals und Nacken, Beine und Arme waren nackt, und von der Sonne broncirt; die Formen athletisch, gleich den Statuen der Alten. Ihre Mäßigkeit, die Stabilität ihrer Sitten und Gebräuche, die strenge Unbeweglichkeit im Gesicht und Ausdruck darf man nicht ausschließlich den Institutionen Mahommeds zuschreiben. Der feurige Syrier, der raschaufbrausende Araber, der Moreote mit leichtem Geist und Herzen, erhalten die Grundzüge ihrer moralischen Physiognomie unverändert unter allem Wechsel der Regierungsformen und des Glaubens, und wie in den christlichen Ländern, so ist auch dort mehr die Religion durch das Land, als das Land durch die Religion modificirt. Der Ernst des Muselmanns ist ganz muselmännisch; in Blick und Farbe trägt er jenen zornmüthigen Ausdruck des Tartaren, der nichts gemein hat mit den Kindern der Sonne. Selten leuchtet in seinem Auge jener tiefe Lichtglanz, der den Asiaten des Südens belebt. In der langgezogenen, wie vom Schlaf gefesselten Linie seiner Züge spricht sich jene hinter dem Ernst verborgene, tiefe Sinnlichkeit aus; und die Wimpern, die sein großes, schwarzes, wollüstiges Auge sehnsüchtig-matt umschatten, begleiten besser den lächelnden Blick des Herrn des Harems, als den raschen Pfeilblick des Kriegers. Jenes ist sein gewöhnlicher Ausdruck; aber zuweilen erwachen, mitten in jenem Schlummer, die furchtbarsten und gewaltsamsten Leidenschaften der Seele. Seine übrigen Züge

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Indiviuen
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_561.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)