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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 138. 17 May 1828.

Nubien.


(Fortsetzung.)
Die Stadt Schendy. Der nubische Handel.

Zu Folge der Schätzung Diodors von Sicilien und Strabo’s betrüge die Ausdehnung der Insel Meroe 3000 Stadien (= 300 röm. Meilen, = 120 Stunden) in der Länge, und ein Drittel so viel in der Breite. Mit dieser Angabe der Länge stimmt die Entfernung der Mündung des Atbora von dem Punkt, wo seine Quellen sich denen des Rahad im Süden nähern, vollkommen überein; was aber die Angabe der Breite betrifft, so scheint dieselbe – da das Land so ziemlich die Form eines Dreiecks hat, dessen Spitze in Südost und dessen Grundlinie in Nordwest liegt – auf einer Durchschnittsrechnung zu beruhen, von deren Richtigkeit man sich mit einem Blick auf die Karte überzeugen kann.

Den Theil dieses Gebiets, der längs den Ufern des Nils und des blauen Flusses hinläuft, nehmen gegenwärtig zwei Staaten [1] Dâr Schendy und Dâr Halfai ein: ersterer unter Meliks, letzterer unter Scheiks. Beide Staaten haben eine traditionelle Geschichte, die aber nicht über zwei bis drei Jahrhunderte hinauf reicht. Das ganze Land in der Mitte und auf der östlichen Seite wird von freien arabischen Horden durchzogen, die in immerwährenden Fehden untereinander leben, und ihre Streifzüge bis an’s rothe Meer und an die Grenzen von Habesch verbreiten.

Die Stadt Dâr Schendy (unter 16° 41’ 26" nördl. Br. und 31° 15’ östl. L.) mit 8 - 900 Häusern und 6 bis 7000 Einwohnern, ist ein beinahe reguläres Viereck, dessen Umfang 3500 Metres beträgt. Die Häuser, insgesammt im Viereck gebaut, bestehen gewöhnlich nur aus einem sehr hohen Erdgeschoß; eine Ausnahme machen indessen die des Melik, die ein Stockwerk und – weiße Außenwände haben. Da ein paar kleine Oeffnungen der einzige Weg sind, auf welchem von oben herab Luft und Licht hinein gelangt, so ist diese Bauart begreiflicher Weise der Helle nicht sehr günstig, desto geeigneter aber, die Hitze und die nächtlichen Insekten abzuhalten. Die Mauern haben eine etwas schräge Lage; die Dächer sind terrassenförmig, und mit vorspringenden Rinnen versehen, durch welche das Regenwasser abfließt. Überhaupt scheint Geräumigkeit, Bequemlichkeit und Kühle Zweck zu seyn: ein mit Backsteinen – dem allgemeinen Baumaterial – ausgemauerter Teich zum Baden befindet sich gewöhnlich in einem besondern kleinen Hofe im Innern der Häuser, und neben den Häusern liegen große eingehägte Plätze, Kochs genannt, welche zum Einschließen der Kameele und den Karavanen als Bazar dienen. Die Stadt ist von sehr breiten und ziemlich geraden Straßen durchschnitten; sie leidet jedoch durch den Uebelstand, daß der Wind Fluthen von Sand hineinbläst, wodurch das Gehen beschwerlich wird.

Nicht blos in der Stadt, sondern im ganzen Lande Schendy herrscht ein gewisser Wohlstand, als dessen Grund außer dem natürlichen Reichthum des Bodens die Industrie, als dessen Folge aber auch die Ueppigkeit und Sittenlosigkeit des Volks erscheint.

Hier sind die Weiber, wie in keinem Theile Nubiens, dermaßen aller Zucht und Ehre quitt und ledig, daß ihre Gunstbezeugungen laut auf öffentlicher Straße feil geboten werden, und selbst Damen von Rang in diesem Punkte kaum etwas vor andern voraus haben. Sollte man nun glauben, daß der wollüstige Schendyer in manchen Gegenständen, die zu den gemeinsten Bedürfnissen des Lebens gehören, der eben so uralten als einfachen Sitte treu, z. B. statt weicher Polster sich des hölzernen Kopfkissens bedient, wie man es häufig in den Gräbern von Theben als Kopfunterlage der Mumien findet? So bestätigte sich mir auf’s Neue die schon früher gemachte Beobachtung, daß, je weiter man sich von Eqypten entfernt, desto mehr von alterthümlicher Art auch im Volke sich erhalten hat. Ohne Zweifel darf ich dahin eine Anzahl länglicht viereckiger Grabsteine rechnen, auf welchen mir die wirklich antik aussehenden Musivmalereien mit schönen quadrillirten Dessins auffielen.

Die Umgebungen von Schendy sind zwar eine flache holzlose Wüste, die dem Auge keinen erfreulichen Anblick darbietet, aber das Land selbst ist an Feld- und Gartenfrüchten ergiebig, und besitzt eine treffliche Viehzucht, namentlich Pferde, Kameele, Büffel und eine sehr große Art Ziegen, deren Fleisch wie Gazellenfleisch schmeckt. Den europäischen Maßstab darf man jedoch an eine Provinz Obernubiens nicht anlegen. Denn wenn es nun noch etliche Juweliere gibt, welche Gold und Silber zu

  1. Die westlichen Ufer des Nils, gegenüber von Schendy, gehören einem besondern Staate, dem von el-Mesaaʾd, an: eine Erscheinung, die hier zum ersten Mal vorkommt. Am untern Nil findet nicht nur diese Trennung nirgends Statt, sondern es liegen sogar manche Ortschaften halb auf dem einen und halb auf dem andern Ufer.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_573.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)