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Das Ausland. 1,2.1828

eines der größten und denkwürdigsten der das ganze classische Alterthum umfassenden und mehr durchdringenden neueren in Deutschland gegründeten Philologie), aus der Messung der Rhythmen und Verse die Tonart zu erkennen, für welche sie gedichtet waren, indem sich gezeigt hat, daß Mischung und Folge der Töne in der Harmonie, und Mischung und Folge der Sylben in den Rhythmen auf das Vollkommenste sich entsprechend und für einander gebildet wurden. Nun ist kein Zweifel, daß die sämmtlichen rhythmischen Formen der alt-griechischen Poesie, welche sich in der neu-griechischen wiederholen oder doch wiederspiegeln, der ionischen Tonart angehören. Die von Archilochus, Anakreon, von Hipponax gebildeten Rhythmen, welche hier in andauerndem Gebrauch sind, desgleichen die gebrochenen Verse, die aus Reihen mit verschiedenen Aufschlägen, zusammengefügt sind, ausgegangen von Sotades, Pherekrates tragen als Erfindungen ionischer Dichter eben so bestimmt, wie die dogmischen Reihen das Gepräge der ionischen Tonart oder Musik, welche den einfachen und schwunghaften Gang der Trochäen und Jamben, den Zusammenstoß der Hebungen im Dochmius, und die Lockerheit der ungebundenen Reihen nach Bedarf für ihre bald heiteren, bald wehmüthigen, im Ganzen mehr dem Ueppigen und Weichen, als dem Ernsten und Starken zugewendeten Erzeugnisse zu brauchen bedacht war. Diese ionische Weise, für die höhere Lyrik so wenig passend, daß sie im pindarischen Gesange gar nicht, dagegen in der Comödie mehr denn eine andere gebraucht wird, war schon in dem Jahrhunderte nach Alexander fast allein herrschend geworden; denn nachdem der Ernst der dorischen Tonkunst, und das Ungestüm der äolischen mit dem großartigen Charakter der frühern Zeit und ihrer Lyrik untergegangen war, fand man allein noch an den üppigen und leichtern Weisen des ionischen Tones Behagen. Da aber seitdem in dem Leben und der Gesinnung der Griechen kein Aufschwung zu dem Stärkern und Erhabenern eingetreten, im Gegentheil sich, zumal auf den Inseln, Sitte und Leben in ungefähr gleicher Eigenthümlichkeit bewahrt hat, so ist natürlich, daß auch die Poesie den dieser Eigenthümlichkeit entsprechenden Formen treu blieb. Und so ist auch historisch nachgewiesen, was als eine aus dem Innern hergeleitete Wahrnehmung durch Neuheit überraschen und auffallen könnte, daß die ganze rhythmische und musikalische Form der neu-griechischen Poesie als eine nicht wesentlich umgestaltete Ueberlieferung der alt-ionischen Rhythmik und Tonkunst muß betrachtet werden.

(Forts. f.)


Nubien.

Halfaï. Die Karavanenstraßen. Der blaue und der weiße Fluß. Sennâr.

Schluß.

In Halfaï (unter 15° 44’ 20" nördl. Br. und 30° 22’ 15" östl. L.), der zweit-größten Stadt Meroe’s, verweilten wir nicht lange, da die Nachricht von innern Unruhen, welche im Königreich Sennâr ausgebrochen wären, den Pascha bestimmten, seinen Marsch dahin zu beschleunigen. Außerdem bot Halfaï keine Merkwürdigkeiten dar, die mir einen verlängerten Aufenthalt wünschenswerth gemacht hätten. Die Stadt ist im Verfall: von 8 bis 9,000 Einwohnern, die sie zur Zeit ihrer Blüthe gezählt haben mag, ist kaum der dritte Theil übrig; demungeachtet hat sie noch jetzt einen Umfang von 1½ Lieues, welcher eine weit zahlreichere Bevölkerung voraussetzen würde, wenn nicht die schon bemerkte nubische Sitte, jedes Haus mit geräumigen Höfen, Gärten und Feldern zu umgeben, in Betracht käme. Halfaï, ehedem, wie alle Nilländer bis Dongola hinab, eine Dependenz von Sennâr, machte sich vor etwa fünfzig Jahren unabhängig; dafür wurde es aber bald eine Beute der räuberischen Shaykyehs, die ihre Operationslinie gegen die vorbeiziehenden Karavanen von Dongola bis an den weißen Fluß ausdehnten.

Von den Karavanenstraßen, die aus dem Innern Afrika’s nach dem Mittelmeer führen, sind die von Tombuktu nach Tripolis und die von Dârfur nach Egypten die bedeutendsten. Jene – die nähere und wohl auch die sicherere, haben bekanntlich die englischen Reisenden eingeschlagen; diese ist ohne Zweifel wegen des egyptisch-asiatischen Handels die wichtigere. Was im westlichen Sudan Tombuktu, das ist im östlichen Dârfur, nämlich der Mittelpunct des Handels. Die Straßen von Dâr Kulla, von Baghermi und Tombuktu, von Dschebel Nubâ und Kurdofân laufen hier mit denen von Sennâr, Habesch, Massua und Sauâkin zusammen. Aber wie der Seefahrer nicht den freien Ocean mit seinen Stürmen, sondern die Klippen und Untiefen in der Nähe der Länder zu fürchten hat, so die Karavane nicht die Wüste mit ihren wilden Thieren, sondern die Nähe der Menschen in den Oasen und an den Flüssen. Darum zieht auch die Hauptkaravane von Dârfur den Weg durch die Wüste vor: stets auf der westlichen Seite des Nils und in großer Entfernung von demselben, nur die Oasen von Selymeh und el-Khargeh berührend, wandert sie viele Tage fort, und betritt bei Abutig, oberhalb Syut, das egyptische Gebiet. Die andern Karavanen sind solche, welche entweder die commerciellen Verbindungen der Küste des rothen Meers, Nubiens, Abyssiniens und des Sudans, oder der obern Nilprovinzen und Egyptens unterhalten; die erstern durchschneiden an mehrern Orten den Nil, z. B. in Dongola, Barbar, Schendy und Abu-ahras an der Grenze von Halfaï; die letztern vereinigen sich theils mit der großen Karavane bei Selimeh, theils verfolgen sie zwei besondere Straßen durch die Wüste auf der östlichen Seite des Nils, wovon die eine von Barbar nach Asuân, die andere, etwas westlichere, durch Dâr Robâtât nach dem Lande der Barâbra geht.

Ismaël Pascha benutzte den Zustand der Verwirrung, in welchen durch die Schaykyehs dieser große Theil Nubiens versetzt war, um, eine beliebte Redensart aller Eroberer gebrauchend – sich als den Befreier Afrika’s anzukündigen. Dieß war auch der Talisman, der ihm die Unterwerfung Sennârs erleichtern sollte.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_600.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)