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Das Ausland. 1,2.1828

dem westlich von Dârfur gelegenen Borgu sind alle aus der großen, zu Tahta bei Syut befindlichen Castriranstalt, wo Kopten und Christen, gegen eine Abgabe an die Regierung, dieses scheußliche Gewerbe treiben. Die Operation wird mit dem Rasirmesser gemacht, und kostet vier bis fünf Thaler. Da sie an Erwachsenen zu gefährlich wäre, so werden gewöhnlich Knaben zwischen acht und zehn Jahren dazu genommen. Ein Sclave, der vorher fünf und zwanzig Piaster kostete, kostet, nachdem er verschnitten ist, bis an hundert. Man kann sich vorstellen, daß die Aussicht auf einen so unmäßigen Gewinn die Zahl der Schlachtopfer vermehrt. Die Harems Kleinasiens brauchen deren jährlich eine große Anzahl. Im Jahr 1812 ließ Mehemed Ali Pascha auf einmal zwei hundert Sclaven entmannen, um damit dem Sultan ein Geschenk zu machen.

Als ich in Schendy unter den Buden umherging, kam ich auch an die Fleischbänke. Ich überzeugte mich bei dieser Gelegenheit, daß hier zu Lande das Krokodilfleisch gegessen wird. Einige Araber in der Nachbarschaft des Katarakts von Guerri sind es hauptsächlich, welche sich mit dem Krokodilfang beschäftigen. Diese Leute kennen die Gegenden genau, wo die Krokodile sich aufhalten. Hier errichten sie kleine, zwei bis drei Schuh hohe Erdaufwürfe; wenn nun die Thiere, um sich zu sonnen und zu schlafen, an’s Land steigen, so suchen sie sich eine heimliche Stelle aus, und, da sie an den flachen Ufern, wo sie am liebsten weilen, nicht leicht eine andere finden als jene Erdaufwürfe, so legen sie sich dahinter. Der Araber, der nun eines in dieser Lage erblickt, nähert sich langsam und geräuschlos auf dem Boden und bohrt ihm in den Rachen oder auf einer Seite des Halses zwischen die Knochen des Kopfes und den Panzer einen Spieß in Form eines Angels, um dessen Schaft ein langes Seil gewickelt ist: so daß, wenn der Stich nicht gleich tödtet und das Ungeheuer noch den Fluß gewinnt, der Harpunierer sein Seil abwindet, und es so lang daran zappeln läßt, bis er es todt an’s Ufer ziehen kann.

Wie das Krokodil in einigen Gegenden häufiger, in andern seltener vorkommt, so gibt es auch Gegenden, z. B. Schendy, wo es als sehr gefährlich, andere, z. B. Barbar, wo es als weniger gefährlich betrachtet wird. Von Unglücksfällen weiß man indessen überall genug zu erzählen, und ich kam einmal dazu, als eines gerade einen Soldaten, der in seinem Zelte schlief, am Beine gefaßt und fortgeschleppt hatte. Die Weiber, die beim Wasserschöpfen bis an’s Knie in den Fluß gehen, werden oft ein Opfer seiner Gefräßigkeit; dagegen macht es nicht leicht auf Jemand, den es schwimmen sieht, einen Angriff.

Das Weibchen scheint seine Eier zu legen, ohne sich weiter darum zu bekümmern. Daß wenigstens die Jungen, um auszuschlüpfen, keiner mütterlichen Hülfe bedürfen, davon überzeugte ich mich durch folgende Beobachtung. Eines Tages hörte ich ein Geräusch, wie das Quacken eines Frosches, und entdeckte zu meiner Verwunderung, daß es aus einem Sack herrührte, in welchem ich eine Anzahl Krokodilseier aufbewahrte. Als ich den Sack öffnete, waren schon einige Jungen ganz, andere halb ausgeschlüpft, noch andere eben im Begriff ihre Schale zu durchbrechen. Das Thier lag in sich zusammengekugelt, so daß Kopf und Schwanz unter den Bauch zu liegen kamen, im Ei, und war in eine Art Mutterkuchen gewickelt, der unterhalb des Bauchs vom Nabel ausging: wenn es nun zur Geburt reif ist, so durchfrißt es zuerst das netzförmige Gewebe des Mutterkuchens, drückt hierauf die Schnautze gegen die Schale und macht eine kleine Oeffnung, die sich erweitert, jemehr der Kopf vordringt, der bald durch den Schwanz unterstützt wird, womit es sich am andern Ende des Eies anstemmt. Ein solches Junges ist einen Schuh lang, und mißt, wo es am dicksten ist, vier Zoll, obgleich die Größe des Eies nur drei Zoll im Durchmesser beträgt. Die Vorderfüße, ungefähr zwei Zoll lang, haben fünf Zehen, wovon die erstern mit Klauen, die beiden letztern und zugleich längern ohne Klauen, dagegen aber durch größere Schwimmhäute verbunden sind. Der anfänglich dicke und kurze Leib streckt sich nach der Geburt und wird dadurch bedeutend dünner. Das Auge ist olivenfarbig; ein schwarzer Streif mit weißem Saum geht durch den Augapfel. Ich hatte die Thiere sechs Monate lang, umsonst setzte ich ihnen Fisch, Fleisch und andere Speisen vor. Nach der Behauptung der Einwohner leben sie anfangs blos von schlammiger Thonerde. Wirklich hat auch das Fleisch der ältern Krokodile einen auffallend bittern Schlamm-Geschmack. Das Krokodil des Nils zeigt von Geburt an jenen Charakter der Wildheit, durch welche es sich vor dem Alligator [1] auszeichnet: es beißt nach allem, was es erreichen kann.

