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Das Ausland. 1,2.1828

sicherer Analogie auf das fernste Alter des Aeolischen und Dorischen zurückweist, so daß in dieser Hinsicht diese neuesten Erzeugnisse eines ewig jungen Geistes auf seltsame Weise mit seinen ältesten zusammenstehen.

Wie aber Sprache, so ist auch die rhythmische Form alt-überliefert, mit Veränderungen, die nicht in das Wesen gehen.

Allerdings ist die auch der neuesten Forschung noch unerklärliche Verbindung zwischen Rhythmus und Betonung bei den Alten im Neu-griechischen aufgehoben; über die Messung entscheidet, wie in den romanischen Sprachen, der Accent, und über das Metrum fast allein die Anzahl der Sylben; doch ist die strenge Messung der Sylben zum Behuf der Verse dem Alt-griechischen ursprünglich so wenig eigen gewesen, wie dem Alt-lateinischen, und noch die homerischen Formen sind voll von Widersprüchen gegen das späte Gesetz, das mit der größeren Feinheit der Tonkunst entstand und aufhörte. Wann der neue Gebrauch aufgekommen, ist mit Bestimmtheit nicht nachzuweisen. Auch des vortrefflichen Santenius erst vor drei Jahren durch Herrn von Lennep bekannt gewordene Untersuchungen hierüber zum Terentianus Maurus [1] bringen diesen Punct nicht zur Entscheidung. Vielleicht aus dem sechsten Jahrhunderte sind die allein nach der Sylbenzahl gemessenen Hexameter, welche Montfaucon in der Paläographie anführt. [2] Von jambischen sind die ältesten, welche Zeitangabe zulassen, dem fünfzehnsylbigen Tetrametron entsprechend, und gleich ihm mit dem Einschnitt nach der achten Sylbe, von Psaltes, um 1050 nach Chr., der eine Umschreibung des hohen Liedes in ihnen lieferte, oder, wie er es ausdrückt, in schlichteren und wie vom Wagen geworfenen Redeweisen

Ἐν ἀπλουστέραις λέξεσι καὶ κατημαξευμέναις.

Sie waren indeß schon zu seiner Zeit gemein, und unter dem Namen der politischen gangbar, oder auch δημοτικοὶ genannt, weil sie im Munde des Volkes und ihm geläufig waren. [3]

Aus den folgenden Jahrhunderten sind durch Nikitas Eugenianos, Manassis, durch Joannes Tzetzes und Andere in solchen demotischen Versen vom Maße der Hexameter, der jambischen Trimeter und Tetrameter ganze Werke geschrieben, doch hält Tzetzes für nöthig, sich in richtig gemessenen Jamben deshalb zu entschuldigen: [4]

Indeß warum wohl schriebe man in kunstreichem Maß,
Versfüße wahrend überall und Sylbenläng’,
und glättet’ alles nach Gebühr sorgfältig aus;
Gleich gilt ja doch Kunstreiches und Barbarisches.

Allerdings ist eine solche Auflösung früherer Satzungen bei diesen Spätlingen der griechischen Poesie zurückstoßend, weil das in alte und durch große Dichter geheiligte Formen Eingedrungene sich als Entartung und Barbarei darstellt, indeß dieser Widerspruch zwischen Maß des Verses und Form der Rede verschwand, als man den unnatürlichen Gebrauch ausgestorbener alter Redeweisen aufgab und die umgestalteten frei walten ließ. In dem Neu-griechischen ist als in einem frischen Organe dieses Vorwalten des Rhythmus über das alte Sylbenmaß mit den zahlreichen Abstoßungen und Verschmelzungen, welche die Beweglichkeit des biegsamsten Stoffes, der Sprache, indeß herbeigeführt hatte, so wenig auffallend, als die analogen Spracheigenheiten des gleich eigenthümlichen homerischen Gesanges.

Die nach Betonung und Umfang geordneten Rhythmen der neuen Lieder entfalten sich mit vielem Schwung und Wohllaut, dem nach Umständen das Anmuthige wie das Starke, ja selbst das Erhabene beiwohnt.

Eigen ist dieser Gattung der, zum Wenigsten theilweise, Gebrauch des Reimes, nicht als ob die alte Poesie ihn verschmäht hätte, im Gegentheil gebrauchen ihn beide Literaturen, wenn auch selten, als eine Form des ὁμοιο-τέλευτον, wodurch Gleichklang im Scherz oder Ernst bedingt ist. Wenn Strepsiades in den Wolken (v. 707) sein hochkomisches Leidwesen in gereimten Anapästen darlegt:

καὶ τὰς πλευρὰς δαρδάπτουσιν,
καὶ τὴν ψυχὴν ἐκπίνουσιν
καὶ ἱοὺς ὄρχεις ἐξἐλκουσιν,
καὶ μ’ ἀπολοῦσιν,
<(poem>
so wirkt die daraus hervordringende Energie, nicht ohne parodische Beziehung auf das tragische Pathos, so sicher, als das wahre Pathos bei Ennius im Munde der Andromache: <poem>
Haec omnia vidi inflammari,
Priamo vi vitam evitari,
Jovis aram sanguine turpari

und damit diese nicht ein den Alten selbst unerfreuliche Abart scheine, so bedenke man, daß Cicero, der dieses Bruchstück anführt [5] also darüber urtheilt: „Praeclarum carmen. Est enim et rebus et verbis et modis lugubre.“ Was aber vermieden ward, ist die Wiederholung, das Stehende dieser Form; die gleichmäßige Anordnung

  1. Terentius Maurus. E recensione et cum notis Laurentii Santenii. Opus Santenii morte interruptum absolvit Davides Jacobus van Lennep. Traj. ad Rhen. 1825. Die umfassende mit alt-holländischer Gelehrsamkeit geführte Untersuchung über die versus poëtarum vulgarium beginnt p. 163 und reicht bis 219.
  2. Montfaucon Palaeographia I. 3. p. 220.
  3. Πολιτικός, wie Santenius a. a. O. S. 191 nachweist, schon bei Demosthenes in der Bedeutung, dem Gebrauche des Volkes gehörig. geg. Aristogit. p. 776. 11, wie denn auch publica und e medio sumta parallel sind bei Ovidius:

    Sumta sed e medio consuetaque verba, puellae,
    Scribite. Sermonis publica forma placet.

    Ars. amat. B. III, 479.
  4. In Jambis I. 1 Poem. Chiliad. καἶ τι (l. καί τοι τι) γάράν τις τεχνικῷ γράφῃ μέτρῳ κ.τ.λ.
  5. Tuscul. III. 19. So bemerkt zur II. ß, 87

    Ἠύτε ἔθνεα εἶσι μελισσάων ἀδινάων
    Πέτρης ἐκ γλαφυρῆς αἰεὶ νέον ἐρχομενάων

    der Biograph des Dichters S. 301 in Bezug auf den Gleichklang: τὰ τοιαῦτα μάλιστα προςτίθησι τῶ λόγω χάριν καὶ ἡδονήν.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_588.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2023)