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Das Ausland. 1,2.1828

Zeiten zum Christenthum bekehrtes Volk, das, durch die Lage seines Landes begünstigt, die ausgedehntesten Handelsverbindungen mit allen Theilen des Orients unterhält; aus ihrer gegenwärtigen Unterdrückung emporgehoben, würden sie den Kern der gesammten christlichen Bevölkerung des Orients bilden und durch die Vereinigung derselben dem Islam in dem Mittelpuncte seiner Macht ein Gegengewicht entgegensetzen, welches zugleich die Herrschaft des türkischen Halbmondes und der persischen Sonne bedrohte.

Die wichtigsten Provinzen des türkischen Reiches in Asien, so wie ganz Persien liegen vor dem Besitzer der armenischen Hochlande vertheidigungslos offen; und wie tief dieß das Petersburger Cabinet gefühlt hat, als es von Persien die Abtretung jener armenischen Provinzen verlangte, die einst Schah Abbas der Große dem türkischen Reiche entriß, beweißt schon der stolze Name, den es seiner Erwerbung beilegte. Die Urkunde, wodurch das russische Gouvernement die Khanate Eriwan und Nakhschiwan unter dem Namen Armenien zu einer von Georgien abgesonderten Provinz vereinigte, kann einst, als der Anfangspunct einer neuen Aera in der Geschichte des Orients angesehen werden. Eine noch immer zahlreiche, einst mächtige, jetzt in allen Ländern der Erde zerstreute Nation hat durch die Wiederbelebung des lang vergessenen Namens ihres Vaterlandes einen Mittelpunct und eine politische Bedeutung gewonnen, die zu unberechenbaren Erfolgen führen muß. Armenien! wird das Feldgeschrei seyn, wenn die russischen Legionen, die Eriwan nahmen, nachdem sie Bajasid und Kars erstürmt haben, gegen Arzerum heranziehen: Armenien wird das Reich heißen, welches Rußland einst auf den Trümmern des Islam in Vorderasien gründen wird.



Ueber die Angelegenheiten des Orients.


(Schluß.)


Man begreift, daß England gegen einen Feind, der es auf so vielen Punkten bedroht, Alliirte zu werben sucht. Oesterreich gibt ihm, wie wir gezeigt haben, keine große Sicherheit für die Zukunft. Preußen kann es auch vortheilhaft finden, seine unsichere Stellung zu ändern, und es müde seyn, sich lang und schmal auszustrecken, gleich einem Bande, das vom Niemen bis zu den Grenzen Frankreichs flattert. Der Rest von Sachsen (?), einige Abtretungen in Polen, selbst die Einverleitung Hannovers, das schon früher ein Gegenstand seiner Wünsche war, können es vermögen, die Entwürfe einer Macht zu begünstigen, an die es bereits durch die Erinnerungen naher Vergangenheit und durch Familienbande geknüpft ist. Es bleibt also nur Frankreich übrig. Welches Interesse aber hätte Frankreich, England in diesem Kampfe zu unterstützen, wenn er zum Ausbruch kommen sollte? Was würde man ihm als Entschädigung der Kriegskosten anbieten? Wird England einwilligen, daß die uns von Preußen abgenommenen Provinzen aufs Neue mit uns vereinigt werden? Wird es uns Candia, einige Colonial-Niederlassungen auf den Küsten Afrikas anbieten? Wird es uns Isle de France und unsere ehemaligen Besitzungen auf dem Festlande von Ostindien zurückgeben? Wird es zulassen, daß Spanien, um sich seiner Schulden zu entledigen, uns Porto-Rico, Cuba oder die Philippinen abtrete? Nein, es wird uns Alles verweigern. Wir werden uns für die Ehre schlagen, ihm nützlich zu seyn, und wir werden aus dem Kampfe treten, ohne ein anderes Resultat, als daß wir unsere Todten auf dem Schlachtfelde lassen, und unsere Wunden nach Hause tragen.

Vielleicht wird man uns entgegen halten, wir sehen nur Eine Seite der Frage: Europa sey nicht weniger bedroht als England, und nach diesem Kriege würde Rußland ein so übermächtiger Koloß werden, daß Nichts mehr ihm zu widerstehen vermöchte. Untersuchen wir diese Frage; sehen wir, ob nach Vertreibung der Türken Rußland stärker, furchtbarer seyn wird, als es diesen Augenblick ist. Entweder würde es, eine Linie von Widdin bis an den Golf von Salonichi ziehend, seinen ungeheuern Staaten diese Eroberungen einverleiben, oder es würde ein unabhängiges Königreich aus denselben machen. Im erstern Falle wären die Ausdehnung des Gebiets, das Wiederaufbauen des in Trümmer Zerfallenen, die Unterhaltung der Garnisonen, so wie des Kriegs in Anatolien und auf den Küsten Klein-Asiens in der That ein Grund der Schwächung für Rußland, und ein Grund der Ruhe für Europa. Alsdann könnte auch die Hauptstadt, deren Lage einen so großen Einfluß auf die Schicksale eines Staates hat, nicht mehr in St. Petersburg bleiben, sondern müßte nach Moskau verlegt werden, und so würde man freier athmen in Stockholm, in Berlin und Wien.

Wenn aber, was wahrscheinlicher ist, weil es mehr in seinem Interesse liegt, Rußland an den Ufern der Donau stehen bleibt, und ein unabhängiges Königreich gründet, während es sich begnügt, den ganzen Umfang des schwarzen Meeres einzunehmen, und sich eine freie Durchfahrt durch den Bosporos und die Dardanellen zu sichern, so würde dieser neue Staat eine getrennte Existenz, bestimmte, eigenthümliche Interessen erhalten, und mit ein Gewicht legen in die von den Diplomaten äquilibrirte Wagschale Europas; doch würde es lange einen mächtigen Protector brauchen, und würde für seine Alliirten mehr eine Last als ein Hebel der Thätigkeit und der Kraft seyn. Wenig liegt daran, ob ein russischer, französischer oder griechischer Prinz auf den Thron gesetzt werde. Die Bande der Verwandtschaft fesseln die Souveräne nie für lange Zeit. Philipp V erklärte dem Regenten den Krieg; in Neapel, in Madrid hört man mehr auf Englands als auf Frankreichs Stimme.

Welche Stellung nun hat Frankreich in diesem bedeutungsschweren Momente einzunehmen? Es muß eine selbstständige Politik haben; es darf sich nicht feig und träg am Schlepptau nachziehen lassen von einer Macht, deren Bahn zu folgen für uns kein Interesse hat; es muß geradezu erklären, daß es beim Ausbruch des Kriegs im Orient neutral bleibe, nicht in jener Art der Neutralität,

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_581.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2023)