  1. Ueber diesen Unterschied. Essai politique sur l’ile de Cuba. Par Alexandre de Humboldt. Par. 1826. Tom I. S. 344 folg.: „In den Morästen von Sienega bei Batabano finden sich beide Arten: die eine bezeichnen die Einwohner mit dem Namen Cayman, die andere mit dem Namen, Cocodrilo. Der Cocodrilo, wurde versichert, habe höhere Beine, eine spitzigere Schnauze, und seye behender als der Cayman. Er entferne sich eine Stunde weit vom Rio Cauto und von der sumpfigen Küste Xagua’s, um auf die Schweine im Innern der Ländereien Jagd zu machen. Er sey so unverschämt, daß, wenn er sich auf den Schwanz stützen könne, er in die Barken zu klettern suche oder wohl auch einen Menschen zu Pferd verfolge; mancher messe seine fünfzehn Schuh. Dagegen brauche man sich so wenig vor den Caymans in Acht zu nehmen, daß man in Gegenden, wo sie in Schaaren beisammen wohnen, ohne Gefahr unter ihnen bade. Der Name Cocodrilo, den der gefährlichste der Saurier auf der Insel Cuba führt, fährt Humboldt fort, und diese Schilderung von ihm machte mich zweifelhaft, ob die großen Thiere am Orinoko, am Rio Magdalena und auf St. Domingo von derselben Art seyen. Auf dem ganzen Festlande von Südamerika behaupten und wiederholen die Kolonisten, getäuscht durch die übertriebenen Berichte von der Wildheit der Krokodile Egyptens unaufhörlich, es gebe eigentliche Krokodile nur im Nil, während die Zoologen einer Seits in Amerika Caymans oder Alligators (Alligator lucius) mit stumpfer Schnauze und mit Füßen ohne Krallen, und Krokodile mit spitziger Schnauze und mit Krallenfüßen, and’rer Seits auf dem Continent der alten Welt Krokodile und Gapials zumal anerkennen. Der Crocodilus acutus von St. Domingo’, zwischen welchem und dem Krokodile des Orinoko und Magdalena mir bis jetzt kein spezifischer Unterschied bekannt ist, hat eine solche Aehnlichkeit mit dem Krokodil des Nils, daß es einer scrupulösen anatomischen Untersuchung bedurfte, um den Buffon’schen Grundsatz der Vertheilung der Arten zwischen den Tropenländern beider Continente zu retten. Bei einer zweiten Anwesenheit in Havanna, im Jahr 1804, ließ ich mir aus Batabano ein paar Cocodrilos lebendig schicken. Ich hatte auch Caymans bestellt, aber sie starben unterwegs und ich bekam sie nicht zu Gesicht. Von den Cocodrilos war der älteste vier Fuß, drei Zoll lang. Man hatte Mühe gehabt, sie zu fangen, so stark und wild waren sie. Um sie zu transportiren, mußte man ihnen einen Maulkorb anlegen, und sie auf das Lastthier binden. Wir thaten sie in einen großen Saal und sahen von einem sehr hohen Möbel herab zu, wie sie große Hunde angriffen. Da ich sechs Monate am Orinoko, Rio Apure und Magdalena mitten unter Krokodilen gelebt hatte, so machte es mir Vergnügen, vor meiner Rückkehr nach Europa noch einmal diese außerordentlichen Thiere zu beobachten, die aus der starren Leblosigkeit plötzlich zu den ungestümsten Bewegungen übergehen. Ich fand bei den Cocodrilos von Batabano die Schnauze eben so spitzig als bei denen am Orinoko und Magdalena, im Allgemeinen aber ihre Farbe etwas dunkler, auf dem Rücken schwärzlich grün, unten am Bauch weiß, an den Seiten gefleckt. Ich zählte acht und dreißig Zähne in der obern Kinnlade und dreißig in der untern; von jenen waren der zehnte und neunte, von diesen der erste und der vierte die größten. Der vierte untere griff frei in die obere Kinnlade. Diese Cocodrilos schienen mir ganz identisch mit dem Crocodilus acutus. Freilich das Prädicat, das man ihnen gibt, stimmt nicht ganz mit unsern an den Krokodilen der südamerikanischen Flüsse gemachten Beobachtungen überein; allein es ist gewiß, daß die bissigen Saurier von derselben Art und in demselben Fluß nach der Beschaffenheit der Lokalitäten sanfter und schüchterner oder wilder und muthiger sind. Ueber die geographische Vertheilung der Krokodile und der Alligators bemerkt schon Dampier (Voyages and Descriptions Tom. II. P. 1. p. 30 und 75): In der Bay von Campêche sah ich blos Alligators; auf der Insel Groß-Caymen gibt es blos Krokodile; auf der Insel Pinos aber und auf der Küste von Cuba Alligators und Krokodile zugleich. Und ich setze hinzu, daß das wahre Krokodil auf denjenigen Antillen unter dem Winde, welche der Terrafirma am nächsten liegen, z. B. auf Trinidad, Margarita und wahrscheinlich auch, trotz des Mangels an süßem Wasser, auf Curaçao zu finden ist. Mehr im Süden fand ich es, ohne daß ich zugleich eine von den in Guyana häufigen Alligator-Arten (alligator sclerops und alligator palebrosus) angetroffen hätte, im Neveri, Magdalena, Apure und Orinoko bis zur Mündung des Cassiquiare in den Rio Negro (Br. 2° 2’), also vier hundert lieues von Batabano. Es wäre interessant, die Grenzen nachzuweisen, innerhalb welcher auf der Ostküsten von Mexiko und Guatimala, zwischen dem Mississippi und dem Rio Chagre die verschiedenen Arten bissiger Saurier vorkommen.“
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_585.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2023)